50 Jahre Beatles: Als der Pop erfunden wurde

Sie waren Wegbereiter und Trendsetter: "The Beatles". Statistisch besitzt jeder Fünfte einen Tonträger der Beatles. Die meisten kennen oder erkennen ihre Songs. Und jede Generation entdeckt sie neu. Vor 50 Jahren haben John, Paul, George und Ringo die Welt erobert.

29.03.2014 UPDATE: 29.03.2014 05:00 Uhr 3 Minuten, 47 Sekunden
Von Wolf Goldschmidt

Es ist mitten in der Nacht als bei George Martin das Telefon unbarmherzig klingelt. Der Produzent der "Beatles" nimmt wutentbrannt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung ein stockbetrunkener Brian Epstein. "Wir haben es in den USA geschafft", lallt der Manager der englischen Senkrechtstarter.

Dieser 1. Februar 1964 sollte aber nur der Auftakt für eine Rekordflut werden, die bis heute unerreicht bleibt. An jenem Tag schaffen die Beatles mit ihrer Single "I want to hold your hand" zum ersten Mal die Spitzenposition der US-Charts, dem wichtigsten Markt für Plattenverkäufe. Zwei Monate später kommt's noch toller. Die Fab Four stehen am 4. April gerade für ihren ersten Kinostreifen "A Hard Days Night" vor der Kamera, da geschieht etwas, das es bislang und danach nie mehr gegeben hat: Ihre Singles nehmen die ersten fünf Plätze in der amerikanischen Hitparade ein.

Den Grundstein für den Erfolg legen fraglos die eingängigen Kompositionen der ersten Boygroup der Welt. Aber auch den beiden erwähnten Herren gebührt Anerkennung. George Martin formt in den legendären Studios an der Abbey Road die Ideen der Band zu unverwechselbaren Stücken. Und Manager Brian Epstein lässt mit seinem Geschäftssinn bald die Kasse klingeln. Kurz nach der ersten Nummer 1 wirft er alle anderen Pläne über den Haufen und schickt seine Schützlinge auf US-Tournee. Clever bucht er Auftritte in der Ed Sullivan Show, einer landesweit ausgestrahlten Unterhaltungsrevue mit 75 Millionen Zuschauern.

Epsteins Coup: Die Band spielt gleich dreimal und zwar fast ohne Gage. Und diese Kurzkonzerte bringen letztlich die ganze "Beatlemania" ins Rollen. Es scheint, als habe das Mutterland des Rock'n'Roll auf die neuen Helden geradezu gewartet. Was im Frühjahr vor 50 Jahren von den USA aus über den ganzen Erdball schwappt, kann getrost als erste Globalisierungswelle bezeichnet werden. Die Songs der Beatles überwinden mühelos Grenzen - sogar den Eisernen Vorhang. Als John Lennon später in einem Interview davon spricht, dass die Beatles populärer seien als Jesus schlägt ihm der Hass amerikanischer Christen entgegen. Aber so ganz falsch liegt er mit seiner Popularitätsanalyse sicher nicht.

Es gibt Nostalgiker, die sehen in den Beatles die "beste Band der Welt". Aber zweifelsohne gab und gibt es bessere Musiker. Bekannte Coverbands wie "Rain" oder "Twist and Shout" spielen ihre Vorbilder längst an die Wand. Aber einen Titel kann den beiden noch lebenden Bandmitgliedern Paul McCartney und Ringo Starr niemand nehmen: Die Beatles sind die Einflussreichsten und Kreativsten ihrer Zunft.

Ein Meilenstein

Sie verwandeln Pop in eine Kunstform und werden zur ersten Rockformation überhaupt, die selbst für Feuilletons interessant erscheint. Ihr spätes Meisterstück heißt "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" aus dem Jahr 1967. Musikalisch ein Meilenstein und immer noch ein beliebter Steinbruch für Heerscharen von Musikanten. Das Werk wird übrigens auch die erste Langspielplatte, auf deren Rückseite die Songtexte abgedruckt sind.

Apropos Texte, auch in diesem Feld betreten das emanzipierte Gespann Lennon/McCartney und George Harrison Neuland. Bald singen sie nicht mehr nur von "Herz und Schmerz", sondern nehmen sich aktueller Themen an. Auf ihrem Meisterwerk "Sgt. Pepper", dem ersten Konzeptalbum der Musikgeschichte, singen sie offen von Drogen, Jugendproblemen oder Kommerz. Oder wer hatte sich zuvor erlaubt, abfällig über sein Finanzamt zu singen. George Harrison tut es in "Taxman" auf dem Album "Revolver". Songs wie "Norwegian Wood" oder "Drive my car" greifen das Tabuthema Sex auf. Die freche Sprache und Denke passt zur Stimmung des "Summer of Love" 1967 als die Hippies freie Liebe predigen und Experimente mit Rauschgift in sind.

Musikalische Experimente kommen on top: Eine Sitar in einem Popsong? Ein Gitarrenfeedback oder rückwärts laufende Musik auf Vinyl gepresst? Die Beatles machen es einfach und sind bis heute die einzigen, die erfolgreich Pop und Avantgarde vermengen. Durch die ungeheure Popularität der Band wird jeder klitzekleine Trend, den sie aufgreifen, sofort zum Mainstream. Und noch etwas geht auf das Konto der Vier: die Anglisierung der Songtexte weltweit. Es braucht Jahrzehnte bis es deutsche Rockbands wieder wagen, in ihrer Muttersprache zu singen.

Protagonisten in der Mode? Na klar! Dass lange Haare kein Anstoß mehr sind, diese Ehre gebührt niemand anderem. Unternehmen wetteifern weltweit um Lizenzen, die berühmten kragenlosen Jacken oder Pilzkopfperücken herstellen zu dürfen. Es gibt ihre Konterfeis auf Taschentüchern, Postern, Tassen, Münzen oder Flaschenöffnern. Sie sind es auch, die ein bislang nebensächliches Accessoire salonreif machen: die Sonnenbrille. Die runde von John Lennon ist bis heute in. Man erkennt, selbst das Merchandising, heute aus der Vermarktung von Popstars nicht mehr wegzudenken, geht auf die "Beatlemania" zurück. Sie machen selbst Kino. "A Hard Days Night" (1964) und "Help" (1965) bringen ihre Lieder auf die Leinwand. Wieder ein genialer Werbecoup - ein Millionenpublikum nimmt's dankbar auf. Apropos, sogar in Sachen Videoclips gelten die Beatles als Wegbereiter. Lange vor MTV stellen sie im Fernsehen neue Songs mit einem passenden Filmchen vor.

Die Beatles sind die Protagonisten, die Stadien als Arenen nutzen und auf einen Schlag Zehntausende Fans live erreichen. Ihr letztes Großkonzert spielen sie 1966 im Candlestickpark von San Francisco. Die Tickets kosten damals fünf Dollar und werden heute für über 1000 Dollar gehandelt. Wer aber die Aufnahmen von 50.000 schreienden Jugendlichen hört, der versteht, warum die Band diese Art von Performance bald ablehnt.

Finale auf dem Bürodach

Ihre Musik ist aufgrund der damals noch recht mickrigen Verstärkeranlagen fast gar nicht mehr zu hören. Das ist letztlich auch der Grund, warum sie als erste Band überhaupt nur noch im Studio arbeiten. Zum Beispiel im Juni 1967. Die Beatles sind der Live-Hauptakt der ersten weltweiten Satelliten-TV-Übertragung. Die Sendung heißt "Our World" und wird von über 600 Millionen Menschen gesehen. Direkt aus dem Studio erklingt "All you need is love" - begleitet von großem Orchester und Freunden darunter die Rolling Stones. Genau zu dieser Zeit leiten sie auch als erste Popgruppe der Welt ihr eigenes Plattenlabel "Apple" und verdienen endlich mehr als nur einen Penny pro verkaufter Single.

Am Ende ihrer gemeinsamen Karriere geben sie allerdings doch noch ein kleines Konzert. Und auf diese Location muss man auch erst mal kommen. Am 30. Januar 1969 stöpseln sie auf einem Londoner Bürodach für ihre Abschiedplatte "Let it be" ein letztes Mal ihre Gitarren ein.