Worauf es bei Filmmusik ankommt
Speziell bei ,Konklave’ habe man das Gefühl, dass man den Film auch ohne Musik vollkommen genießen kann.

Ralph Fiennes spielt Kardinal Lawrence in dem Film „Konklave“. Foto: picture alliance/dpa/Leonine Studios/ Focus Features


deutscher Filmkomponist
Von Lucas und André Wesche
Düsseldorf. Neues zu wagen gehört für Volker Bertelmann zu seinem Beruf. Der 58-Jährige, der auch unter dem Künstlernamen Hauschka auf der Bühne steht, ist Musiker und Komponist, hat sich seit etlichen Jahren auf Filmmusik spezialisiert – und dafür bereits einen Oscar eingeheimst.
Auch für "Konklave", der derzeit in den Kinos läuft, hat er den Soundtrack geschrieben. Darin wirft Regisseur Edward Berger einen Blick hinter die Kulissen einer fiktiven Papstwahl. Im Gespräch mit unseren Autoren Lucas und André Wesche verrät er, wie die Zusammenarbeit mit dem Regisseur funktioniert, worauf es bei Filmmusik ankommt und welches außergewöhnliche Instrument bei "Konklave" zum Einsatz kommt.
Sie kamen relativ spät zur Filmmusik. Wie fuchst man sich in so ein neues Wirkungsfeld hinein?
Mit 18 habe ich mal die Musik für eine Serie komponiert. Da hatte ich schon das Gefühl, dass mich das interessiert, aber ich hatte nie Kontakt zu Filmschaffenden oder zur Filmindustrie. Als ich dann 2012 das erste Mal gefragt wurde, ob ich die Musik für einen größeren Film mache würde, war ich mir noch nicht sicher, ob das für mich die richtige Arbeit ist.
Sie bedeutet auch, viele Kompromisse zu schließen. Man arbeitet in einem Team zusammen. Dann habe ich aber immer mehr Filme gemacht, die mir inhaltlich wahnsinnig gut gefallen haben: die Soundsuche, die Auseinandersetzung mit anderen Abteilungen, speziell auch mit dem Regisseur – wenn es eine gute Zusammenarbeit ist.
Haben Sie da auch schlechte Erfahrungen?
Man macht schon mal Erfahrungen mit schlechter Zusammenarbeit. Man fängt an, sich ein Handwerkszeug zurechtzulegen, um in dem ganzen Prozess recht ruhig zu bleiben. Man hat so viel Stress, Dinge fertig zu bringen und aufzunehmen und Daten abzugleichen, dass man lernen muss, entspannt zu bleiben. Mittlerweile bin ich ganz locker, egal was an mich herangetragen wird. Und das macht richtig Spaß.
Haben Sie sich nach dem Oscar einem gewissen Erwartungsdruck ausgesetzt gefühlt?
Das kann ich ganz gut ausblenden. Das hat natürlich auf vieles eine große Auswirkung. Man wird anders wahrgenommen. Für mich ist es wichtig, dass man eine gewisse Bodenständigkeit behält und für sich im Auge behält, was einem besonders viel bedeutet. Dazu gehört zum Beispiel die Familie, die für mich an allererster Stelle steht, und auch die Art und Weise, wie und wo man lebt.
Man kann sich recht schnell entwurzeln von dem, womit man groß geworden ist. Ich liebe den Wald und Spaziergänge. Ich bin gerne mal für mich alleine unterwegs und mag auch diese Stimmung. Wenn ich das habe, ist ein Großteil schon mal okay. Ich werde nach wie vor Filme machen, die ganz toll sind. Und ich werde Filme machen, die nicht so toll sind. (lacht)
Worauf kam es Ihnen bei der Musik für "Konklave" an?
Ich habe versucht, etwas einzusetzen, was klassische Orgel oder Chor ersetzt und ein französisches Instrument namens Cristal Baschet gefunden. Das ist ein analoges Instrument, das mit Glasstäben und Wasser gespielt wird und wie ein verzerrter Synthesizer klingt. Das ist eines der Hauptinstrumente in vielen der Musikstücke. Es klingt ein bisschen sphärisch, aber verzerrt und ist ein Herzstück des Scores (Filmmusik, Anm. d. Red.) geworden.
Ist ein dialoglastiger Film wie dieser eine besondere Herausforderung?
Absolut. Wenn man sich den Film anschaut, gibt es nicht viele Stellen, an denen Musik unter einem Dialog liegt. Und wenn sie dort liegt, ist sie sehr fragmentarisch. Es gibt immer mal wieder Momente, in denen ein Cello kommt, das sich beschwert und wo man eine Art Klagesound hört. (lacht)
Das ist nicht humoristisch gemeint, sondern stellt ein Gefühl von Instabilität in dem Ganzen dar. Das haben wir an manchen Stellen in den Dialog mit eingeflochten. Man muss sehr genau die Lücken im Text abwarten, bevor man so etwas benutzt und sehr stark mit dem Text komponieren. Die Arbeit mit Edward ist in diesem Bezug fantastisch.
Was macht die Zusammenarbeit so schön?
Wir sind beide der Meinung, dass die Dialoge toll sind und man sie verstehen muss. Wenn sie gut sind, will man gar nicht viel Musik darin haben, weil der Text auch eine Kraft und Wirkung hat. Die Musik setzt an manchen Stellen vielleicht noch eine Ebene dazu, von der man sagt, sie könne etwas ankündigen, das später kommt. Wir sind sehr große Freunde von Musik, die nicht das beschreibt, was man sieht, sondern versetzt kommt und vielleicht schon etwas übernimmt, an das man sich später zurückerinnert.
Können großartige schauspielerische Leistungen Komponisten inspirieren?
Oh ja. Sie können nicht nur inspirieren, sondern sie drängen einen zum Weglassen. (lacht) Das ist der entscheidende Punkt. Wenn man starke schauspielerische Leistungen hat, braucht man keine Musik. Man kann dann die Musik anders einsetzen. An anderen Stellen ist sie eine funktionale Musik, die hilft, bestimmte Geschichts- oder Drehbuchschwächen zu übertönen. Das ist auch vollkommen okay. Bei Edward ist das überhaupt nicht notwendig. Man hat bei seinen Filmen – und bei Konklave noch mal speziell – das Gefühl, dass die schauspielerische Leistung so toll ist, dass man den Film auch ohne Musik vollkommen genießen kann.
Was ist dann Ihr Job?
Dann kann ich hergehen und etwas schreiben. Da ist zum Beispiel eine Sequenz, in der nicht viel gesprochen, aber ein Ritual gezeigt wird. Oder es gibt eine Feier. Da wäre es toll, wenn die Musik der Feier insgesamt eine Richtung gibt: Ob sie nun hell ist oder die Auswirkung hat, dass etwas zerstört wird oder dass durch die gezeigte Papstwahl etwas ins Rollen kommt, was man nicht möchte. Das kann man mit Musik sehr stark einfärben. Wenn man sich da mit dem Regisseur einig ist, ist das eine ziemlich tolle Aufgabe.
Ist das musikalische Verständnis bei Regisseuren unterschiedlich ausgeprägt?
Absolut. Es gibt Regisseure, die lassen mich machen. Da kommt auch danach nicht mehr viel, das ist meistens in Ordnung. Dann gibt es Regisseure, mit denen es sehr schwierig ist, weil man vielleicht eine andere musikalische Vorstellung hat. Man muss sehr hart um das, was man gut findet, kämpfen. Und manchmal muss man auch etwas machen, was man nicht so gut findet.
Wie war das bei "Konklave"?
Die Zusammenarbeit mit Edward sieht so aus, dass man sich motiviert, in der eigenen Sprache noch einen Schritt weiter zu gehen. Das ist eine sehr befruchtende Zusammenarbeit, weil ich dadurch auch ihm helfe, die nächsten Filme, die er macht, vielleicht noch einmal anders musikalisch zu betrachten. Es ist ein stetiger Wachstumsprozess. Das gefällt mir unglaublich gut. Ich denke, dass ich grundsätzlich auf der Erde bin, um zu wachsen und zu lernen. Da ist es ein Geschenk, wenn man mit jemandem zusammenarbeiten kann, bei dem sich das ergibt und eine positive Bestärkung besteht.
Klingt, als hätten sich zwei gefunden.
Ja, finde ich schon. Es ist auf jeden Fall so, dass ich nicht das Gefühl habe, dass man schon alles durchdekliniert hat. Im Gegensatz dazu habe ich eher das Gefühl, dass es noch sehr viele unterschiedliche Dinge zu betrachten gibt. Das ist auch das Schöne an einer kreativen Arbeit: dass man nicht immer wieder das aufkocht, was man schon gemacht hat und was toll war, sondern dass man schaut, dass man neue Dinge entdeckt und in sein Repertoire einbaut.
Sie sind im vorigen Jahr in Zürich für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden. Erschrickt man da ein bisschen?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich will noch einen Preis haben! (lacht) Nein. Ich sage das nur deshalb, weil das Lebenswerk noch längst nicht zu Ende ist. Ich habe sehr spät angefangen und würde sagen, dass meine Filmkarriere mit "Lion – Der lange Weg nach Hause" angefangen hat. Da hat es ein Format angenommen, wo ich gesagt habe, dass das für mich eine tolle Möglichkeit ist, neben meinen Platten zu Hause zu bleiben, in meinem Studio Musik zu schreiben und damit Geld zu verdienen. Das ist für mich eine große Entlastung gewesen.
Weshalb das?
Vorher habe ich immer nur durch Konzerte Geld verdient. Und wenn du dein Leben lang immer 100 Konzerte pro Jahr spielen musst oder unterwegs bist, schaffst du es irgendwann nicht mehr. Das zerstört dein Familienleben und auch deine eigene Art und Weise zu leben, weil du nie zu Hause bist. Das kam meiner Natur gar nicht entgegen. Aber ich wollte mein Geld mit Musik verdienen. Am Ende des Tages, als 2017 die erste Nominierung da war, war für mich klar, dass ich die Chance nutzen und das Ganze hochfahren sollte. Wenn man meine Filmografie anschaut, ist sie genau in diesem Jahr ich möchte nicht sagen förmlich explodiert, aber seitdem habe ich wahnsinnig viele Filmmusiken geschrieben. Und das ist auch noch nicht zu Ende. Ich bin noch on fire! (lacht)
BIOGRAFIE
Name: Volker Bertelmann
Geboren 1966 in Kreuztal (NRW).
Karriere: Mit acht Jahren erhält Volker Bertelmann ersten Klavierunterricht. Nach dem Abitur beginnt er ein Medizin- und ein BWL-Studium, bricht aber für die Musik wieder ab. Unter dem Pseudonym Hauschka tritt er mit selbst komponierten Klavierstücken auf. 2005 erscheint das Album "The Prepared Piano".
Dafür klemmt Bertelmann etwa Leder, Papier oder Filz zwischen die Saiten. 2016 nimmt seine Filmmusik-Karriere Fahrt auf, als er für den Soundtrack zu " Lion – Der lange Weg nach Hause" für einen Oscar nominiert wird. 2022 gewinnt er die Trophäe für den Score zu "Im Westen nichts Neues".
Privat: Volker Bertelmann lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Düsseldorf.
Aktuell: "Konklave" läuft derzeit im Kino. (kaf)