Frauen "werden einfach nicht gehört"
Laura Lato beweist sich in der männerdominierten Branche. Auch wissenschaftlich. Ihre Forschungsfrage: "Warum steckt so viel Penis im Pop?"

Von Daniel Schottmüller
Heidelberg. Mit Songs wie "42 Millionen", "Astronautinnen" und "Links rein, rechts raus" ermutigt Laura Lato Mädchen und Frauen, ihren Weg zu gehen. Die 27-Jährige weiß, wovon sie spricht. Als Popsängerin muss sich die gebürtige Hannoveranerin täglich in einer männerdominierten Branche beweisen. Wie tief diese Machtstrukturen im deutschen Popgeschäft verwurzelt sind, hat die junge Frau, die an der Popakademie in Mannheim studiert, in einem eigenen Forschungsprojekt untersucht. Der Titel ihrer Arbeit lässt aufhorchen: "Warum steckt so viel Penis im Pop?"
Du bist am Weltfrauentag im Heidelberger Karlstorbahnhof aufgetreten. Aber nicht nur mit deiner Band, sondern auch mit einem Vortrag, bei dem es um die Unsichtbarkeit von Frauen in der Musikbranche ging. War das eine ungewohnte Situation für dich?
Total. Es ist für mich als Sängerin neu und eigentlich auch außerhalb meiner Komfortzone, auf einmal als Wissenschaftlerin aufzutreten. Ich hab’ diese Situation aber gerne angenommen, weil ich das Gefühl hatte, meinen Zuhörern etwas mitgeben zu können.
Hintergrund
Laura Lato ist eine Deutsch-Pop-Künstlerin, die für autobiografische Texte und internationale Beats à la Dua Lipa steht. In ihren Songs verarbeitet die 27-Jährige Themen wie Selbstfindung, Empowerment und Optimismus, aber auch intimere Momente. Ihre ersten musikalischen
Laura Lato ist eine Deutsch-Pop-Künstlerin, die für autobiografische Texte und internationale Beats à la Dua Lipa steht. In ihren Songs verarbeitet die 27-Jährige Themen wie Selbstfindung, Empowerment und Optimismus, aber auch intimere Momente. Ihre ersten musikalischen Gehversuche wagte Laura Lato in ihrer Heimatstadt Hannover. 2019 lernte sie über ein Förderprogramm die Popakademie in Mannheim kennen, im gleichen Jahr schrieb sie sich im Studiengang "Popular Music" ein. Für ihr Masterprojekt hat sie zur Frage "Warum steckt so viel Penis im Pop?" geforscht.
Deine Masterarbeit, die du an diesem Abend vorgestellt hast, trägt den provokativen Titel "Warum steckt so viel Penis im Pop?". Wie bist du auf dieses Forschungsprojekt gekommen?
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Für uns Performing Artists steht im zweiten Jahr an der Popakademie eine Masterarbeit auf dem Studienplan. Also musste ich mir zwangsläufig die Frage stellen: Was ist denn ein Thema, womit ich mich wirklich vier Monate lang tagtäglich befassen möchte? Ich dachte mir: Am besten etwas, das mich als Frau in der Musikbranche direkt betrifft. Und da sind mir sofort jede Menge Fragen in den Sinn gekommen: Warum ist das Line-up bei so gut wie jedem deutschen Festival größtenteils männlich? Warum sind die Headliner immer Männer? Beim Radio ist es ja ganz ähnlich. Inzwischen gibt es Studien, die belegen, dass wesentlich weniger Songs von Frauen als Männern gespielt werden. Ich hab’ mich gefragt: Was ist da eigentlich los? Warum steckt denn so viel Penis im Pop? (schmunzelt)
Was hast du aus deiner Recherche mitgenommen?
Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema zu befassen, wurde mir schnell klar, dass die Situation gravierender ist, als ich ursprünglich gehofft hatte. Eigentlich besteht die Musikbranche ja zu 50 Prozent aus Frauen und Männern – in den Billboard Top 100 Jahrescharts sind Stand 2021 trotzdem gerade mal 20 Prozent Frauen vertreten. Und von den 51 Bands, die da im vergangenen Jahr gelistet wurden, bestehen nur zwei komplett aus Frauen. Solche Zahlen haben mich schockiert.
Warum sind Frauen im Radio und den Charts nicht prominenter vertreten?
Das Ganze ist ein Teufelskreis: Wenn ein Musiklabel weiß, dass im Radio mehr Männer gespielt werden, werden auch weniger Frauen unter Vertrag genommen. Wenn aber weniger Frauen unter Vertrag stehen, werden auch weniger Produktionen von Frauen veröffentlicht. Dadurch landen auf den Tischen der Promoter und Radiosender mehrheitlich männliche Projekte. Um diese Kette von Ereignissen zu durchbrechen, kann man den Menschen nur immer wieder sagen: Es gibt genügend Musikerinnen! Schaut bitte genauer hin, dann werdet ihr sie finden. Ich bin überzeugt, dass sich der Aufwand lohnt. Es ist doch schade, dass wir mit Max Giesinger, Mark Forster, Tim Bendzko und Co. jede Menge erfolgreicher junger Pop-Künstler haben, während bei den weiblichen Popstars unter 40 eine Lea allein auf weiter Flur steht.
Schuld an der Unsichtbarkeit von Frauen sind also Routinen, die sich im Popgeschäft verselbstständigt haben?
Nein, da steckt noch mehr dahinter. Teil meiner Arbeit war auch die Analyse von Herrschaftstechniken, die gegen Frauen eingesetzt werden. Ich habe dafür mit Menschen aus der Branche gesprochen, die mir ganz konkrete Situationen geschildert haben. Zum Beispiel sitzt eine Musikmanagerin in einem Meeting und ihre Idee wird komplett ignoriert. 30 Sekunden später bringt ein Typ genau den gleichen Vorschlag nochmal und alle sind sich einig: "super Idee". Aber nicht nur Managerinnen fühlen sich nicht ernst genommen. Beispielsweise wurde mir von einer Sängerin eine Situation bei einem Soundcheck geschildert: Sie wartet darauf, dass sie ihre Gitarre einstellen kann, aber der Tontechniker übergeht sie einfach und meint, dass das besser ihr Gitarrist für sie übernimmt. Als hätte sie keine Ahnung von ihrem eigenen Instrument. Von solchen Situationen wurde mir gefühlt tausendfach berichtet. In vielem hab’ ich meine Freundinnen und mich selbst wiedererkannt.
Hast du Beispiele dafür?
Ich glaube, was jede Frau schon erlebt hat, ist dieses klassische Du-kannst-es-nicht-richtig-machen. Ziehst du dich hochgeschlossen an, bist du zu bieder. Wenn du dich freizügiger anziehst, wirst du direkt als Schlampe abgestempelt. Ich will nicht wissen, wie viele Frauen regelmäßig auf ihr Äußeres reduziert werden. Auch die Presse bedient sich da ja gerne plakativer Bilder: "die Brünette", "die neue Adele", "die Dicke": So etwas müssen sich Frauen viel eher anhören als ihre männlichen Kollegen. Besonders eklig wird es auf Social Media. Ich hab das öfter schon erlebt: Wenn du versuchst, deine Stimme einzusetzen, fangen viele Männer direkt an, mit Klischees um sich zu werfen: "die Zicke", "die hat ihre Periode", "Feminazi", "Gott, ist die hysterisch", "was eine Emanze" und so weiter. Dabei bin ich einfach nur eine Frau, die sich für Gleichberechtigung einsetzt.
Sieht es für junge Popsängerinnen in Deutschland besonders schlecht aus? International gibt es ja durchaus Frauen, die mit Popmusik viel verdienen.
Das stimmt. Ich hab‘ mich in meiner Arbeit auf die deutsche Musiklandschaft beschränkt. Im internationalen Raum gibt es aber viel mehr erfolgreiche Künstlerinnen: Beyoncé, Taylor Swift, Dua Lipa, Billie Eilish, Lizzo, Rihanna – ich glaube, jedem würden direkt zehn Frauen einfallen, die ganz oben mitspielen. In Deutschland fehlt uns leider die Infrastruktur. Dabei wäre es doch geil, wenn wir unsere eigenen großen Frauen im Popgeschäft hätten. Was aber wichtig ist: Auch in Ländern wie den USA und England muss man differenzieren. Dort gibt es vielleicht kommerziell erfolgreichere Künstlerinnen, aber im nächsten Schritt muss man sich fragen, wie die Strukturen dahinter aussehen. Selbst bei erfolgreichen Künstlerinnen gilt nach wie vor, dass das Label, das Management und das Booking zumeist männlich dominiert sind. Auch dort stellt sich also die Frage: Sind wir als Künstlerinnen in einem männlichen System gefangen? Oder können wir wirklich frei darüber entscheiden, wie wir uns präsentieren?
Du positionierst dich mit Songs wie "42 Millionen" bewusst feministisch. Wie entsteht ein solches Lied?
Immer wenn mir eine gute Zeile in den Kopf kommt, mache ich mir eine iPhone-Notiz. Wenn ich dann mit einem Produzenten an Beats und Melodien arbeite, scrolle ich durch meine Notizen und schaue, welche meiner Ideen zur Stimmung der Musik passt. Was bewegt mich gerade? Bei "42 Millionen" war es so, dass ich, auch durch die Masterarbeit, das Gefühl hatte: Egal, was wir Frauen machen, wir werden einfach nicht gehört. Ich dachte: Boah, wie krass – es gibt 42 Millionen Frauen in Deutschland und gefühlt werden wir alle nicht so wahrgenommen, wie wir wahrgenommen werden sollten. So kam ich auf die Zeile "42 Millionen - Königinnen ohne Thron". Ich finde, das ist ein schönes Bild. Männer sind bereits Könige, wir wollen auch gar nicht über ihnen stehen. Aber wir wollen auf Augenhöhe agieren – wir wollen unseren eigenen Thron.
Wie hoffnungsvoll bist du, dass sich dieses Ziel erfüllt?
Der Weg zur Gleichberechtigung ist leider noch verdammt lang. Bei der Recherche bin ich auf eine Studie gestoßen, die prognostiziert, dass die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern erst in 136 Jahren erreicht sein wird. Ich finde, das Tempo müsste angezogen werden. Gemeinschaftlich kann auch etwas passieren. Dazu brauchen wir Männer als Verbündete, die für uns einstehen, uns Raum geben und solange für uns laut sind, bis wir selber gehört werden.