Lohnt sich "Die Kalten und die Toten"?
RNZ-Check: Rubin und Karo setzen im Berliner "Tatort" mauernde Zeugen unter Druck und schießen übers Ziel hinaus.

Von Philipp Weber
Sie gilt als "Firewall" der Seele: die Verdrängung. Sie hält bedrohliche Wahrheiten aus dem Bewusstsein heraus, bewahrt Menschen im Extremfall vor dem Zerbrechen. Doch der Preis ist hoch, wenn nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein Beispiel dafür soll der neue Hauptstadtkrimi liefern: "Die Kalten und die Toten". Die Kommissare Nina Rubin und Robert Karow prallen bei ihrer Arbeit auf Mauern des Schweigens – und packen schließlich die Abrissbirne aus.
Was ist passiert? Berlin vibriert, Berlin tanzt, Berlin liebt. Und am nächsten Morgen ist eine junge Frau tot. Die Leiche der "Medizinstudentin an der Charité" (wo sonst?) wird nackt und mit eingeschlagenem Schädel gefunden. Schnell gerät ein junges Paar in den Fokus der Ermittler. Das Opfer hatte die beiden über eine Dating-App kennengelernt.
Worum geht es wirklich? Schweigen, Tabuisieren und Verdrängen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungen. Die Eltern des Opfers wollen nicht wahrhaben, dass ihre Tochter tot ist. Deren Bisexualität passt ohnehin nicht in ihre Moralvorstellungen. Noch schlimmer sind die Eltern des Hauptverdächtigen. Dessen Mutter Doris (mit beeindruckender Leistung: Jule Böwe) trägt als Streifenpolizistin Uniform, hat daheim aber weder den delinquenten Sohn noch den betrügenden Ehemann im Griff.
Wie schlagen sich die Kommissare? Um es mit der groben Berliner Schnauze zu sagen: Rubin hat die Faxen dicke. Sie will die mauernden Zeugen knacken, notfalls mit "Psychoquark", sprich: Druck. Karow zögert, um dann mit umso mehr Härte mitzumachen. Wenig überraschend: Am Ende steht die tränenreich bekundete Erkenntnis, übers Ziel hinausgeschossen zu sein.
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Was ist die Stärke dieses Tatorts? Dank Jule Böwes gekonntem Spiel kann man sich in die Tragödie einer Frau einfühlen, die es allen recht machen will – und daran am Ende beinahe zerbricht.
Was sind die Schwächen? Techno, Partys, Orgasmen: Das Image von der "sexy" Hauptstadt wird arg übertrieben zelebriert. Aber vielleicht sind wir Provinzler ja auch nur neidisch. Schlimmer ist: Mit dem exzessiv ausgetragenen Psychokrieg der Kommissare gegen die zum Teil hilflosen Zeugen – und nicht etwa gegen den widerwärtigen Hauptverdächtigen – verlässt dieser "Tatort" den Rahmen an Plausibilität, der diese Qualitätsreihe trotz aller literarischen Freiheiten ausmacht. Im Grunde schießt der Film damit leider genauso weit übers Ziel hinaus wie seine beiden (Anti-)Helden.
Und sonst noch? Rubin und Karow haben einen neuen Kollegen. Malik Aslan (dargestellt von Stand-up-Comedian Tan Caglar) unterstützt die Ermittler vom Schreibtisch aus, um den herum er seine Arbeitsergebnisse im kreativen Chaos auf dem Boden gruppiert. "Ich laufe nicht davon", sagt der Neue am Telefon. Es bleibt nicht der einzige selbstironische Scherz: Aslan sitzt im Rollstuhl. Die Sprüche hat er aber eigentlich nicht nötig: Der Neue wird als akribischer Rechercheur vorgestellt und macht auf der Karaokeparty der Polizei eine klasse Figur.
Was kann man von diesem Tatort fürs Leben lernen? Um ehrlich zu sein: wenig.
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Ein "Bücher sollen ja auch gut sein" hat dieser "Tatort" sicherlich nicht verdient. Die ARD hat aber definitiv schon bessere Krimis geboten. Sagen wir es so: Es ist zumindest keine Fernsehsünde, den Sonntagabend nicht vor der Glotze zu verbringen.