Plus Prägend fürs Leben

Das sagt Familienberaterin Christiane Yavuz über Mütter und Töchter

Die studierte Sozialpädagogin arbeitet als Mediatorin, Coach und Familienberaterin in Mannheim. Ute Teubner sprach mit ihr über Abgrenzung und gesundes Streiten, Mental Load und alte Mythen.

09.05.2025 UPDATE: 11.05.2025 04:00 Uhr 6 Minuten, 53 Sekunden
Foto: Getty/RNZ-Grafik​
Interview
Interview
Christiane Yavus

Familienberaterin, Mediatorin und Coach.

Von Ute Teubner

Manchmal kann es notwendig sein zu eskalieren", meint Christiane Yavuz mit Blick auf die Mutter-Tochter-Beziehung. Denn die ist meistens nicht nur innig, sondern eben oft auch schwierig – und in jedem Fall prägend fürs Leben. Sie birgt ganz viel Liebe und mindestens ebenso viel Konfliktpotenzial – doch warum ist das so? Und vor allem: Wie lässt sich diese sehr spezielle Beziehung auf gesunde Füße stellen? In ihrem Buch "Tochter sein auf Augenhöhe" geht Yavuz genau diesen Fragen auf den Grund.

Frau Yavuz, wann sind Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter aneinandergeraten?

Oh, das ist tatsächlich noch gar nicht so lange her. Ich erinnere mich gerade an eine Situation, bei der ich wutentbrannt das Haus verlassen habe. Es ging, glaube ich, um Grenzen. Und um alte Themen, die schnell mal wieder aufflammen in der heiklen Mutter-Tochter-Beziehung.

Was genau sind das für Themen?

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Da geht es oft um Abgrenzungsthemen. Kindererziehung beispielsweise oder darum, im eigenen Erwachsensein ernst genommen zu werden. Das sind übrigens auch die klassischen Themen, mit denen viele Frauen zu tun haben.

Dann scheint es ja zu stimmen, dass uns Frauen niemand so sehr auf die Palme bringt wie die eigene Mutter ...

Das ist eine Beobachtung, die ich bei vielen Frauen mache und die auch auf mich zutrifft ... obwohl ich ein relativ ruhiger Mensch bin. Bei mir sind es die eigene Mutter und die eigenen Kinder, die mich zum Eskalieren bringen können.

Aber weshalb ist ausgerechnet die Beziehung zwischen Mutter und Tochter so schwierig?


"Viele Frauen beschreiben, dass das Tochtersein unheimlich Kraft kostet, weil da so viel emotionale Arbeit drinsteckt. Manche müssen sich nach Besuchen bei der Mutter erst mal drei Tage erholen, weil das so aufwühlend war."


Wahrscheinlich, weil es die erste prägende, gleichgeschlechtliche Identifikationsbeziehung im Leben der meisten Frauen ist. In der Regel spielt die Mutter in der Kindheit die bedeutendste Rolle. Sie ist auch diejenige, die die Konfliktpersönlichkeit prägt – also einen großen Einfluss darauf hat, wie wir Fähigkeiten zur Konfliktlösung lernen. Außerdem dauert die Beziehung zur Mutter in der Regel ein Leben lang. Somit entwickelt sich natürlich auch eine lange gemeinsame Konflikthistorie: Das fängt in der Kindheit an und zieht sich durch sämtliche – auch umwälzende – Lebensphasen wie Pubertät, Erwachsenwerden und eigene Familiengründung, die Anlass für Reibung geben. Die Besonderheit dieser Beziehung hat also gute Gründe. Die Beziehung zur eigenen Mutter ist immer eine, die hoch emotional ist und auch sein darf.

Sie haben gerade spezielle Phasen im Leben angesprochen ...

Das sind Phasen, die eine gewisse Neusortierung erfordern. Wenn die Tochter selbst Mutter wird zum Beispiel oder wenn ein Jobwechsel oder ein Umzug ansteht. Oft ist es ja auch so, dass vielleicht die Tochter wieder näher zu den Eltern zieht, etwa wenn sie eine eigene Familie gegründet hat oder die Eltern pflegebedürftig werden. In diesen Umbruchphasen sowohl im Leben der Tochter als auch der Mutter kann es logischerweise verstärkt zu Konflikten kommen. Dann muss sich die Beziehung noch mal neu sortieren.

Und mit welchen Fragen kommen die Frauen zu Ihnen in die Beratung? Von welchen Konflikten berichten sie?

Frauen kommen vor allem dann, wenn sie einen Leidensdruck haben. Also wenn es knirscht und sie sich belastet fühlen – und zwar nicht nur durch die Probleme mit ihrer Mutter. Oft wirkt sich der Stress, der durch die Mutter-Tochter-Beziehung besteht, auch in anderen Bereichen aus. Da gibt dann die erwachsene Tochter die Belastung an die eigene Familie weiter. Oder die Zündschnur in der eigenen Kindererziehung wird immer kürzer. Die aktuellen Konflikte mit der Mutter, etwa Erziehungsfragen oder dass man im Zusammensein aneinandergerät, sind meistens nur die Auslöser – darunter liegen teils lebenslange Muster und alte Wunden, die unterschwellig gegärt haben.

Frauen und vor allem Mütter tragen immer noch den größten Teil des "Mental Load" im Familienalltag. In Ihrem Buch "Tochter sein auf Augenhöhe" schreiben Sie, dass die Rolle der "Tochterschaft" eine zusätzliche Belastung für Frauen bedeute. Warum ist das so?

Viele Frauen beschreiben, dass das Tochtersein unheimlich viel Kraft und Energie kostet, weil da so viel emotionale und mentale Arbeit drinsteckt. Sie schildern, wie sie sich ihr Leben lang mitverantwortlich fühlen für das Gefühlsleben der Mutter. Oder wie sie sich nach Besuchen erst mal drei Tage erholen müssen, weil das so aufwühlend war. Vielleicht nehmen sie ihre Mutter auch in Schutz gegenüber dem eigenen Partner und erklären, warum man gewisse Grenzüberschreitungen einfach aushalten muss ... da kommt allerhand unsichtbare Arbeit zusammen.

Welche Rolle spielen hier patriarchale Stereotypen und Mythen? Die gesellschaftliche Idealisierung des Mutterbildes und der Mutter-Tochter-Beziehung ist ja immer noch tief verankert in den Köpfen ...

Genau, die individuellen, persönlichen Konfliktsituationen sind oftmals aufgeladen durch patriarchale Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen. Klassische Stereotype wie "Die Frau ist für die Kinder verantwortlich, sie darf sich nicht wehren, nicht wütend sein und hat sich anzupassen" sind überall noch ganz tief verwurzelt. Dieser patriarchale Überbau hat seit Jahrhunderten eine Wirkung und wird von Generation zu Generation oft unbewusst weitergegeben. Um auch der Mutter gegenüber ein gewisses Verständnis aufzubringen, hilft es, sich diesen Überbau bewusst zu machen und zu merken, okay, da steckt ein gewisses System dahinter.

Und trotzdem ist es ja so, dass junge Frauen generationsbedingt die Mutterrolle mittlerweile kritischer sehen.

Ich glaube, dass auf den jungen Müttern, also der jetzigen Sandwich-Generation, die selbst Kinder sowie noch lebende Eltern hat, eine besondere Last liegt. Gerade weil diese patriarchalen Strukturen so anfangen zu bröckeln und weil sie Erziehungsmuster zu durchbrechen versuchen, die ihnen selbst geschadet haben. Genau dadurch, dass sie es anders machen wollen, entsteht Druck.

In Ihrer Beratungspraxis ermutigen sie Frauen dazu, die eigene Tochterrolle neugierig und aktiv zu hinterfragen, statt in alten Strukturen verhaftet zu bleiben. Weshalb ist das so wichtig?

Weil die eigene Tochterschaft im Prinzip das gesamte Repertoire und Instrumentarium bereithält, das es braucht, um emotional gesund und konfliktsouverän oder konfliktfreudig durchs Leben zu gehen. Indem ich mich in meiner Tochterschaft mit all diesen Baustellen befasse und mich frage "Wie gehe ich mit Konflikten um?", "Kann ich gut Grenzen setzen in meinem Leben?" oder "Wie steht es mit meiner emotionalen Reife?", kann ich die Mutterbeziehung als Schablone nutzen, um mehrere Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen: Zum einen kann ich in meiner ganz persönlichen Mutter-Tochter-Beziehung mehr Klarheit finden hinsichtlich einer gleichberechtigten Beziehung zu meiner Mutter und gleichzeitig lerne ich automatisch, wo meine Grenzen liegen, wie ich mich emotional gut regulieren und Verantwortung übernehmen kann für meine Beziehungen. Das sind generelle Skills, die wichtig sind, um sich konstruktiv mit Konflikten auseinanderzusetzen. Man kann also viel gewinnen, indem man sich mutig in diese Mutter-Tochter-Konflikt-Arena begibt.

Wie gelingt es mir konkret, meine Tochterrolle bewusst selbst zu gestalten und mich aus einer belastenden Mutter-Tochter-Beziehung zu lösen?

Der erste wichtige Schritt ist zu erkennen: Ich kann gestalten – und die Verantwortung dafür liegt bei mir. Oft erlebe ich, dass sich erwachsene Töchter so an ihre Tochterrolle gewöhnt haben, dass sie sich nur schwer aus dieser Hierarchie lösen können. Dabei darf man doch auch auf diese Beziehung mal ganz frei und ohne Hierarchie-Gedanken blicken. Und es gibt kein Gesetz, das sagt: Nur weil das deine Mutterbeziehung ist, muss sie so bleiben, wie sie war und ist.

Und wie gelingt es mir, meiner Mutter Grenzen zu setzen, ohne dass ich mich dabei selbst schlecht fühle?

Viele erwachsene Töchter stecken in einem Teufelskreis. Sie wurden so sozialisiert, dass sie ihre Grenzen gar nicht mehr wahrnehmen, lieber die eigenen Bedürfnisse hinten anstellen, immer schauen, dass sie diese Harmonie wahren und dafür sorgen, dass es allen gut geht. Ein ganz wichtiger Schritt ist es daher, sich zu erlauben, eigene Grenzen zu haben und diese auch wieder zu spüren. Der nächste Schritt wäre dann zu sagen: Okay, hier ist meine Grenze und wenn sie überschritten wird, werde ich so oder so damit umgehen. Letztlich geht es auch hier um ein aktives Gestalten, darum, Verantwortung für die eigenen Grenzen zu übernehmen.

Sie haben gerade noch einmal die idealisierte Mutterrolle angesprochen. Der Abschied davon kann sehr schmerzhaft sein. Wie geht man damit um?

Ja, in der Mutter-Tochter-Mediation nehme ich häufig wahr, dass da ein gewisser Verlustschmerz auf beiden Seiten spürbar ist. Ein Schmerz, der ganz oft lange zurückliegt. Alte Verletzungen kommen hoch, wenn Töchter merken, in der Kindheit hätten sie eventuell eine andere Art von Mütterlichkeit gebraucht, als die eigene Mutter sie geben konnte. Und da finde ich es wichtig zu sehen, dass das nichts mit Vorwürfen zu tun hat – gerade weil das Thema oft so schambesetzt ist. Dass ich also gleichzeitig anerkennen kann: Meine Mutter hat ihr Bestes gegeben, aber ihr Verhalten hat auch verletzende Auswirkungen gehabt.

Das heißt, wer Beziehungen klären will, sollte Konflikte immer auch austragen?

Das würde ich so nicht als pauschale Empfehlung nennen, weil es durchaus Situationen geben kann, wo es nicht ratsam oder sinnvoll ist, Konflikte auszutragen. Ich finde es hilfreicher, ein eigenes Konfliktbewusstsein zu entwickeln und zu überlegen: Warum gehe ich in welchen Konflikt? Und zu welchem Zweck will ich ihn angehen? Es kann durchaus emotional gesund sein, Konflikte zu vermeiden, wenn man beispielsweise bei immer wieder derselben Auseinandersetzung einfach nicht zusammenkommt. Umgekehrt kann es genauso gesund sein, sich kämpferisch hineinzuwerfen. Hauptsache, man geht bewusst mit der Situation um.

Angenommen, ich gehe "kämpferisch" in den Konflikt hinein – kann gesundes Streiten mit der eigenen Mutter überhaupt gelingen?

Aber natürlich. Der Schlüssel ist wohl wirklich die Bewusstheit: dass ich merke, ich bin eigenmächtig, ich bin gefühlsmächtig und kann mich in gewisse Situationen hineinbegeben. Ich weiß, warum ich das tue. Und ich weiß auch, warum ich es in anderen Situationen nicht tue. Ein Problem mit Konflikten haben wir meistens nur, wenn wir uns hilflos ausgeliefert fühlen und das Gefühl haben, da passiert gerade etwas mit uns.

Im eingangs erwähnten Streit mit Ihrer Mutter sind Sie einfach weggerannt ...

Stimmt, ich bin tatsächlich aus der Wohnung gestürmt und habe sogar meinen Mann und die Kinder zurückgelassen. Also so was passiert mir auch noch, obwohl ich mich schon sehr viel mit dem Thema beschäftigt habe. Aber das Ziel ist ja nicht, keine Konflikte mehr zu haben. Und manchmal kann es durchaus notwendig sein, auch mal etwas zu eskalieren oder sich mitreißen zu lassen.


BIOGRAFIE

Name: Christiane Yavuz

Geboren am 19. November 1979 in Heidelberg.

Karriere: Yavuz verbrachte nach dem Sozialpädagogik-Studium zunächst ein paar Jahre in den USA, wo sie als Tournee- und Bandmanagerin wertvolle Erfahrungen sammelte, aber kein Geld verdiente. Wieder in Deutschland folgten zwölf Jahre bei jugendschutz.net, dem Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet. 2021 gründete sie nach mehreren Weiterbildungen ihre eigene Praxis als Familienberaterin, Mediatorin und Coach, um Menschen dabei zu unterstützen, belastende Konfliktmuster zu erkennen, zu gestalten und innere Klarheit zu entwickeln.

Aktuell: Ihr Buch "Tochter sein auf Augenhöhe" (Kösel Verlag) erscheint am 14. Mai. Am selben Tag gibt es um 20.15 Uhr eine Lesung mit der Autorin samt Vortrag zum Thema im Thalia auf den Mannheimer Planken.

Privat: Christiane Yavuz hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Mannheim.

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