Reiss-Engelhorn-Museen

Volontär aus Togo forscht zu Geschichte kolonialer Kunst

Am Mittwoch ist Tag der Provenienzforschung. Der lange Weg zurück zur kulturellen Identität.

11.04.2022 UPDATE: 13.04.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 55 Sekunden
Oussounou Abdel-Aziz Sandja stammt aus Togo und volontiert an den Reiss-Engelhorn-Museen. Zur Zeit digitalisiert er die Inventarlisten afrikanischer Sammlungen. Foto: Mayer

Von Moritz Mayer

Mannheim. Auf den ersten Blick sieht das Arbeitszimmer von Oussounou Abdel-Aziz Sandja aus wie ein ganz gewöhnliches Innenstadtbüro. Auf dem Schreibtisch steht ein PC, und um die Tastatur verteilt, liegen ein paar schwarze Ordner und beige Mappen. Doch bei näherer Betrachtung fällt ein Buch auf, in das tabellarisch Notizen eingetragen sind. Die Schrift sieht merkwürdig vertraut aus, bleibt aber beim Versuch, sie zu entziffern, kryptisch. "Das sind Listen von Gegenständen, die in Sütterlin geschrieben sind", verrät Oussounou Abdel-Aziz Sandja.

Sandja stammt aus Togo und volontiert seit einem Jahr an den Reiss-Engelhorn-Museen (REM) in Mannheim. "Ich bin zwei Jahre zuständig, die Inventarlisten zweier afrikanischer Sammlungen zu überprüfen und zu digitalisieren", fasst er zusammen. Dabei handelt es sich um die Sammlung Bumiller mit etwa 460 Objekten und um die Thorbecke-Sammlung mit über 2000 Gegenständen. Mit Letzterer wird er sich nun in seinem zweiten Jahr befassen. Ursprünglich brachten beide Sammlungen zwei Mannheimer Kunstinteressierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts in ihre Stadt.

Dabei wusste Oussounou Abdel-Aziz Sandja bis zu seiner Ankunft in Mannheim nur wenig über das tatsächliche Aussehen der Artefakte. "Ich habe mich gefreut, als ich die Gelegenheit erhalten habe, unsere Kulturgüter zum ersten Mal zu sehen", erinnert sich Sandja zurück. Dass es eine Seltenheit ist, zeigt sich auch in der historischen Betrachtung in Oussounou Abdel-Aziz Sandjas Herkunftsland. Es sei wichtig, die Gemeinschaften in Togo zu informieren, die von ihren Kulturgütern nichts (mehr) wüssten. Daher sieht sich Sandja in Mannheim seit einem Jahr als "stellvertretender Repräsentant für die Community Westafrikas". Das war auch der Gedanke der Reiss-Engelhorn-Museen, als sie die Stelle geschaffen haben. "Wir wollten eine Person aus der Community, die sich damit auskennt", unterstreicht Dr. Sarah Nelly Friedland, Direktorin der Archäologie und Weltkulturen an den REM.

Das Problem für Forschende ist, dass diese Kunstwerke über die Zeit und die Entfernung vom Entstehungsort einen Bedeutungsverlust erlitten haben. "Es gibt Objekte, die mehr sind, als wir zunächst vermuten würden. So kann ein Hut eine spirituelle Bedeutung gehabt haben, den ein religiöses Oberhaupt während einer Prozession trug", führt Sarah Friedland aus. Damit dieses Wissen wieder hergestellt werden kann, sei es unabdingbar, sich mit der Gesellschaft vor Ort auszutauschen und sich von der eurozentrischen Sichtweise zu lösen. So entstand die Idee, die Stelle mit Oussounou Abdel-Aziz Sandja zu besetzen, der den Gedanken für sich weiterführt und mit seiner Tätigkeit "den Kunstgütern ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgeben" möchte.

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Um dies zu ermöglich, ist es notwendig, zunächst alle Gegenstände der Sammlungen mit den Listen der Mannheimer Kunstinteressenten des 19. Jahrhunderts abzugleichen. Problematisch sind, so berichtet Sandja aus seiner bisherigen Erfahrung, allgemeine Oberbegriffe, die in die Bücher eingetragen wurden. "Wenn ‚Schmuck‘ in der Liste auftaucht, könnte eine Kette, ein Ring oder eine Kopfbedeckung gemeint sein." Das erschwert die Zuordnung zu den Sammlungsgegenständen. Hinzu kommt, dass oft nur wenig bekannt ist. Deshalb müssen die Objekte erst den schriftlichen Zeugnissen zugeordnet werden. Indem Sandja die Objekte digitalisiert, leistet er die Vorarbeit zur eigentlichen Provenienzforschung.

Hier handelt es sich um die Fragen, woher Kulturgüter stammen und wann sie in wessen Besitz waren. Da hierfür die Sammlung bekannt sein muss und eine Zusammenarbeit mit der afrikanischen Community unabdingbar ist, hofft Sarah Friedland, die Stelle von Oussounou Abdel-Aziz Sandja von der Stadt verlängert zu bekommen. "Wir haben diesbezüglich gute Signale erhalten", lässt die Wissenschaftlerin verlauten. Die Debatte, ob und wie afrikanische Kunstwerke zurückgegeben werden, ist jedenfalls in der Gesellschaft angekommen, das merkt auch Sandja. Aber dennoch hofft er auf einen richtigen Wandlungsprozess: "Ich wünsche mir von der deutschen Gesellschaft eine Abkehr vom exotischen Blick auf die Objekte und mehr Verständnis, dass es sich um identitätsstiftende Güter von Menschen handelt."

Dass sich dabei die Frage der Rückgabe stellen wird, weiß auch Sarah Friedland. Sie hält sich mit ihren Äußerungen allerdings noch zurück. "Wichtiger ist es zunächst, die Hintergründe der Kulturgegenstände aufzudecken, bevor sich dies beantworten lässt." Oussounou Abdel-Aziz Sandja freut sich über den von den Reiss-Engelhorn-Museen angestoßenen Diskurs, allerdings wünscht er sich, dass in Zukunft auch Exponate zurück nach Lomée – in die Hauptstadt Togos – gebracht werden. Und beim Verlassen des gar nicht so gewöhnlichen Schreibtischs wirkt eine Frage von Oussounou Abdel-Aziz Sandja nach: "Womit soll sich die Community in Togo auseinandersetzen, wenn die identitätsstiftenden Objekte im Ausland liegen und vor Ort fehlen?"

Info: Am Mittwoch ist Tag der Provenienzforschung. In den REM findet um 18 Uhr ein Vortrag statt, bei dem es auch um die Sammlungen Bumiller und Thorbecke gehen wird. Die Veranstaltung ist im Florian-Waldeck-Saal im Museum Zeughaus C 5 in Mannheim. Der Eintritt ist frei. www.rem-mannheim.de

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