Die Brüder Sass: Das Ende der "Panzerknacker"

Franz und Erich Sass war im Berlin der zwanziger Jahre der bis heute spektakulärste Millionenraub der deutschen Kriminalgeschichte gelungen. Die Tat konnte den beiden nicht nachgewiesen werden; dennoch wurden sie 1940 von den Nazis hingerichtet.

27.03.2015 UPDATE: 28.03.2015 06:00 Uhr 4 Minuten, 20 Sekunden

Erich (oben) und Franz Sass werden bei der dänischen Polizei fotografiert. Sie gelten als die Spezialisten für das Knacken von Safes. Foto: Archiv Zander

Von Ulrich Zander

Der 28. Januar 1929 ist ein bitterkalter Montag. Kurz vor acht betritt der Bankkassierer den Tresorraum der Disconto-Gesellschaft in der Berliner Kleiststraße am Wittenbergplatz. Der Schlüssel passt wie gewohnt ins Schloss der 40 Zentner schweren Panzertür, nur - sie geht nicht auf. Auch ein Fachmann der Herstellerfirma kann nichts ausrichten. Nun verkündet der Bankdirektor intern: "Meine Herren, wenn das bekannt wird, sind wir ruiniert. Kein Mensch vertraut einer Bank, die ihre Tresortür nicht aufbekommt. Also: Kein Wort zu Polizei oder Presse."

Doch bald wollen erste Kunden an ihre Schließfächer. Man entschließt sich zur radikalen Lösung: Maurer stemmen die Wand zum Tresorraum auf. Den Dienstag über schuften sie mit Presslufthämmern und Bohrern. Am Mittwoch um 8.12 Uhr gelingt der Durchbruch. Der Direktor lugt durch das Loch und opfert sein Frühstück. Die Schließfächer - wie sich herausstellt 179 von 181 - sind geplündert. Neben Arbeitsutensilien und leeren Weinflaschen hatten die Ganoven - man geht von mindestens zweien aus - bündelweise Banknoten, Wertpapiere und Schmuck zurückgelassen, sowie die Originalpartitur von Richard Wagners "Tristan und Isolde".

Nach Eintreffen der Polizei verwandelt sich die Gegend um den Wittenbergplatz in einen Rummel. Die Polizei schafft es mit Mühe, Tausende Schaulustige und vor Wut schäumende Geschädigte auf Abstand zu halten.

Kriminalsekretär Max Fabich vom Einbruchsdezernat zwängt sich durch das Loch und stellt fest, dass sich die Ganoven vom Keller des Nachbarhauses durch einen Luftschacht und dann durch einen Stollen unter den Bürgersteig vorgearbeitet hatten. Nun befanden sie sich direkt über ihrem Ziel, sie brauchten sich nun nur noch herabzulassen.

Ein europäisches Ereignis

Vorbereitungen und Umsetzung des "Jahrhundertraubes" waren eine Meisterleistung. Es muss Wochen in Anspruch genommen haben, da nur nachts und am Wochenende gearbeitet werden konnte. Der Wert des Diebesguts wurde offiziell mit 150 000 Reichsmark angegeben. Als realistisch wurden zwei bis zweieinhalb Millionen genannt. Hauptsächlich Gelder, von denen die Finanzbehörde nichts wissen sollte. Eine Belohnung von 40 000 Mark wird ausgelobt. Der Coup beherrscht als "Bankraub des Jahrhunderts" die Schlagzeilen. So schrieb die "Vossische Zeitung": "Der Tresorraub vom Wittenbergplatz war zu einem europäischen Ereignis geworden und selbst Amerika war von der Kühnheit der Verbrecher überrascht." Die vorherrschende Empfindung war Schadenfreude.

Fabich erinnerte der modus operandi an einige erfolglose Versuche: Am 28. März 1927 finden Angestellte der Moabiter Filiale der Deutschen Bank den Tresorraum aufgebrochen, den Safe erstmalig in der deutschen Kriminalgeschichte, "heiß", das heißt mittels Schneidbrenner "angeschweißt". Den Ganoven war dann allerdings der Sauerstoff ausgegangen. Es war ein Fehler gewesen, die Ausrüstung - wenn auch unter falschem Namen - zu kaufen, statt wie später stets - zu klauen. Der Verkäufer identifizierte die Männer mit Hilfe des "Verbrecheralbums" als die Kleinkriminellen Franz und Erich Sass. Die Tat konnte ihnen jedoch nicht nachgewiesen werden.

Am 4. Dezember 1927 entdeckte man in der Dresdner Bank am Savignyplatz einen "angeknabberten" Tresor. Am 6. März 1928 vernimmt der Wachmann in der Reichsbahndirektion am Schöneberger Ufer ungewöhnliche Geräusche. Mutig ruft er: "Einbrecher raus!" Und tatsächlich, zwei vermummte Gestalten geben Fersengeld. Die Wand zum Tresorraum war bereits aufgestemmt. Und es ging so weiter: Am 24. März Einbruchsversuch bei der Dresdner Bank an der Budapester Straße. 20. Mai: Einbruchsversuch in die Oberfinanzkasse des Landesfinanzamtes in Alt-Moabit. Hier lagen Millionen als Reparationszahlung für Frankreich bereit.

Gemeinsam waren den Einbrüchen gut getarnte und sauber ausgekleidete Gänge, Stollen, Stellagen, raffinierte Wandverstecke für den Notfall und perfekte Mauer- oder Deckenattrappen. Bei Entdeckung: Flucht unter Zurücklassung des Arbeitsgerätes. Keine Waffen, keine Fingerabdrücke.

Nach dem Disconto-Coup werden die Brüder festgenommen, aber nicht überführt. Eine Haussuchung hatte wenig gebracht: Ein goldenes Zwanzigmarkstück, ein amerikanischer Golddollar. Franz und Erich behaupteten, die preußische Münze sei "von Oma" und das US-Goldstück habe man nahe dem Wittenbergplatz im Schnee gefunden. Fabich lässt die beiden beschatten, doch sie verhalten sich unauffällig. Einmal allerdings veranstalten sie unter der Regie ihres Anwaltes eine Pressekonferenz, die zur Gaudi der Journalisten als Bühne zur Verhöhnung der Polizei genutzt wird. Die Brüder werden zu Großstadthelden mit "goldenem Berliner Herzen" stilisiert.

Franz und Erich wohnten mit finanziell stets klammen Eltern sowie zwei weiteren Brüdern in einer 40-Quadratmeter-Wohnung mit Außenklo im vierten Stock des Hauses Birkenstraße 57 im Berliner Arbeiterviertel Moabit. Franz, Jahrgang 1904 und nur 1,68 Meter klein, ist der clevere, der Planer; Erich, zwei Jahre jünger, 1,86 groß, gilt als handwerkliches Genie.

Nach außen lebten die beiden von ihrer Autowerkstatt. Die Polizei hielt das für Tarnung, da die Einnahmen in keinem Verhältnis zum Lebensstil standen. Die Brüder waren stets elegant gekleidet, fuhren Luxuskarossen und tafelten in teuren Lokalen. Sie reisten durch halb Europa, wollten im Casino von Monte Carlo einen "schönen Batzen" gewonnen haben. Ansonsten aber: Kein Tabak, kein Alkohol.

Zum Jahreswechsel 1929/1930 spukt es auf dem Alten Luisenfriedhof in Charlottenburg. Im fahlen Mondlicht huschen körperlose kalkweiße Köpfe zwischen den Gräbern umher. Dumpfe Klopfgeräusche hallen schaurig, und Lichter tanzen durch die Nacht. Tagsüber finden städtische Arbeiter Haufen frischer Erde. An einem Schuppen entdeckt die Polizei in einiger Höhe frische Handschuhabdrucke. Man stößt auf einen Stollen, der wiederum zu zwei unterirdischen Räumen führt, in denen Einbruchswerkzeug abgestellt ist. Nun legt sich die Polizei auf die Lauer, um den "Wühlmäusen" das Handwerk zu legen. Und tatsächlich: Am 9. Januar gegen 22.15 Uhr taucht ein Gesicht auf. Kriminalsekretär Fabich erkennt Franz. Franz flieht sofort, ebenso ein zweiter "Dunkelmann". Der Zweck der Anlage konnte nie ergründet werden.

Nach Machtübernahme der Nazis tauchen die Panzerknacker unter. Vergessen sind sie jedoch nicht. Politische Witze machen - in Anspielung auf NS-Organisationen die Runde: Wer hat den Reichstag angezündet? Antwort: Die Gebrüder SA, SS. Oder: Wer sind Deutschlands übelste Verbrecher? Die Antwort bleibt die gleiche.

Am 23. Februar 1934 werden in der Zigarrenfabrik Wulff in Kopenhagen zwei Safes geknackt. Die Ausführung war derart professionell, dass die Polizei auf ausländische Spezialisten tippt. Hotels und Pensionen werden überprüft und die Beamten stoßen auf die "Kaufleute" Sass aus Berlin. Es fanden sich Einbruchswerkzeuge und Goldmünzen, wie sie beim Wulff-Coup gestohlen worden waren. Und ein selbst fabrizierter Schlüssel, der zum Tresorraum einer im Bau befindlichen Sparkasse passte. Nach der Fertigstellung hätte die Stahltür nur mit zwei sich ergänzenden Schlüsseln geöffnet werden können. Der Sass-Schlüssel hätte das alleine geschafft...

Franz und Erich wurden zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und nach Verbüßung am 14. März 1938 den deutschen Behörden überstellt. Die Brüder werden nach Berlin gebracht, misshandelt und ständig gefesselt gehalten. Wegen der Tresoreinbrüche (Erich hatte mittlerweile gestanden, Franz leugnete weiterhin) wurden sie im Januar 1940 zu elf beziehungsweise 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus den Volkshelden waren im NS-Unrechtsstaat "Volksschädlinge" geworden. Zwei Monate darauf erschien in einer Zeitungen eine Notiz: "Am 27. März 1940 wurden bei Widerstand die Berufsverbrecher Franz und Erich Sass erschossen." Sie waren im Konzentrationslager Sachsenhausen "auf Befehl des Führers" exekutiert worden.

Die Millionenbeute aus dem Disconto-Raub soll noch irgendwo im Berliner Grunewald versteckt sein.