Volker Löschs grelle Fallada-Inszenierung "Kleiner Mann - was nun?"
Die in Kooperation mit Christoph Lepschy erarbeitete Spielfassung stützt sich auf die 2016 erschienene vollständige Veröffentlichung des Roman-Manuskripts

Ausbeutung, Demütigung, Mittellosigkeit und Zukunftsangst: Gehetzt sind die Menschen in Volker Löschs Fallada-Inszenierung "Kleiner Mann - was nun?" mit den Schauspielern (v.l.) Amelle Schwerk, Ragna Pitoll und Benjamin Pauquet. Foto: Christian Kleiner
Von Monika Frank
Mannheim. Szenische Umsetzungen von Hans Falladas Romanen aus dem Kleine-Leute-Milieu der 1920/30er Jahre sind seit einigen Jahren zunehmend gefragt im deutschen Stadttheater. Kein Wunder, die Parallelen zwischen den Folgen der Weltwirtschaftskrise damals und den gesellschaftlichen Flurschäden des Neoliberalismus von heute liegen auf der Hand. Nach Heidelberg, wo Markolf Naujoks in der laufenden Spielzeit "Kleiner Mann - was nun?" nah an der Vorlage und emotional anrührend auf die Bühne brachte, zeigt Volker Lösch nun im Schauspielhaus des Mannheimer Nationaltheaters eine karikaturenhaft grelle, eher den Kopf als das Herz ansprechende Lesart der Geschichte vom Buchhalter Johannes Pinneberg und der Verkäuferin Emma Mörschel, genannt Lämmchen.
Seine in Kooperation mit Christoph Lepschy erarbeitete Spielfassung stützt sich auf die 2016 erschienene vollständige Veröffentlichung des Roman-Manuskripts, das für die Erstausgabe 1932 stark gekürzt worden war, vor allem zu Lasten der politischen Passagen, die Lösch mehr interessierten als das private Drama der Pinnebergs. Wie bei all seinen Inszenierungen seit den "Webern" mit Wutbürgerchor 2004 in Dresden kamen wieder Ortsansässige zu Wort, die von der angesagten Problematik betroffen sind.
Filmaufnahmen etlicher Interviews, in denen Mannheimerinnen und Mannheimer ihre prekären Lebensverhältnisse schildern, sind Teil des spektakulären Video-Projekts von Robi Voigt, der in rasanter Folge Farben, Formen und Bilder über eine riesige Projektionswand laufen lässt. Auf den vier Etagen des davor aufgebauten Stahlgerüsts im gleichen Format (Bühne und Kostüme: Carola Reuther) hetzt die Regie das fünfköpfige Ensemble gnadenlos hin und her, oft im Tanzschritt, mal zu swingendem Jazz, mal zu hämmerndem Hard Rock.
Die Aufführung spart die ersten Kapitel des Romans aus und startet mit der Ankunft des jungen Ehepaars in Berlin, wo Pinnebergs Mutter Mia ein Zimmer ihrer Wohnung zu horrender Miete anbietet und deren Liebhaber Jachmann für eine Anstellung im Bekleidungshaus Mandel sorgen will, wo Pinneberg zwar erste Erfolge als Verkäufer verbuchen kann, doch bald durch die steigenden Verkaufsquoten des neuen Organisators Spannfuß unter Druck gerät. Mit der Geburt des kleinen Sohnes wird das Geld noch knapper, eine billigere Unterkunft findet sich illegal bei Tischlermeister Puttbreese. Doch der Abstieg geht weiter, Pinnebergs Rausschmiss ist längst beschlossene Sache, am Ende genügen eine Verspätung, weil der kleine Murkel die ganze Nacht durchgeschrien hat, und die Beschwerde eines eitlen Schauspielers über den angeblich zudringlichen Verkäufer für die fristlose Kündigung. Vorläufige Endstation ist die Gartenlaube eines ebenfalls entlassenen Kollegen. Passend zur Misere der Pinnebergs werden die Berichte der Befragten aus Mannheim eingeblendet. Darunter Handwerker und Akademiker, Reinigungs- und Sicherheitskräfte, Auslieferungsfahrer, Alleinerziehende, eine Werbegrafikerin, ein Regie-Student, eine Souffleuse - alle erzählen von Ausbeutung, Demütigung, Depression, Geldnot, Zukunftsangst.
Das Ensemble passt sich Löschs Regie-Konzept mit Spielfreude und bewundernswertem körperlichen Einsatz an. Schauspielerische Feinarbeit gelingt dabei am ehesten noch Celina Rongen als tapferem Lämmchen, das Benjamin Pauquets gutwilligem aber auch kleinmütigerem Pinneberg unerschütterlich Halt, Trost und Liebe gibt. Ragna Pitoll (als geldgierige alternde Kokotte Mia Pinneberg), Rainer Mahlberg (als ständig angesäuselter, übergriffiger Jachmann) und Amelle Schwerk liefern in wechselnden Rollen die grotesken Karikaturen, wie sie einem Gemälde von George Grosz entsprungen sein könnten.
Ans Ende des zweistündigen Abends setzt Volker Lösch den offenen Aufruf zu neuer Solidarität. Celina Rongen wird nun vom Lämmchen zur kämpferischen Aktivistin. Als Sprachrohr der besonders bedauernswerten Angestellten von Fahrradkurier-Diensten verweist sie auf bereits erreichte Verbesserungen durch Zusammenschluss und Eintritt in Basisgewerkschaften. Streik aller prekär Beschäftigten sei das Gebot der Stunde.
Info: Weitere Vorstellungen: 11. und 21. Mai, 18. und 24. Juni