Auftakt des einwöchigen Flux-Festivals
Tanz-Künstler mit der Choreografie "Show Business" von Catherine Guerin.

Von Marion Gottlob
Und schon wieder ein neues Festival: Erstmals darf der Verein Flux mit Tanz-Künstlern der freien Szene kostenlos den Zwinger des Theaters Heidelberg samt der Infrastruktur nutzen. In der Festival-Woche werden 14 Choreografien mit 27 Tänzern zu sehen sein. Intendant Holger Schultze unterstützt das Projekt aus Überzeugung und sagte bei der Begrüßung den Künstlern eine zusätzliche finanzielle Unterstützung als Ausgleich für die fehlenden Einnahmen durch die Corona-Beschränkungen zu: "Das ist jetzt nicht abgesprochen, das habe ich als Intendant beschlossen."
Seit einem Jahr wurde das Projekt geplant, obwohl im Grunde ungewiss war, ob das Festival überhaupt stattfinden kann. Den Auftakt vor meist sehr jungem Publikum machte nun die Choreographin Catherine Guerin. Sie stammt aus New York und tanzte unter anderem in der Tanz-Compagnie von Liz King und arbeitete mit Johann Kresnik. Unter dem Titel "Show Business" stellt sie die wichtige Frage: Kann moderner Tanz Geschichten erzählen? Oder sind die Bewegungen faszinierend und ästhetisch, aber beliebig? Die Choreografin macht sogleich den Praxis-Test. Sie ändert, ohne Ansage, die Reihenfolge ihrer Teil-Choreografien: Es geht zuerst um den Hilferuf "S.O.S" und dann erst um das "Home-Office".
Auf der tiefschwarzen Bühne steht eine Frau (Delphina Parenti) im blauen Kleid. Sie hebt die rechte Hand – so denkt man zunächst an die "Maus"-Hand des Computer-Nutzers. Doch dann begibt sich die Tänzerin in einen wahnwitzigen Tanz- Marathon: Die Hand wird zur Pistole für den Selbstmörder oder zum Sonnenschutz beim Blick in die Ferne; sie wird zum Gruß und zum Gegenüber. Allerhand! Sie legt sich in einer lasziven, verführerischen Geste an die Hüfte und wird zur Einladung. Eine Hand jagt die andere und zieht den ganzen Körper ins pantomimisch-tänzerisch-akrobatische Geschehen. Beim nächsten Event wird die Tänzerin in ein schwarzes Glitzerkleid gekleidet. Sie tanzt ein irres Spiel mit einer Taschenlampe. Das Licht betont die Schönheit der Frau, aber auch den Horror einer Frau, die eventuell ihre Identität verloren hat. So schimmert der ursprüngliche Titel der Choreografie durch: "Bin ich schön genug?" Genau diese Selbstzweifel zeigt die geniale Tänzerin, die in New York und Mannheim lebt, mit Choreografen weltweit gearbeitet hat und schon mehrere Städte- und Landes-Stipendien erhalten hat. Danach folgt tatsächlich das "Home-Office": Es spiegelt die Not der Corona-Krise, wenn Künstler ohne Arbeit im Homeoffice komplizierte Anträge auf staatliche Unterstützung stellen. Statt der Bühne steht ihnen nur der private Raum mit Schreibtisch zur Verfügung. So wird im schwarzen Zwinger nur ein Tisch angestrahlt. An dieser Stelle sei ein großes Lob für Licht- und Tontechnik gesagt. Pascal Sangl taucht aus dem Dunkel des Raums auf und fährt mit dem Kopf an der Tischkante entlang. Die rechte "Maus"-Hand zieht die linke Hand ins Spiel. Rasend schnell krabbeln die Finger wie Spinnenbeine über den Tisch.
Mit größter Intensität erforscht der Tänzer seinen imaginären Bildschirm samt Mailbox. Wie viele Zuschauer im realen Leben gerät er aufgrund einer Deadline unter Druck. Wer im Homeoffice dann erfolgreich ist, kann gute Geschäfte machen, aber er muss auch rund um die Uhr präsent sein. Die Connection zum Schreibtisch wird zur Fessel. Hilflos bittet der Tänzer bei Problemen um Unterstützung. Wie eine Befreiung wirkt schließlich der "nicht-virtuelle" Tanz ohne Tisch, aber mit silbernen Glitzersternen.
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Pascal Sangl hat in Amsterdam studiert. Er arbeitete ebenfalls schon mit internationalen Größen der Choreografie und ist von der israelischen Tanz-Szene geprägt. Das Stück "Small Town Boy" von Falk Richter für die Junge Bühne Sindelfingen mit Sangl-Choreografien wurde für den deutschen Amateurtheaterpreis nominiert. Nun trifft das Duo Guerin-Sangl mit "Home-Office" mitten ins Herz der aktuellen Corona-Not.