Philosophin Claudia Blöser über Hoffnung
Sie spricht über das, was gerade so schmerzlich vermisst wird: den Silberstreif am Horizont.

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... lehrt derzeit als Professorin für Philosophie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Universität Augsburg.
Von Constanze Kleis
Augsburg. Sie hat nicht nur ein Physik-Diplom, sondern promovierte und habilitierte auch im Fach Philosophie. Ihr Forschungsschwerpunkt dort: "Philosophie der Hoffnung". Seit Oktober lehrt die Professorin Claudia Blöser an der Universität Augsburg "Hoffnungen in Krisenzeiten" und hat gerade in der Reclam-Reihe "100 Seiten" über Immanuel Kant und seinen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft der Menschheit veröffentlicht – bei zutiefst pessimistischer Einschätzung (er sah den Menschen als "aus krummem Holze" geschnitzt an).
Kriege, Klimawandel – die Hoffnung scheint sich gerade rar zu machen. Gibt es Zeiten, die hoffnungsloser sind als andere? Oder ist es unser Blick darauf, der den Unterschied macht?
Hintergrund
BIOGRAFIE
Name: Claudia Blöser
Geboren am 16. Januar 1980 in Frankfurt.
Werdegang: Claudia Blöser absolvierte zunächst ein Physikstudium mit Nebenfach Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt, bevor sie Philosophie studierte und
BIOGRAFIE
Name: Claudia Blöser
Geboren am 16. Januar 1980 in Frankfurt.
Werdegang: Claudia Blöser absolvierte zunächst ein Physikstudium mit Nebenfach Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt, bevor sie Philosophie studierte und zum Thema "Zurechnung bei Kant: der Zusammenhang von Person und Handlung in Kants praktischer Philosophie" mit summa cum laude promovierte. Sie ist spezialisiert auf praktische Philosophie im weitesten Sinne, einschließlich der Geschichte der Ethik (hauptsächlich Kant), der Moralpsychologie (insbesondere Verzeihen, Hoffnung und Philosophie der Emotionen im Allgemeinen) und praktischer Rationalität.
Privat: Claudia Blöser lebt mit ihrem Mann und Kind in Frankfurt und lehrt derzeit als Professorin für Philosophie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Universität Augsburg.
Es gibt Zeiten, in denen es schwerer ist, Hoffnung zu bewahren, als in anderen. Wer angesichts von Kriegen und Klimawandel nicht zumindest zeitweise hoffnungslos wird, scheint die Schwere der Probleme nicht richtig zu erfassen. Aber es ist auch in Krisenzeiten möglich, "trotz allem" zu hoffen – und das hat dann tatsächlich mit einem veränderten Blick auf die Welt zu tun.
Ist ein hoffnungsloses Leben überhaupt vorstellbar? Wir würden doch vermutlich einfach im Bett liegen bleiben, wenn wir nicht wenigstens die Hoffnung hätten, dass dieser neue Tag vielleicht ein besserer wird als der gestrige.
Als Menschen brauchen wir Zukunftsperspektiven. Wir können auf vieles hoffen – von einem entspannten Weihnachtsfest bis zu einem Ende der Kriege in der Ukraine und in Israel –, doch im allgemeinsten Sinn ist Hoffnung eine Haltung gegenüber der Zukunft: dass die Zukunft Gutes bringen kann. Wenn man diese allgemeine Hoffnung aufgibt, gibt man im Grunde sich selbst auf. Vorstellbar ist das leider, wenn man zum Beispiel an Depressionen denkt. Fast jeder Mensch kennt aber zumindest Phasen der Hoffnungslosigkeit, die glücklicherweise nicht von Dauer sind.
Trübt Hoffnung auch die Wahrnehmung? Gerade in der Politik scheinen "falsche Hoffnungen" – zum Beispiel, dass alles für alle gut wird, wenn die Sache mit dem Asyl abgeschafft wird – so etwas wie der Generalschlüssel zum Wählerherzen zu sein.
Ja, das ist eine Gefahr, die mit Hoffnung verbunden ist. Wenn wir etwas stark wünschen, können wir die Realität oft nicht klar sehen. Und Hoffnungen können – gerade in politischen Kontexten – missbraucht werden. Da sieht man, wie leicht die Rede von Hoffnungen beziehungsweise das Wecken von Hoffnungen große Wirkung entfalten kann – manchmal leider zu leicht. Gleichzeitig finde ich es aber wichtig, dass Politik auch Hoffnung macht – es darf eben keine falsche Hoffnung sein.
Es ist oft von "falschen" Hoffnungen die Rede – wie erkenne ich denn die "richtigen"?
Man muss sich fragen: Ist das, worauf die Hoffnung gerichtet ist, wirklich etwas Gutes? Und: Hat es eine Chance, und sei sie auch noch so klein, realisiert zu werden? Um diese Chance einzuschätzen, braucht man Klarsicht, also eben keine verzerrte Wahrnehmung der Fakten. Es ist gar nicht so leicht, richtige von falschen Hoffnungen zu unterscheiden, aber es ist möglich.
Gerade haben viele Kinder die große Hoffnung, dass das Christkind oder der Weihnachtsmann ihnen schöne Geschenke bringt – sollte man denen nun sagen, dass es beide gar nicht gibt? Damit sie sich "richtige" Hoffnungen machen – nämlich, dass die Eltern schon die Wünsche erfüllen werden?
Von Kindern erwarten wir ja generell weniger Vernünftigkeit als von Erwachsenen – warum dann ausgerechnet bei den Weihnachtshoffnungen so streng sein? Es gibt aber Kinder, die richtig enttäuscht und wütend sind, wenn sie verstehen, dass ihre Hoffnung auf das Christkind auf einem Märchen beruht.
Eltern sollten also möglichst Sensibilität dafür entwickeln, welche Hoffnungen zu ihrem Kind passen und wie sie den Zauber des Weihnachtsfests erhalten können, ohne dass später beim Kind das Gefühl zurückbleibt, angelogen worden zu sein. Aber das Magische um Weihnachten scheint mir auch als Mutter ganz wichtig – nur zu hoffen, dass Eltern Wunsch- oder Bestelllisten abarbeiten, würde Weihnachten endgültig der Konsumlogik unterordnen.
Worin liegt der Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus?
Beim Optimismus nimmt man an, dass das, was man sich wünscht, ziemlich wahrscheinlich eintritt. Dagegen kann man auf etwas hoffen, das man für äußerst unwahrscheinlich hält. Zum Beispiel auf einen Sechser im Lotto. Man sagt also vermutlich nicht: "Ich bin optimistisch, dass ich ab Samstag mehrfacher Millionär bin, also bestelle ich schon mal die Yacht." Hoffnung richtet sich nicht auf das Wahrscheinliche – daher kann man ja auch auf ein Wunder hoffen. Das heißt aber nicht, dass Hoffnung von der Welt entkoppelt ist, denn es kann durchaus Gründe für Hoffnung geben.
Die Chancen auf einen Sechser mit Zusatzzahl stehen beim Lotto 1:139.838.160. Bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass Menschen, die trotz allem auf das nahezu Unmögliche hoffen, naiv sind?
Das ist der ewige Vorwurf, den man der Hoffnung macht. Aber Hoffnung nimmt ja von vorneherein nicht an, dass der Ausgang wahrscheinlich ist, deswegen kann die hoffende Person durchaus sensibel für Fakten und neue Informationen sein. Selbst solche, die gegen das Erhoffte sprechen.
Man kann hoffen und trotzdem responsiv auf die Welt und in diesem Sinne realistisch sein. Vernünftige Hoffnung braucht Klarsicht. Und die führt dann auch dazu, dass Hoffnungen sich verändern. Dass man sie nicht ganz aufgeben muss, sondern dass man sie umlenkt, neu definiert, neue Gegenstände findet, an denen sie sich entzündet.
Zum Beispiel?
Wenn Sie einen Unfall haben, der Sie in den Rollstuhl bringt, werden Sie vielleicht die Hoffnung auf eine große sportliche Karriere aufgeben müssen. Aber wenn Sie trotzdem die Hoffnung auf ein sinnvolles Leben aufrechterhalten, können Sie neue Aufgaben finden und dann zum Beispiel als Coach ihre Berufung finden – als jemand, der anderen Hoffnung gibt, dass es ein lebenswertes Leben nach so einem Ereignis gibt. Hoffnung ist fluide. Sie kann sich anpassen.
Weil es schwer ist, das Hoffen ganz aufzugeben?
Wir wissen aus zahlreichen Studien, wie Hoffnung Menschen stabilisiert und trägt. Selbst in ganz schwierigen Situationen, wo man vielleicht die großen Hoffnungen schon aufgeben musste, zum Beispiel die darauf, wieder gesund zu werden. Dann hofft man vielleicht, dass morgen die Sonne scheint und man den Ausflug machen kann, den man schon lange geplant hat.
Interessant finde ich auch die Art von Hoffnung, die im Grunde gar nicht enttäuscht werden kann. Die Hoffnungen, die mich mit Vorfreude erfüllen, Sinn stiften, aber ohne die Risiken der Enttäuschung. Wenn ich etwa darauf hoffe, dass man mich in guter Erinnerung behalten wird – ohne das später abfragen zu müssen oder zu können. Man kann sich wirklich "Hoffnungen machen", den Fokus auf die Möglichkeit des Guten richten – ohne sich auf das total Unwahrscheinliche zu fixieren.
Wenn ich etwa die Hoffnung auf den Neurochirurgen mit Pilotenschein aufgebe, meine Suche nach dem Traummann einem deutlichen Down-grade unterziehe und mich vielleicht eher in der Buchhaltung umschaue?
Mit zu viel Kalkül würde ich allerdings auch das Potenzial der Hoffnung verschenken. Hoffnung ist eben nicht dasselbe wie Realismus. Hoffnung geht schon über die Fakten hinaus, sie verschiebt die Grenzen, in denen man sich sonst bewegt. Vergrößert den Aktionsradius des Möglichen. Und Hoffnung erfordert Mut. Weil man sich auch verletzlich macht, wenn die Option der Enttäuschung immer mit eingepreist ist.
Getreu dem kategorischen Imperativ "Erwarte das Unmögliche"?
Wir können nicht auf das hoffen, was wir tatsächlich für unmöglich halten. Das wäre auch wirklich irrational. Aber oft ist ja gar nicht klar, was unmöglich ist und was ich für unmöglich halten muss. Deshalb würde ich es umformulieren: Halte nicht vorschnell etwas für unmöglich.
Hat die Hoffnung auch so etwas wie sedierende Wirkung? Wenn ich auf etwas hoffe, brauche ich nichts mehr dafür zu tun ...
Es gibt den schönen Spruch "hope for the best, plan for the worst" (Hoffe auf das Beste, plane für das Schlimmste, Anm. d. Red). Der trifft es sehr gut. Ob Hoffnung inaktiv macht, ist auch in der Philosophie eine viel diskutierte Frage. Ich würde sagen, Hoffnung führt eher zum Handeln, weil sie ein Ziel vorgibt. Sie ist das Gegenteil von Resignation und Verzweiflung. Und in manchen Situationen, wo viel auf dem Spiel steht und der Erfolg sehr unsicher ist, kann man vielleicht sogar sagen: Ohne Hoffnung würde ich womöglich gar nichts tun. Aber sicher geht genauso die Gefahr der Passivität mit ihr einher.
Indem ich hoffe, gestehe ich ein, dass das Erhoffte nicht nur von meinen Handlungen abhängt, sondern vielleicht von anderen Menschen oder vom Zufall. Und wenn ich dann diese Abhängigkeit von diesen äußeren Faktoren als zu stark einschätze, dann höre ich eben auf, etwas dafür zu tun.
Ist das auch die Erklärung, weshalb immer mehr Menschen sich nicht sozial engagieren, sondern ihre Hoffnungen mit einem Kreuz bei der AfD zum Ausdruck bringen?
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung können zu Verzweiflungstaten führen. Ich denke, wenn Menschen politisch keine Perspektive sehen und insofern hoffnungslos werden, versuchen sie, zu anderen Mitteln zu greifen, um ihre Interessen durchzusetzen. Diese Menschen schaffen sich dann eigene Hoffnungen. Jene Art von Hoffnungen, die sich entweder gar nicht erfüllen lassen können oder die irrational sind. So wie die Hoffnung auf einfache Lösungen. Da wäre es Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass im aktuellen demokratischen System Hoffnung existieren kann. Und dass diese Hoffnung auf einem Vertrauen in die Demokratie basiert.
Wir können morgens aufstehen und haben schon einige Hoffnungen auf der Habenseite: etwa, dass uns keine Bomben auf den Kopf fallen – und man fragt sich, wie kann man leben, ohne diese Basisversorgung an Hoffnung?
Hoffnung ist auf jeden Fall mit Perspektive verbunden. Der Silberstreif am Horizont. Sogar dann, wenn wir – noch – gar nicht wissen, was das sein soll. Der amerikanische Philosoph Jonathan Lear hat dafür den Begriff der radikalen Hoffnung geprägt. Er meint damit die Hoffnung auf eine Zukunft, von der wir noch keine Begriffe und Vorstellungen haben. Diese Hoffnung hält dennoch daran fest, dass die Zukunft etwas Gutes bringen wird – ohne dass man weiß, was dieses Gute sein könnte. Und ohne, dass es in der Gegenwart dafür irgendeinen Anhaltspunkt gibt. Radikale Hoffnung ermöglicht eine Offenheit dafür, dass es irgendwann doch besser wird.
Das klingt ziemlich nach dem, was man ja auch Gottvertrauen nennt …
Es ist aber durchaus vernünftig. Um zu hoffen, muss man darauf vertrauen, dass Menschen auch gute Anlagen haben. Dass es bessere Zeiten und friedliche Zustände geben wird. An dieser Hoffnung müssen wir festhalten. Und wir können es. Denn es kann uns niemand das Gegenteil beweisen. Und es gibt ja immer auch Zeichen von Hoffnung. Diese zu sehen, setzt allerdings voraus, dass man ihnen auch Aufmerksamkeit widmet. Die Hoffnung gerät immer wieder in Verdacht, dass sie das Schlechte verleugnet. Aber es gibt auch die spiegelbildliche Gefahr: dass man das Gute nicht mehr wahrnimmt. Dinge, die tatsächlich Anlass zur Hoffnung geben.
Befinden wir uns gerade in so einer Phase, wo dem Guten wenig Aufmerksamkeit zuteilwird – und also der Hoffnung gerade der Nährstoff knapp wird?
Das ist nicht empirisch abgesichert. Aber ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die vielen Krisen – der Krieg in der Ukraine und in Israel und zuvor die Corona-Krise, die Klimakrise – es den Menschen schwer machen zu hoffen. Dass aber damit auch der Ruf nach Hoffnung wieder lauter wird. Man merkt, dass das Bedürfnis da ist. Das ist das große Hoffnungs-Dilemma: Hoffnung wird dann besonders gebraucht, wenn sie am schwersten zu haben ist. Und dann hat sie immer auch einen schweren Stand, weil sie mit dem Vorwurf kämpft, unrealistisch und blauäugig zu sein. Gleichzeitig gibt es auch viele Stimmen, die sagen: Ohne die Hoffnung, dass es besser werden kann, können wir gleich einpacken.
Wie kamen Sie zur Hoffnung?
Ich hatte eine Schwester, die sehr jung an Krebs starb – da ist mir das Thema zum ersten Mal begegnet. Ich wollte wissen, was Hoffnung eigentlich ist. Was bedeutet es, wenn man auf Heilung hofft, obwohl alles dagegenspricht? Ist es gut? Ist es schlecht? Und in der Philosophie erlebt die Hoffnung gerade eine Renaissance. Lange hatte sie einen schweren Stand wegen ihres engen Bezugs zur Theologie, von der sich die Philosophie emanzipiert hat. Hoffnung spielte kaum eine Rolle – abgesehen von einer Hoffnungs-Renaissance im 20. Jahrhundert bei den politischen Utopien. Aber Utopien – wie etwa der Sozialismus – hatten irgendwann auch nur noch wenige Anhänger. Ich fand das Thema spannend – weil es mit meinem Leben zu tun hat und anschlussfähig an philosophische Debatten ist.
Haben Sie die Antworten gefunden, die Sie gesucht haben?
Da bin ich privat wie beruflich immer noch auf der Suche. Es gibt keine Definition der Hoffnung, die in der Philosophie Bestand hätte oder auch nur einen weiten Konsens fände. Aber man lernt auch viel über ein Phänomen, indem man versucht, es zu definieren.
Hoffnungen gibt es in vielen Gewichtsklassen. Welches ist Ihre größte und die im Moment kleinste?
Eine große, persönliche Hoffnung hat sich mit einer Professur für Philosophie erfüllt – nun habe ich die Hoffnung, diese Stelle gut auszufüllen. Eine kleine Hoffnung ist, dass der Wintersalat in unserem Hochbeet noch etwas wird. Dafür muss ich auch was tun: jeden Tag die herabgefallenen Blätter von den Pflänzchen sammeln.