Persönlichkeits-Störung

Der 23-jährige Ezra hat Borderline

Erst eine Therapie und das Leben in Heidelberg haben ihm geholfen, mit seiner Krankheit umzugehen und zu seiner Identität zu finden.

22.06.2022 UPDATE: 26.06.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 52 Sekunden
In Heidelberg hat Ezra Balance gefunden – Therapien, wie Zeichnen haben ihm geholfen. Foto: Dorn/ privat

Von Robin Höltzcke

Heidelberg. "Meine Familie hat mich nicht so angenommen, wie ich bin", erklärt Ezra. Der 23-Jährige hat die Borderline-Persönlichkeitsstörung und ist bis heute auf der Suche nach seiner Identität. Im Gespräch mit der RNZ erzählt er seinen Leidensweg. Ezra ist als Frau zur Welt gekommen, jedoch fühlte er sich schon immer männlich. In seiner Kindheit habe er deshalb wenig Freude erfahren. Die mütterliche Liebe und Zusprache, nach der er sich sehnte, habe er damals nicht erhalten.

Seine Mutter, so sagt er, wollte ihn ständig ändern und in der Schule hatte er keine richtigen Freunde. "Die meisten fanden mich komisch." Daheim habe er keine Fehler machen dürfen und er habe versucht, nie anzuecken. "Meine Mutter war zwar nicht aggressiv, aber sie verlor sich in Selbstmitleid, und jede Kritik hat sie auf sich bezogen", erinnert sich Ezra. "Ich war sehr verstört und in mich gekehrt." Die Mitschüler hätten darauf keine Rücksicht genommen. Es sei sogar so weit gekommen, dass Ezra auf seinem Handy Nachrichten von Unbekannten erhielt, die ihn aufforderten, sich umzubringen. Das habe den einfühlsamen Ezra sehr traurig gemacht. Sein Vater habe viel gearbeitet und sei selten zu Hause gewesen. Er unterstützte seinen Sohn zwar, aber nur in Abwesenheit der Mutter.

Bereits mit zehn Jahren verletzte Ezra sich selbst am Unterarm, denn der physische Schmerz half ihm kurzzeitig, den seelischen Schmerz zu unterdrücken. Eine Identität habe er nie gehabt. "Warum muss ich existieren, wenn mich niemand will?", fragte sich Ezra in der Vergangenheit.

Als er 17 war, brach der Jugendliche dann aus seinem Umfeld aus. Zu sehr habe er – dort in der Nähe von Kassel – gelitten. Über einen Bekannten aus Mannheim kam er nach Heidelberg und machte hier ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Doch der Umzug alleine reichte nicht aus, um Ezra vor sich selbst zu schützen. Zu tief saßen die Wunden der Vergangenheit. Im Jahr 2019 wurde bei ihm die Persönlichkeitsstörung Borderline diagnostiziert. Nach mehreren Klinikbesuchen und unterschiedlichen Therapieansätzen geht es Ezra heute deutlich besser. Nun ist es ihm möglich, ein Leben mit Freuden und Glücksmomenten zu führen.

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"Ich nahm an Traumatherapien teil, bei denen ich mich meinen traumatischen Ereignissen gestellt habe. Er musste sich auch mit seiner Vergewaltigung auseinandersetzen, was für ihn nicht einfach war. Dazu sei es durch jemanden aus seinem Bekanntenkreis gekommen. "Ich war lebensmüde, denn ich hatte keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen und wollte nicht älter als 20 werden." Früh habe er sich in den Alkohol gestürzt. "Meine damaligen ,Freunde’ brachten mich dazu", erklärt der 23-Jährige.

Seit 2020 erhält Ezra zusätzliche Unterstützung von der Heidelberger Werkgemeinschaft. Gemeinsam mit seiner Ansprechpartnerin Jana Ostern hat Ezra gelernt, den bürokratischen und häuslichen Alltag zu bewältigen. "Was mir sehr hilft, ist meine Tage, Wochen, Monate und Jahre zu planen." Dadurch könne er sich gut auf die Sachen einstellen und verliere nicht die Motivation. Seit etwa fünf Jahren geht er zum Kickboxen und lernt den asiatischen Kampfsport Muaythai in der Kampfsportschule "Boxgymnasium" in Rohrbach. "Der Sport hilft mir, meine Gefühle im Griff zu halten. Außerdem ist er ein guter Ausgleich zu meiner Arbeit."

Foto: privat

Nachdem Ezra sein FSJ beendete, begann er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Doch er habe gemerkt, dass es nicht das Richtige für ihn sei. Mittlerweile macht er eine Ausbildung zum Technischen Produktdesigner und erstellt 3-D-Modelle am Computer. Seine Zukunft, so sagt es Ezra, möchte er nicht festlegen, denn er will das tun, was ihn glücklich macht und interessiert. Das Zeichnen etwa ist eine große Leidenschaft. Er habe auch bei Kunsttherapien mitgemacht. Heute malt er fantastische Bilder, wie etwa sein Lieblingstier, den Wal. Außerdem begeistere er sich für Tier- und Naturschutz.

Ezra ist zudem sehr empathisch und unterstützt gerne seine Freunde in Heidelberg. "Ich habe einfach das starke Bedürfnis, Leuten zu helfen. Manchmal übernehme ich mich dabei und vergesse, mich selbst zu schützen." Es sei ihm besonders wichtig, dass es allen gut gehe. Und das führe dazu, dass Ezras Mitgefühl sich negativ auf ihn selbst auswirke. Außerdem benötige er die Zeit für seine Selbstreflexion, was ihm sehr helfe, seine vielen Gefühle zu kontrollieren. "Sonst fühle ich mich gereizt, überfordert und erschöpft."

In seiner Zeit in Heidelberg habe er es geschafft, selbstbewusster zu werden. "In der Stadt wie hier habe ich weniger Hemmungen, ich selbst zu sein." In seinem Geburtsort dagegen habe jeder ihn gekannt. Hier in Heidelberg seien aufgrund der Anonymität seine Hemmungen geringer. "In der Stadt fühle ich mich freier." Heute habe er viel mehr seine Balance gefunden und mit der Zeit kommen auch seine Glücksgefühle zum Vorschein. "Ich habe gelernt, netter mit mir selbst zu sein und ich kann jetzt besser für mich einstehen, auch wenn ich manchmal in alte Verhaltensmuster zurückfalle."

Der junge Ezra musste viel durchmachen. Doch schließlich fand er Stück für Stück zu sich selbst und lernte, dabei mit seiner Vergangenheit umzugehen. "Ich komme meinen Zielen näher und habe auch mehr soziale Kontakte als früher". Der 23-Jährige erzählt, dass er durch die therapeutischen Methoden seine innere Balance finde und lerne, mit seiner Identität umzugehen und sie weiter zu entwickeln. Hier in Heidelberg fühlt sich Ezra wohl. Mit Zuversicht blickt er auf seine Zukunft, denn sein Leben machte hier eine Kehrtwende.


RNZ-Serie: IDENTITÄT

Identität – kaum ein Begriff hat in den vergangenen Jahren mehr gesellschaftliche Debatten ausgelöst. Darum wollen wir in einer Serie genau den Fragen nachgehen: Wer bin ich? Wie wurde ich der, der ich zu sein scheine? Welche Rollen spielt man in seinem Leben? Also: Was prägt Identität?

Die Volontäre der RNZ haben daraus eine Reportage-Serie gemacht, die in den kommenden Wochenenden im Magazin erscheinen wird. Darin beleuchten wir die verschiedenen Facetten des großen Themas – von der philosophischen Betrachtung, über identitätsstiftendes Brauchtum, vom Gendersternchen bis zu Brüchen in der Biografie, die Identität ins Wanken bringen können.

Für die heutige Folge schreibt Robin Höltzcke, Volontär der Stadtredaktion Heidelberg, über Menschen mit Borderline-Syndrom. Kommende Woche berichtet Matthias Miltz über die Fankultur in verschiedenen Fußballklubs der Region.

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