Ungezähmte Wanderlust: Zwei Weltenbummler über ihr Leben unterwegs
Tini aus Hamburg kündigte ihren Job in einer Agentur um quer durch Australien, Neuseeland und Südostasien zu reisen - Liane, 25: "Ich war am glücklichsten als ich am wenigsten hatte"

Tini aus Hamburg tauschte ihren hippen Agenturjob gegen die Jagd nach dem nächsten Abenteuer. Zur Zeit arbeitet, surft und bloggt (www.lifeisbetterwhenyoutravel.com) sie auf Hawaii. Foto: privat
Von Annelie Brandner
Eimer werden zu Duschen, fremde Sofas zu Nachtlagern, auf Busfahrten Stoßgebete an den Karma-Gott gesprochen. Vorstellungen, die einen kalten Schweiß auf die Stirn treiben, lassen bei anderen die Augen leuchten. Ob Bob Marley am Lagerfeuer oder Piano an der Hotelbar: Wie, und vor allem wie gerne, wir reisen, könnte unser Erbgut bestimmen.
Wissenschaftler nehmen an, dass etwa jeder Fünfte Träger einer Mutation des Gens DRD4 ist. Menschen mit der Genvariante DRD4-7R wird ein Hang zum Risiko, Neugierde und Begeisterungsfähigkeit nachgesagt, gepaart mit Abenteuerlust. Melancholie, entdecken sie am Himmel ein Flugzeug, das ohne sie abgeflogen ist.
Fast 70 Milliarden Euro gaben die Deutschen 2014 für Urlaub im Ausland aus, über zwei Millionen gingen an Bord eines Ozeandampfers und fast 190 Millionen Menschen starteten oder landeten an deutschen Flughäfen. Die Lust am Reisen in Deutschland ist ungebremst - materielle Mittel, gute Bildung und die einfache Zugänglichkeit spielen dabei sicherlich eine entscheidende Rolle. Dass manchen Menschen Urlaub nicht ausreicht sondern sie ein Leben auf dem Sprung Sicherheit und Eigenheim vorziehen, könnte Studien zufolge an DRD4-7R liegen.
Hintergrund
Pauschal um die Welt jetten kostet meist viel Geld. Mit einfachen Tricks finanzieren sich Langzeitreisen fast wie von selbst.
> Flexibilität ist Trumpf: Bei Flugsuchmaschinen wie Skyscanner lassen sich Flugschnäppchen orts- und zeitunabhängig
Pauschal um die Welt jetten kostet meist viel Geld. Mit einfachen Tricks finanzieren sich Langzeitreisen fast wie von selbst.
> Flexibilität ist Trumpf: Bei Flugsuchmaschinen wie Skyscanner lassen sich Flugschnäppchen orts- und zeitunabhängig finden. Vielleicht entdeckt man dabei sogar bislang unbeachtete Destinationen. Am günstigsten fliegt man unter der Woche.
> Abenteurer nächtigen kostenlos auf den Sofas dieser Welt. Schlafplätze findet man auf: couchsurfing.com. Zusätzlicher Vorteil: Besser lernt man Land und Leute kaum kennen.
> Wer gerne längere Zeit an einem Ort verbringt, kann auf workaway.com Arbeitskraft gegen Kost und Logis tauschen. Beliebt ist auch das wwoof’en (World-Wide Opportunities on Organic Farms). Mit Farmarbeit wird so das Budget aufgebessert.
> Für alle, die von Flughafenluft nicht genug bekommen, wäre ein Nebenjob als Flugkurier vielleicht das Richtige. Im Auftrag von Unternehmen befördert man dabei Dokumente oder Ersatzteile von A nach B.
> Fast überall auf der Welt zeigen Locals Touristen bei Free-Walking-Tours ihre Stadt. Ein absolutes Muss für alle reise-gen-geplagten Wagemutigen ist "The Lonely Planet Guide To Experimental Travel". Spielerisch lassen sich so die Fremde erkunden - und Kosten für Führungen sparen.
(anbr)
Zwei junge Frauen, in deren Genen das Reisen fest verankert ist, berichten in der Zeitjung von ihrem unkonventionellen Lebensstil.
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Um ihren Traum zu leben, treffen Menschen Entscheidungen, die für Außenstehende oft wenig rational scheinen. Zu diesen Menschen gehört Tini aus Hamburg. Ein Auslandssemester in Sydney ließ sie nach dem Studium nicht auf den deutschen Arbeitsmarkt, sondern in die Karibik streben. Nach einiger Zeit Freiwilligenarbeit in einer mexikanischen Sprachschule beugte sie sich den Konventionen und gab dem "normalen" Leben eine Chance. Sie kehrte nach Hamburg zurück, ergatterte einen unbefristeten Job in einer Agentur, hatte Wohnung und Freunde. Aus dieser Routine schreckte sie auf: "Ich merkte, dass mich dieses ’9-to-5-Leben’ nicht glücklich macht. Ich tat das für mich einzig Richtige - ich kündigte und buchte ein One-Way-Ticket nach Sydney." Mehrere Jahre ist sie nun unterwegs: Australien, Neuseeland, Südostasien. Immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer: "Dinge besichtigen langweilt mich. Ich will erleben, anfassen, schmecken, ausprobieren. Den Berg nicht anschauen, sondern snowboarden gehen." Zur Zeit lebt Tini auf Hawaii; bloggt, jobbt, reist und ist glücklich.
Ebenso geht es Liane. Die 25-Jährige studierte Soziale Arbeit, dann packte sie ihre Koffer. 17 Monate reiste sie um die Welt und ließ sich treiben: "Wie lange man bleibt, entscheidet der Ort, die Menschen." Viel Geld benötigt sie für ihre Reisen nicht: Couchsurfen, trampen, das Zelt immer dabei. "In Alaska ging mir das Geld aus, ich schlief in meinem Zelt. Alleine im Nirgendwo - eine unglaubliche Erfahrung: Ich war am glücklichsten als ich am wenigsten hatte", erzählt die Weltenbummlerin. In New York State lebte sie mit Schamanen, in Nicaragua wurde sie von einem Hund gebissen, in Costa Rica und Panama suchte sie verzweifelt nach einer Tollwutimpfung, in Kolumbien fand sie Impfung und einen Job in einem Hostel. Der ganz normale Wahnsinn. Schon mit 15 machte sie sich auf, europäisches Ausland zu erkunden. Ihre Eltern sehen die Reiselust ihrer Tochter mit gemischten Gefühlen: Der Vater ist begeistert, für den Seelenfrieden ihrer Mutter verzichtete Liane auf einen Abstecher nach Mexiko. "Das Reise-Gen liegt definitiv in der Familie, auch meine beiden Geschwister leben im Ausland.", berichtet sie.
Natürlich hat auch ein Leben mit dem Reise-Gen seine negativen Seiten. Beiden Frauen fehlen Familie und Freunde. "Ich hatte regelrecht Panik, dass der Kontakt abreißt, auch durch sehr unterschiedliche Lebensentwürfe. Aber auf Reisen verzichten war keine Option, die Sehnsucht ist zu groß", meint Liane. Smartphone sei Dank liegen Welten heute nur noch eine WhatsApp auseinander. Besonders schwierig findet Tini den Abschied von Weggefährten: "Gerne würde ich all’ die fantastischen Leute, die ich unterwegs kennenlerne, in meinen Rucksack stecken. Andererseits habe ich nun überall auf der Welt Freunde." Heimisches Essen wie eine frische Brezel mit Kräuterquark vermissen beide. "Dafür wird man ’pflegeleicht’. Kaltwasserduschen und Spinnen sind kein Problem mehr."
Aktuell ist Liane zurück in Deutschland - arbeiten, Geld sparen für das nächste Abenteuer. Nach Japan soll es gehen, und nach Afrika. Eines Tages würde sie am liebsten ihre eigene Non-Governmental Organisation gründen: "Ich habe so viel Gastfreundschaft auf meinen Reisen erfahren, irgendwann möchte ich etwas zurückgeben."
Auch Tini weiß, wie ihre Zukunft aussehen soll: "Mein Freund und ich wollen uns einen Van kaufen. Ein Roadtrip von Kalifornien nach Argentinien ist geplant. Vielleicht finden wir unterwegs einen Ort, an dem wir sesshaft wenden. Einzige Bedingung: Wellen - für unser Surfhostel."
Ob es in unseren Genen liegt oder nicht, sich in ein unbekanntes Abenteuer stürzen belohnt mit Momenten, die Faust hätten den Pakt mit dem Teufel verlieren lassen. Wer nie nachts ins Meer gesprungen ist, weiß nicht wie es sich anfühlt, in Sternen zu schwimmen.