Plus Hassliebe

Unter den Augen der Schwiegermutter

Das Verhältnis zur Mutter des Partners ist häufig von Konflikten geprägt. Wieso ist das so? Und wie blicken speziell Männer auf ihre Schwiegermama?

09.05.2025 UPDATE: 11.05.2025 04:00 Uhr 6 Minuten, 10 Sekunden
Foto: Getty​

Von Philipp Schulte

Benjamin Götz stören viele Dinge an seiner Schwiegermutter: Sie nimmt ihn als Vater nicht ernst, so seine Sicht, spricht ihm Kompetenz bei der Erziehung ab. Kurz: Benjamin Götz freut sich, wenn seine Schwiegermutter wieder abreist.

Bei David Braun ist das anders. Er sieht seine Schwiegermutter jeden Tag. Mit ihr lebt er zusammen auf einem Bauernhof im Schwarzwald, immerhin in getrennten Wohnungen. Bei jedem Frühstück, Mittag- und Abendessen sitzen Schwiegermutter und Schwiegersohn an einem Tisch. Das Verhältnis sei gut, sagt David Braun. Auch wenn er manchmal die Augen rollt und denkt: "Wieder diese Leier, muss sie sich jetzt so aufregen?" Dann geht es etwa darum, ob die Kühe im Winter auf die Weide sollen oder nicht. Trotzdem bilden Schwiegermutter und Schwiegersohn ein Team, kümmern sich gemeinsam um den Hofladen und die zwei Kinder.

Die Schwiegermutter ist immer wieder Thema. In Gesprächen mit Freunden, mit dem Partner, in Zeitschriften. Eine Überschrift lautet: "Warum Schwiegermütter böse sind"; ein Buchtitel: "Hassgeliebte Schwiegermutter". Die Schwiegermutter ist aber auch eine sich liebevoll kümmernde Großmutter. Ohne sie würde es also auch nicht laufen.

Paartherapeuten berichten, dass die Schwiegermutter immer wieder auf die Beziehungen einwirkt. Häufig fühlt sich die Schwiegertochter als Opfer – und Eifersucht ausgesetzt, weil sie der Schwiegermutter ihren Sohn, ihr Herzblatt, wegnimmt. Die Schwiegermutter gilt als übergriffig und besserwisserisch. Mal steht sie unangekündigt vor der Haustür, um die Wohnung zu "verschönern". Oder sie saugt unaufgefordert durch.

Doch warum ist ständig vom schwierigen Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter die Rede? Leiden Schwiegersöhne nicht auch?

Benjamin Götz glaubt, dass mehr als die Hälfte der Männer Probleme mit ihrer Schwiegermutter hat und nicht darüber reden will. Auch er möchte das nur unter einem anderen Namen tun. Prinzipiell, sagt der 43-jährige Professor aus Baden-Württemberg, mag er seine Schwiegermutter. Bevor die Kinder, heute vier und ein Jahr alt, auf die Welt kamen, spielte sie keine große Rolle. Seither jedoch habe sich das Verhältnis verschlechtert.

Gemeinsam mit der Schwiegermutter machte die Familie in diesem Jahr Urlaub. Die Eltern saßen an einem Pool am Beckenrand, die Vierjährige planschte im flachen Wasser. Die Schwiegermutter begleitete die Enkelin bei jedem Schritt, bestand darauf, dass sie eine Schwimmweste trägt. Da fiel Benjamin Götz auf, wie ängstlich die Schwiegermutter agiert. "Wir saßen direkt daneben, da konnte nichts passieren." Wenn sich die Oma so ängstlich zeige, werde das Kind selber unsicher.

Die Schwiegermutter wohnt weit weg und besucht die Familie dreimal im Jahr, bleibt eine Woche. Sie in ein Hotel zu schicken, möchte das Ehepaar nicht. Doch bei ihnen zu Hause sei die Stimmung häufig angespannt, sagt Benjamin Götz. "Sie übernimmt sofort das Kommando in der Küche und verleibt sich den Haushalt ein." Auf der einen Seite entlaste das: Götz muss nicht kochen und sich weniger um die Kinder kümmern. Auf der anderen Seite stört ihn, dass der Geschirrspüler permanent laufe und Ressourcen verbrauche. Die wenigen Teller müssten am nächsten Morgen sauber sein, sagt die Schwiegermutter. Benjamin Götz versuchte ein paar Mal, das zu ändern. Ohne Erfolg.

Wichtiger ist da anderes. Als Benjamin Götz einmal mit den Kindern zu einem Ausflug starten wollte, kochte seine Schwiegermutter gerade und wollte mit allen gemeinsam essen. "Sie war dann nur total genervt und sagte zu meiner Frau: Was soll das jetzt? Wieso geht der jetzt? Wieso sagt mir das niemand?" Benjamin Götz entschuldigte sich, ging aber trotzdem. Das Mittagessen gab es abends.

Diese Situation ließ sich klären; ein strukturelles Problem hingegen ist, wenn der Schwiegersohn nicht ernst genommen wird. Das merkt Benjamin Götz beim Anziehen der Kinder. "Wenn ich sage, Ronja braucht keine Jacke, zieht die Schwiegermutter ihr trotzdem eine an. Wenn meine Frau das sagen würde, würde sie das eher akzeptieren." In ihm sehe die Schwiegermutter eher den Geldeintreiber statt Kümmerer, sagt Benjamin Götz. "Ich glaube, das hat noch ein bisschen mit dem alten Rollenverständnis zu tun. Sie meint, dass allein Frauen Bescheid wissen, wie die Kinder zu erziehen sind."

Bei Konflikten fühlt sich Götz’ Frau oft zwischen den Parteien. "Sie hat das Gefühl, sich für eine Seite entscheiden zu müssen und das ist oft die Seite ihrer Mutter. Weil sie ähnlich sozialisiert worden ist", sagt Benjamin Götz. Seine Ehefrau habe allmählich gelernt, zu ihm zu halten. "Die Kernfamilie ist das Wichtigste. Wir halten zusammen, treten als Team auf und wollen uns nicht von unseren Eltern spalten lassen."

Seit einigen Jahren machen Benjamin Götz und seine Frau eine Paartherapie. Dadurch hat er akzeptiert, dass er gewisse Dinge bei seiner Schwiegermutter nicht ändern kann. Und wenn es zukünftig zum Streit kommt, lässt er seine Frau das mit ihrer Mutter klären. Mittlerweile hat Benjamin Götz auch das Gefühl, sich bei seiner Schwiegermutter mehr Vertrauen erarbeitet zu haben. Sie erkenne an, dass er sich gut um die Kinder kümmert.

Eine, zu der Paare in die Paartherapie kommen, ist Felicitas Heyne. Sie hat vor 16 Jahren das Buch "Hassgeliebte Schwiegermutter – Der Ratgeber für gestresste Schwiegertöchter" geschrieben. Aber fehlt da nicht der Ratgeber für gestresste Schwiegersöhne? "Schwiegersöhne, die Probleme mit ihrer Schwiegermutter haben, treffe ich selten", sagt die Psychologin und systemische Paar- und Familientherapeutin.

Warum ist das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter häufiger belastet? "Sie haben im Alltag mehr Reibungspunkte", sagt Felicitas Heyne. Zum Beispiel Hausabeit – das machten zum großen Teil immer noch Frauen. "Dann kommt die Schwiegermutter und hat gewisse Vorstellungen, wie das und das zu machen ist. Doch die Schwiegertochter macht vieles ganz anders." Männer stritten meist nicht so heftig um die Frage, ob das Kind Süßigkeiten haben darf oder nicht. "Sie haben auch nicht den direkten Rollenvergleich zur Schwiegermutter." Konfliktpotenzial bestehe bei Männern eher in einer anderen Konstellation: etwa wenn der Schwiegervater eine enge Beziehung zu der Tochter habe. "Dann ist vielleicht kein Mann gut genug."

Doch egal welches Geschlecht: Unterschiedliche ideologische Ansichten bieten immer Raum für Reibungspunkte. Nehmen wir den Geschirrspüler in der Wohnung von Benjamin Götz. Die Schwiegermutter in diesem Fall einfach machen zu lassen, sei eine gute Entscheidung, sagt Felicitas Heyne. Das habe in diesem Fall keinen Einfluss auf die Ressourcen des Planeten. "Man sollte seine Schlachten sorgfältig wählen und sich immer die Frage stellen: Wie wichtig ist der Konflikt und wie häufig tritt er auf?" Wohne man Tür an Tür mit den Schwiegereltern, sollte man einen Konflikt allerdings eher ansprechen.

Entscheidend ist der Therapeutin zufolge auch, wie viel Einfluss die Schwiegerkinder den Schwiegereltern zugestehen. "Je mehr räumliche Nähe und Verstrickungen es gibt, desto mehr Macht und Einfluss hat die Schwiegermutter." Einfluss ermögliche man, wenn die Schwiegermutter im Haushalt und bei der Kinderbetreuung hilft oder finanziell unterstützt. Diese Faktoren habe eine junge Familie unter Kontrolle. Wenn das Paar aber auf dem günstigen Grundstück direkt neben dem Haus der Schwiegereltern baut, müsse es sich bewusst sein, dass die Schwiegereltern für den niedrigen Preis meist eine Gegenleistung erwarteten, bewusst oder unbewusst. "Zum Beispiel, dass sie viel am Familienleben teilhaben wollen."

Kommt es zu Konflikten, habe besonders die Tochter Einfluss auf ihre Mutter. "Sie kann einen Streit sofort beenden. Denn mit ihrer Tochter will die Schwiegermutter weiterhin ein gutes Verhältnis haben." Die Schwiegermutter könne dem Schwiegersohn das Leben nur so schwer machen, wie die Tochter das zulasse. Bei Gesprächen mit Paaren merkt Felicitas Heyne immer wieder, dass genau das ein wunder Punkt ist. Das Paar müsse sich Fragen stellen wie: Inwiefern sind wir ein Team? Inwiefern kann ich mich auf meinen Partner verlassen? "Dann stelle ich ganz schnell fest: Es gibt eigentlich ein Problem auf der Paarebene. Das ist schmerzhafter zu erkennen als zu sagen: Ich habe halt eine böse Schwiegermutter."

David Braun, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, 49, und seine Schwiegermutter, 66, leben seit acht Jahren auf dem Bauernhof. Den Schwiegereltern gehört der Hof und alle packen mit an. Auch die Kinderbetreuung teilen sie sich auf. Und alle, Schwiegereltern und -kinder, haben ein gemeinsames Konto – für betriebliche Einnahmen und private Ausgaben. Wenn David Braun ein Fußball-Bundesligaspiel besucht, nimmt er das Geld aus der gemeinsamen Kasse. Fährt die Schwiegermutter zu ihrer anderen Tochter und lädt sie zum Essen ein, nimmt sie das Geld aus der gemeinsamen Kasse.

David Braun sagt, sein gutes Verhältnis zu seiner Schwiegermutter mache aus, dass beide Teil der Großfamilie und fest eingebunden in den Betrieb sind. Man profitiere gegenseitig. "Wir erledigen die schweren Arbeiten, dafür werden wir bekocht und uns wird die Wäsche gemacht. Meine Schwiegermutter entlastet uns auch massiv, weil sie häufig die Kinder betreut."

Um die Mahlzeiten vorzubereiten, verbringt David Brauns Schwiegermutter viel Zeit in der Küche. "Wir laufen am Tag fünfzig Mal aneinander vorbei, wenn‘s reicht", sagt er. Bei so viel Kontakt gibt es auch Differenzen. Braunversucht stets, keinen Streit aufkommen zu lassen. "Man schluckt auch vieles einfach runter. Nach dem Motto: Komm wir lassen das jetzt gar nicht erst hochkochen."

Dennoch gibt es da immer wieder Dinge, die David Braun an seiner Schwiegermutter stören. Aus seiner Sicht kommen zu viele Leute aus dem Dorf ihretwegen auf einen Kaffee in der Küche vorbei. Er möchte auch nicht, dass sonntags Kunden des Hofladens kommen – nur um etwas abzuholen. Die Schwiegermutter wolle es immer allen recht machen. Das zeige sich auch beim Essen. "Sie fragt ständig, ob jemand noch etwas will. Auch wenn ich schon drei Schnitzel gegessen habe." Mit ihrer ständigen Kümmerei verbreite sie Unruhe am Tisch.

Wenn er mal seine Ruhe haben will, fährt David Braun hoch in den Wald, zu dem alten Bauernhaus der Familie. Das wird gerade renoviert, Ferien-Wohnungen sollen entstehen. Manchmal ist er schon um fünf Uhr morgens dort und arbeitet. Zurück auf den Hof kehrt David Braun erst um halb acht, wenn das gemeinsame Frühstück mit der ganzen Familie ansteht.