Winfried Kretschmann (l.) redete etwas länger, Susanne Eisenmann (r.) versuchte, ein paar Nadelstiche zusetzen. Moderiert wurde der Duell-Abend von SWR-Chefredakteur Fritz Frey. Foto: SWR
Von Sören S. Sgries
Stuttgart/Heidelberg. Inhaltliche Überraschungen brachte das TV-Duell zwischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann keine. Dafür eine "E-Mail-Affäre", die schon in der Nacht auf Dienstag zunächst intern, am Tag dann auch öffentlich debattiert wurde: Hatte Eisenmann tatsächlich keinerlei Kenntnis vom Kretschmanns "Impulspapier" zu möglichen Lockerungen, wie sie es im TV-Studio behauptete? "Vielleicht schickt’s mir mal jemand", hatte sie gespottet – fünf Tage, nachdem das Papier zumindest Teilen der Presse bekannt und vom Staatsministerium die Inhalte auch schon per Pressemitteilung verkündet worden waren.
Tatsächlich suchte Kretschmanns Team noch während der laufenden Live-TV-Sendung in den eigenen digitalen Postfächern – und präsentierte schnell einen für Eisenmann ziemlich vernichtenden Beleg: Bereits am 25. Februar, so legt ein Bildschirmfoto nahe, ging um 19.07 Uhr das "interne Inputpapier" per E-Mail an Eisenmanns Büroleiter.
Ministerpräsident Kretschmann erklärt in der Regierungspressekonferenz am Dienstagmittag auf Nachfrage von Journalisten: "Ich kann mich sehr genau erinnern, dass ich zu meinen Mitarbeitern gesagt habe: Das schickt ihr jetzt der Eisenmann." Es könne gar kein Zweifel bestehen, dass ihr das geschickt worden sei. "Ob sie das jetzt erreicht hat, darum habe ich mich nicht gekümmert."
Hatte die Kultusministerin also vor laufenden Kameras gelogen? Diesen Eindruck versuchte die Grünen-Parteispitze am Dienstag jedenfalls zu verstärken. "Es ist keine Lappalie, wenn Frau Eisenmann vor hunderttausenden Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern die Unwahrheit sagt, um den Ministerpräsidenten in ein schlechtes Licht zu rücken", schimpfte Landes-Chefin Sandra Detzer per Pressemitteilung. Sie forderte eine Richtigstellung Eisenmanns und eine Entschuldigung bei Kretschmann "für ihre Falschaussage". Auf Twitter echauffierten sich grüne Bundestagsabgeordnete wie Danyal Bayaz darüber, die CDU-Spitzenkandidatin habe versucht, Kretschmann als "Ego-Zocker" darzustellen.
Und wie verteidigt sich die CDU-Spitzenkandidatin, die sich plötzlich in der Defensive sieht? "Bei Ministerin Eisenmann ist das Impulspapier nie eingegangen", erklärt ihr Sprecher kurz vor 14 Uhr. "Auch ihr Büroleiter lässt ausrichten, bei ihm sei am Donnerstagabend keine Mail aus dem Staatsministerium angekommen." Und weiter fordert Eisenmanns Sprecher: "Grundsätzlich empfiehlt sich, Schreiben an eine Ministerin oder einen Minister auch an diese zu schicken – per Mail wie auch auf dem Postweg. Das sollte für ein Persönliches Büro eigentlich zu einem Standardvorgang gehören."
Dass Eisenmann nicht absichtlich log, davon darf man wohl ausgehen. Für die CDU-Spitzenkandidatin ist die Debatte trotzdem in mehrfacher Hinsicht unglücklich. Einerseits lief ihr – erkennbar vorbereiteter – Angriff auf Kretschmann ins Leere. Sie wollte offenbar das TV-Duell vor fast 800.000 Zuschauern nutzen, um am Selbstbild des "Teamplayers" Kretschmann zu kratzen. "Regieren ist eine Stilfrage", hatte seine Partei 2016 plakatiert. Und dann dem Koalitionspartner zentrale Strategiepapiere zur Krisenbewältigung vorenthalten – das wäre doch eher schlechter Stil.
Stattdessen reiht sich die verlorene Mail jetzt nahtlos ein in die Abfolge diverser Pannen, die ihre lange Wahlkampagne überschatten. Das Festhalten der Spitzenkandidatin am Amt der Kultusministerin: riskant – und durch die Corona-Pandemie mit all ihren Herausforderungen ein echter Ballast. Die frühe Festlegung auf Friedrich Merz als Wunschkandidat für den CDU-Bundesvorsitz: Im Nachhinein betrachtet ein Fehler. Die Plakatkampagne mit missverständlichen Texten, die der politische Gegner zu gern ausschlachtete: zumindest unnötig. Und jetzt eben die vergeigte Angriffschance im TV-Duell.
Immerhin scheint man zumindest im Kabinett wieder zum friedlichen Regierungsalltag zurückehren zu wollen. Eisenmanns Sprecher will "nun zügig über den Inhalt des Papiers diskutieren". Und auch Kretschmann sagte: "Ich würde gerne einen Wahlkampf führen, wo es um die Zukunftspläne dieses Landes geht – und nicht darum, ob jemand eine Mail bekommen hat."