Lorde holt den den Hammer raus!
Nach vier Jahren meldet sich Lorde umso lebenslustiger zurück. Außerdem reingehört haben wir auch bei Yungblud, Frankie Cosmos, Kesha und Beatie Wolf & Brian Eno.

Von Steffen Rüth
Lorde, als Ella Yelich-O’Connor geboren und großgeworden in einem Vorort von Auckland, war 16, als ihr Debütalbum "Pure Heroine" (2013) einschlug wie ein Komet. "Royals" hieß der größte Hit – man hört ihn bis heute gern. Die junge Neuseeländerin selbst gab sich von Anfang an introvertiert, aber selbstbewusst. In der Öffentlichkeit und ihren Videos sah Lorde in der Regel aus, als käme sie grade vom Sport. Sie trug Wohlfühlklamotten und entzog sich der Sexualisierung ihres Körpers. So wurde sie mit ausdrucksstarker Stimme und ihrem ganzen lässigen Lorde-sein zum Vorbild einer neuen Generation Popstars. Billie Eilish, Gracie Abrams, Chappell Roan oder Olivia Rodrigo beziehen sich heute alle gerne auf die Neuseeländerin.
Lorde selbst hatte mit dem plötzlichen Gezerre von allen Seiten jedoch zu kämpfen. 2017 legte sie noch das formidable Album "Melodrama" vor. Dann aber igelte sie sich ein. Gebeutelt von Bühnenangst, einer Essstörung sowie gynäkologischen Unregelmäßigkeiten zog sie sich in ihre Heimat zurück, warf sinnbildlich das Handy weg, legte sich an den Strand und überraschte 2021 mit "Solar Power". Wohltuend akustisch und friedlich klang die Scheibe, manchem erschien sie vielleicht sogar einen Hauch zu esoterisch.
So, nochmal vier Jahre später! Lorde hat tief Luft geholt, sich von ihrem Langzeitfreund getrennt und ist nach New York gezogen. Hier hat sie mit "Virgin" ein Album aufgenommen, das abenteuer- und fleischeslustig klingt. "What Was That" zum Beispiel, die erste Single, die Lorde im April mittels eines vielbeachteten Flash Mobs im Washington Square Park von Manhattan uraufführte, ist eine unorthodoxe Partynummer. Der Song wird von Synthesizern vorangetrieben und entwickelt sich immer euphorischer. Lorde singt hier vom Spontanverlieben unter dem hormonfördernden Einfluss von Drogen und Kippen ("MDMA in the back garden, this is the best cigarette of my life"). Die Trennungstrauer verzieht sich wie ein Sprühnebel.
"Hammer" artet dann sogar in eine Art Rave aus. Die flirrend schnelle Nummer nimmt in 193 Sekunden so viele Wendungen, dass man schier aus der Puste kommt. Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass Lorde sich 2024 mit Charli XCX zusammengetan hat ("Girl, So Confusing") – jedenfalls durchweht das ganze Album ein kesser "Brat"-Luftzug. Mit 28 Jahren ist Lorde vielleicht älter geworden, aber so richtig "grown up" sein, das wäre dann doch doof ... Und so sehnt sich die Künstlerin im melodiösen "GRWM" danach, einfach von Stein zu Stein durch den Fluss zu hüpfen.
Ein, zwei ruhige Stücke gibt es auch, etwa das Acapella-Lied "Clearblue". Manchmal drehen die Synthies sogar bedrohlich ins Dunkle ab. So wie in "Shapeshifter", einem Song über One-Night-Stands, der mit seinem Sprechgesang an Madonna erinnert. Immer wieder muss man beim Anhören von "Virgin" auch an Björk denken. Insgesamt klingt dieses Popalbum aber so kompromisslos, charaktervoll und unvorhersehbar wie kaum ein anderes dieses Jahr.
Info: "Virgin" ist aktuell erhältlich. Im Dezember kommt Lorde für drei Konzerte nach München, Köln und Berlin.
Haim und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Yungblud
Idols
Rock U2 sind arg alt, Coldplay arg kommerziell geworden. Heißt das, wir müssen auf arenatauglichen Poprock und sommerlich-süffige Mitsinghymnen verzichten? Hell, no! Denn auch wenn das Plattencover andere Rückschlüsse zulässt, hat sich Yungblud aus der Emo-Punk-Ecke befreit. Sein "Idols" klingt weniger nach Machine Gun Kelly als nach den Altvorderen, die den Rock noch ausladend servierten: Zeppelin, Queen, Oasis ... – jeder der zwölf Song scheint einem anderen Idol gewidmet. Wie gut das funktioniert, zeigt der Blick auf die Charts. In Großbritannien schoss die Scheibe direkt auf Platz eins. Offenbar versorgt Yungblud hier ein Genre mit Frischblut, das sehnlichst darauf gewartet hat. (dasch) ●●●
Für Fans von: Inhaler
Bester Song: Lovesick Lullaby
Frankie Cosmos
Different Talking
Indie Aus "the next big thing" ist inzwischen eine angenehm entschleunigte Indie-Band geworden. Seit 2014 schreibt Greta Kline als Frankie Cosmos Vignetten über das Leben von Menschen in ihren Zwanzigern. Auf "Different Talking" ist der Sound nun leicht expansiver, die Geschichten bleiben aber im Kleinformat, im Zwischenmenschlichen, verordnet. 17 Songs hat die Tochter von Schauspieler Kevin Kline geschrieben. Alle kurz, locker – und damit ideal für heiße Sommertage. (han) ●●
Für Fans von: Clairo
Bester Song: Vanity
Kesha
.(PERIOD)
Pop "I only drink when I am happy and I am drunk right now", singt Kesha und man gönnt ihr die gute Laune. Nach jahrelangem Rechtsstreit mit ihrem (mutmaßlich) manipulativen und übergriffigen Produzent Dr. Luke ist der US-Popstar endlich frei. Das Album mit dem pinken Punkt hat Kesha selbst produziert. Auf die Ohren gibt es hyperaktiven Electropop à la Charli XCX, aber auch ein paar introspektive Balladen und sogar witzige Country-Anleihen. In Summe: ein "joyride"! (dasch) ●●
Für Fans von: Charli XCX
Bester Song: Yippee-Ki-Yay
Beatie Wolfe & Brian Eno
Luminal
Alternative Wie ein kühlender Verband legt sich "Luminal" über die wunde Seele. Das Album ist eine Zusammenarbeit der Ambient-Legende Brian Eno und der Konzeptkünstlerin und Musikerin Beatie Wolfe. Für beide ist dieses Projekt, das sie selbst als "electric-country-dream-music" bezeichnen, ungewöhnlich. Die von Wolfe eingesungenen Tracks hören sich an, als wären sie und Eno aufeinander zugegangen, ohne sich dabei in der Mitte zu treffen. Stattdessen findet ihre Begegnung an einem ganz anderen, gemeinsamen Ort statt – an dem auch die Stille zählt. So breiten Eno und Wolfe einen filigranen, minimalistischen Klangteppich aus, kunstvoll gewoben aus ruhigen Melodien und ätherischen Texten. (csw) ●●
Für Fans von: Leonard Cohen
Bester Song: Milky Sleep