Bereuen Sie, als Frau zur Welt gekommen zu sein?
Ingrid Michligk und Uta Schadt haben viel erlebt. Selbstständigkeit und Liebe - das ist es, was für sie zählt

Von Anja Hammer
Die Erfahrungen, die Ingrid Michligk und Uta Schadt in ihrem Frauenleben gemacht haben, könnten kaum unterschiedlicher sein. Und trotzdem eint die beiden etwas. Wenn sie zurückschauen, sagen sie: "Ich bin zufrieden mit meinem Leben." Mit RNZ-Redakteurin Anja Hammer haben die 92-jährige Sandhäuserin und die 83-jährige Wieblingerin ganz offen über innere Stärke, Unterdrückung und Gleichberechtigung gesprochen.
Hintergrund
Ingrid Michligk wuchs in Potsdam auf, überlebte die Bombenangriffe, half als Trümmerfrau beim Wiederaufbau und erinnert sich an ihren ersten Weltfrauentag Mitte der 50er Jahre in der DDR: "Das war eine alberne Veranstaltung: Die Männer haben uns Frauen mit Kaffee und Kuchen
Ingrid Michligk wuchs in Potsdam auf, überlebte die Bombenangriffe, half als Trümmerfrau beim Wiederaufbau und erinnert sich an ihren ersten Weltfrauentag Mitte der 50er Jahre in der DDR: "Das war eine alberne Veranstaltung: Die Männer haben uns Frauen mit Kaffee und Kuchen bedient und ein großes Brimborium darum gemacht." Die gelernte Erzieherin flüchtete in den 60ern mit ihrem Mann in den Westen. In Sandhausen fanden die beiden eine neue Heimat, doch in das gemeinsame Haus musste sie doch alleine einziehen, nachdem sie ganz unerwartet Witwe geworden war. In dem Haus wohnt die 92-Jährige noch heute.
Uta Schadt stammt aus Bad Mergentheim. Sie begann zunächst eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und ließ sich dann zur Lehrerin weiterbilden. "Als Frau konnte man damals nur Kindergärtnerin, Kinderkrankenschwester oder Lehrerin werden", weiß sie noch genau. Mit ihrem Mann, der bei der Bundeswehr beschäftigt war, zog sie zunächst häufig um und blieb Ende der 70er Jahre schließlich alleine mit den beiden Kindern in Schleswig Holstein. Die Scheidung folgte einige Jahre später. Nach der Pension zog sie nach Mauer und seit einigen Jahren wohnt die 82-Jährige im Heidelberger Stadtteil Wieblingen.
Frau Michligk, Frau Schadt, haben Sie es jemals bereut, dass Sie als Frau zur Welt kamen?
Uta Schadt: Ja, als Kind und als Jugendliche ganz oft. Mein Vater hatte kein Interesse an seiner Tochter. Er hat mich nicht einmal mit Namen angesprochen. Meine beiden Brüder waren dagegen viel anerkannter, ihre Meinung hörte er an. Auch im eigenen Berufsleben habe ich gemerkt, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Obwohl an den Schulen hauptsächlich Frauen arbeiteten, hatten die wenigen Männer die Funktionsstellen. Als ich Konrektorin wurde, wurde ich von denen nicht respektiert. Auch mein Mann hatte eine besondere Position in unserer Ehe … Er hatte mehr Interesse an seinen Freundschaften und kam abends spät nach Hause. Ich habe unter seiner Untreue sehr gelitten.
Ingrid Michligk: Ich staune, wenn ich so etwas höre. So etwas habe ich nicht einmal ansatzweise erlebt. Ich habe es immer genossen, eine Frau zu sein, und bin immer anerkannt gewesen. Unter einer solchen Unterdrückung hätte ich sehr gelitten.
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Was macht Sie heute als Frau aus?
Ingrid Michligk: Die Kraft, die ich in mir habe. Ich kann mich am eigenen Kragen packen und alleine aus dem Sumpf ziehen. Als mein Mann etwa plötzlich gestorben ist, musste ich alleine in das Haus ziehen, das wir kurz zuvor gekauft hatten. Ich hatte mir handwerklich viel von ihm abgeschaut und habe viel selbst gemacht. Beschäftigung hilft. Heute gehe ich zur Akademie für Ältere, habe mir einen Computer angeschafft und kann so Kontakt mit meinen Enkeln haben.
Uta Schadt: Als Frau hat man einen anderen Zugang zu den nächsten Generationen. Meine Stärke ist, dass ich mich gut in Jüngere reindenken kann und Verständnis habe für Frauen, die anders sind. Ich merke zum Beispiel einen großen Unterschied zu Frauen, die 15 Jahre jünger sind als ich. Sie können frei sprechen – das habe ich nie gelernt. Aber ich finde, die Frauen in der Generation vor uns, die haben ein wirklich schwieriges Leben gehabt. Ich hätte so ein Leben in Abhängigkeit nicht führen wollen.
Ingrid Michligk: Das kann ich von meiner Mutter nicht sagen. Sie war selbstbewusst und Abhängigkeit habe ich bei ihr nicht erlebt. Die Ehe meiner Eltern war harmonisch und so weit ich das beurteilen kann, war auch die Ehe meiner Großeltern freundlich.
Wie hat sich denn das Frausein für Sie im Laufe Ihres Lebens geändert?
Ingrid Michligk: Ich habe früh geheiratet, mit 21. Dann kamen die Kinder … Ich hatte 44 gute Jahre mit meinem Mann. Das wünsche ich jedem. Wir haben alles gemeinsam geplant und entschieden. Erst durch den Tod meines Mannes hat sich vieles für mich geändert.
Uta Schadt: Ich bin als Frau daran gewachsen, dass ich Beruf und Familie vereinbaren konnte, ohne dass die Familie großen Schaden nahm. Als Berufstätige musste ich zwar meinen Sohn auch mal krank alleine zu Hause lassen – aber er hat das gut weggesteckt. Die Frauen von heute sind zerrissener. Sie befinden sich in einem viel stärkeren Zwiespalt zwischen Familie und Beruf.
Und wie ist das mit der Gleichberechtigung: Hat sich das mit der Zeit gebessert?
Ingrid Michligk: Im Gegenteil! In der DDR waren wir gleichberechtigter als heute!
Uta Schadt: Ich meine, dass Frauen nach wie vor nicht gleichberechtigt sind. Das sieht man doch schon in der Politik: Da sieht man Männer, Männer, Männer und mal eine Frau. Das bildet unsere Gesellschaft nicht ab.
Sie meinen, Haushalt ist eine Frauenaufgabe?
Uta Schadt: Nein. Wenn die Frau berufstätig ist, kann sie nicht auch noch Hausfrau sein. Da muss man sich Entlastung holen.
Ingrid Michligk: Ja, wenn beide arbeiten, muss man sich das leisten können.
Welchen Rat würden Sie jüngeren Frauen mit auf den Weg geben?
Ingrid Michligk: Dass sie die Liebe ganz oben anstellen. Die Liebe hat einfach eine zentrale Bedeutung im Leben. Wenn ich sehe, wie glücklich meine Enkelin mit ihrem Mann und ihren Kindern ist, kommen mir die Tränen der Rührung. Und auch ich hatte das Glück, diesen Mann zu treffen.
Uta Schadt: Keinen Rat, aber ich habe einen Wunsch für sie. Ich wünsche mir für die jungen Frauen, dass sie ihre Selbstständigkeit nicht verlieren. Dass sie auch mit Familie weiter berufstätig sein können – und dass sie eine Umgebung haben, die sie anerkennt, stärkt und – falls gewünscht – Unterstützung bietet.