Glücksfall Gülck: Der Archivar ist ein echter Profi, der die wahren Schätze im Stadtarchiv mit Leidenschaft pflegt. Foto: Sturm
Von Axel Sturm
Ladenburg. Wo wendet man sich hin, wenn man wissen will, was an welchem Tag passiert ist? Wer ist Ansprechpartner für Fragen der Familienforschung? Oder wo können sich Vereinsvertreter hinwenden, wenn sie für ihre Festschrift ein Foto aus den Gründerjahren des Vereins suchen? All diese Fragen werden im Stadtarchiv am Dr.-Carl-Benz-Platz beantwortet, das der Historiker Oliver Gülck seit elf Jahren leitet.
Der damalige Bürgermeister, Rolf Reble, hatte vor 25 Jahren eine weitsichtige Idee. Viele Akten und historische Unterlagen waren im Rathaus und im feuchten Keller des "Alten Rathauses" verteilt und nicht geordnet. Eine Stadt mit solch einer großen historischen Vergangenheit brauche ein professionell geführtes Stadtarchiv. Das sah der Gemeinderat genauso. Seitdem lässt sich Ladenburg sein geschichtliches, gesellschaftliches und kulturelles Gedächtnis rund 100.000 Euro Zuschuss im Jahr kosten. Das ist es wert. Schließlich profitiert die Stadt auch selbst. Beispielsweise wurde 1998 bei der Vorbereitung zum 1900-jährigen Stadtjubiläum auf die Unterlagen im Archiv zurückgegriffen.
Auch die Vereine und die Bürger profitieren von der Einrichtung und ihrem Leiter. Gülck hat neben seinem Geschichtsstudium eine wissenschaftliche Zusatzausbildung als Archivar. Er ist ein Glücksfall für Ladenburg.
Die anfängliche Halbtagsstelle hat er nun in Vollzeit. Und trotzdem stapelt sich die Arbeit auf seinem Schreibtisch, denn die Archivierungsumfänge sind groß. Gülck ist daher froh, dass er unter anderem auf die Mithilfe des Stadtkenners Horst Müller bauen kann, der sein Wissen und seine Ortskenntnis bei der Bild-Beurteilung einbringt. Außerdem kennt Müller viele Ladenburger.
Gülck entspricht keinen antiquierten Vorurteilen vom typischen Archivar hinter Aktenbergen. Er ist kommunikativ, hilfsbereit, und dank seiner Erfahrung kann er die meisten Anfragen beantworten. Er weiß, dass das Stadtarchiv auch ein Dienstleister ist. Er teilt die Mehrheit der Anfragen, die an ihn gestellt werden, in drei Sparten auf.
Die häufigsten Anfragen betreffen Bilderwünsche. Fotos, die dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt werden, haben alle öffentlichen Charakter. "Ich möchte kein Geheimarchiv führen", so Gülck. Das Stadtarchiv verfügt über wahre Schätze.
Die von Stadtbildpfleger Dr. Berndmark Heukemes dokumentierten archäologischen Ausgrabungen ab den 1960er-Jahren sind eine Dokumentationsquelle von unschätzbarem Wert für Ladenburg. Aber auch Fotos über das gesellschaftliche Leben gibt es. Die Vorträge "Aus unserem Städt’l" von Johannes Scherrer dokumentieren das Stadtgeschehen von 1965 bis 1984 nahezu lückenlos. Welche Schnappschüsse von den vielen Zehntausend Dias archiviert werden, muss Gülck entscheiden. Auch der Bildnachlass von Hermann Schreckenberger, der von 1950 bis zu seinem Tode die Geschehnisse der katholischen Kirchengemeinde auf Dias festhielt, wurde dem Stadtarchiv übergeben.
Die nächste Sparte ist die Familienforschung. Auch hierbei steht der Leiter des Stadtarchivs hilfreich zur Seite. Es gilt, gesetzliche Sperrfristen zu beachten. So werden beispielsweise die Eintragungen bei Sterbefällen in den Standesbüchern erst 30 Jahre später freigegeben. Im Stadtarchiv sind sie für die Familienforschung ab 1870 vollständig archiviert, soweit die Gesetze dies erlauben. Sie stehen den Interessenten digital zur Verfügung. Im Stadtarchiv gibt es dafür einen gesonderten Arbeitsplatz.
Oft ist es jedoch nicht einfach für einen Laien, handschriftliche Eintragungen in Akten zu entziffern: "Nicht alle Ratsschreiber oder Verwaltungsangestellten hatten eine gut lesbare Handschrift", so Gülck. Er selbst hat aber so viel Erfahrung, dass er die meisten Einträge entziffern kann. Erst ab 1945 wurde in der Stadtverwaltung die Schreibmaschinen-Abschrift eingeführt. So sind beispielsweise die nicht-öffentlichen Protokolle von Gemeinderatssitzungen von 1988 und älter lückenlos archiviert.
Auch die Ausgaben des amtlichen Mitteilungsblattes, das es seit genau 150 Jahren gibt, sind ab 1879 vollständig archiviert. Die Aufarbeitung des NS-Zeit war auch wegen der vorhandenen Verwaltungsakten möglich, die auch Studierende der Hochschule für jüdische Studien für ihre jüngste Recherchearbeit einsehen konnte.
Das Stadtarchiv am Dr.-Carl-Benz-Platz zeigt auch immer wieder Ausstellungen, die auf großes Interesse stoßen. Auch die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Geschichtsverein ist diesbezüglich konstruktiv, sodass auch der Heimatbund vom Stadtarchiv profitiert.
Ausstellungen über Institutionen wie das Carl-Benz-Gymnasium gab es schon, über Architekturvergleiche und Vereinsjubiläen, darüber hinaus eine historische Postkartenausstellung. Derzeit vorbereitet wird eine Präsentation zur Ladenburger Wirtschaftsgeschichte. Auch die Ausstellungsreihe gäbe es ohne das Stadtarchiv nicht. Die Frage erübrigt sich also, ob ein Stadtarchiv Luxus für eine Kommune ist.
Info: Der digitale Archivbestand der Stadt ist einsehbar unter www.ladenburg.de. Auf den Reiter "Leben und Wohnen" klicken und den Link Stadtarchiv aufrufen.