Schwetzinger Festspiele

Fröhliches Chaos beim "Fall Babel"

Musiktheater von Elena Mendoza und Matthias Rebstock eröffnete die Festspiele

28.04.2019 UPDATE: 29.04.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 57 Sekunden

Szene aus "Der Fall Babel" in Schwetzingen. Foto: Elmar Witt

Von Matthias Roth

Schwetzingen. Babylon - Synonym für Größenwahn und Chaos. Auf der Bühne hat das besondere Reize, heißt es doch, das Theater sei der Ort, an dem beides sich trefflich entfaltet. Was für Wagnis also für Heike Hoffmann, Intendantin der Schwetzinger Festspiele, einem Projekt grünes Licht zu geben, das Babylon zum Thema hat und erst auf der Bühne entstehen sollte: Sechs Wochen vor der Premiere, als die ersten Proben begannen, wusste noch niemand genau, wohin die Reise geht. Nun hatte das Stück Premiere im Rokokotheater und die zweite und letzte Aufführung wurde im Internet übertragen.

Ein riesiger Aufwand für wenig Live-Erlebnisse, auch wenn "Der Fall Babel" selbst spannendes Chaos auf der Bühne erzeugte. Die Gemeinschaftskomposition von Elena Mendoza (Musik) und Matthias Rebstock (Regie) basiert auf Texten von Yoko Tawada, Cécile Wejsbrot und Fabio Morábito. Aber neben Musik und Szene haben Bettina Meyer (Bühne), Sabine Hilscher (Kostüme), Ulrich Schneider (Licht) sowie zwölf Vokalisten der Schola Heidelberg, drei Perkussionisten, zwei Schauspieler sowie die Elektronik des SWR-Experimentalstudios unter der Gesamtleitung von Walter Nußbaum genauso viel Anteil am Werk, sind sozusagen Co-Autoren. Denn, das betonte die Komponistin, das Stück entstand erst auf der Bühne, bei den Proben, im Zusammenwirken aller Beteiligten. Der Gruppenprozess war während der Aufführung durchaus spürbar.

Kernthema der zugrunde liegenden Texte ist die Sprachvielfalt und Sprachverwirrung unter den Menschen. Dies ist auch der einzige Bezugspunkt zu Babylon. Tawada erzählt die Geschichte einer Frau, die in einer ihr völlig fremden Sprache träumt. Sie versucht, diese Sprache - Afrikaans - zu lernen, um ihre Träume zu verstehen. Eine somnambule Klangwelt aus unterschiedlich großen und mit Wasser gefüllten Schalen sowie mehreren Vokalstimmen begleiten diese Szenen. In Wejsbrots Text geht es um eine Jüdin, deren Familie von den Nazis ermordet wurde und die, um das Jiddische zu verstehen, Deutsch lernen will - die Sprache ihres Feindes. Hier agiert ein vielstimmiger Chor in Clustern und Klangflächen und entwickelt höchst expressive Momente in Kombination mit live-elektronischen Verfremdungen.

Morábitos Geschichte schließlich, die alles zusammenhält und das Bühnenbild - einen drehbaren, begehbaren Stahlkubus in drei Etagen - anregte, erzählt von einem seltsamen Haus, in dem eine Familie sich ausschließlich der Übersetzung von Texten widmet, hoch spezialisiert, doch abgeschnitten von der Außenwelt. Hier geht es nur um die bestmögliche Transformation von Sprache. Der Klang dieses Hauses ergibt in Laut, Geräusch, Bewegung, Gestik oder Licht eine faszinierende Partitur. Dieser streng komponierte Part ist die musikalische Keimzelle von "Der Fall Babel" und zeigt das scheinbare Chaos als komplex verdichtete Struktur zahlreicher Motive. Er ist auch der theatralische.

Das Ganze ist ein detailliert durchdachter Vorgang akustisch-optischer Ereignisse, die perfekt ineinandergreifen: Doch wo ein Gang über die Treppe oder das Aus- und Einschalten einer Lampe die gleiche Wertigkeit hat wie ein gesungener Ton, ein Schnalzen mit der Zunge oder das Zuklappen eines Buches, wird die Musik zur Randerscheinung. Insgesamt wird daher wenig gesungen. Am Ende verzieht sich alles im Nebel der Geschichte, wird zum Museum. Das fröhliche Chaos weicht der einsprachigen Gleichförmigkeit - wie schade!

Info: SWR2 am 12. Mai, 20 Uhr.

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