Trevor Horn ist der Mann, der die 80er erfand
Auf Trevor Horns neuem Album verblüffen Stars wie Iggy Pop, Rick Astley, Seal, Marc Almond und Robert Fripp mit Klassikern.

Von Olaf Neumann
Mr. Horn, kaum ein Song in den heutigen Charts läuft noch länger als 2:50 Minuten. Intros, Bridges und Gitarrensoli scheinen ein Stilmittel von gestern. Tut Ihnen diese Vereinfachung weh?
Trevor Horn: Na ja, nicht alle Popsongs sind so. Die besten Platten, die ich gemacht habe, waren alle um die vier Minuten lang. Da hatte man ein bisschen mehr Platz und es lohnte sich, den Song durchzuhören, weil nach zwei Dritteln etwas anderes passieren konnte. Ich bin ziemlich oft enttäuscht von diesen modernen Dingen. Das ist eine sehr große Verallgemeinerung, aber ich habe das Gefühl, dass sie nach zwei Minuten aufgeben, das Gehörte wiederholen und dann ist der Song zu Ende. Ich hingegen versuche immer, bis zur letzten Minute etwas Interessantes geschehen zu lassen.
Sie gelten als der Mann, der den Sound der Achtziger erfand. Wer hat Ihnen gezeigt, was technisch möglich ist?
Eine deutsche Band, Kraftwerk. Man konnte auf einmal eine Platte machen, ohne einen nervigen Schlagzeuger zu haben.
Und dann haben Sie sich das Equipment angeschafft, das Kraftwerk damals benutzten?
Ich und mein Partner in der Band The Buggles, Geoffrey Downes, haben diese Geräte ausprobiert, aber wir konnten sie nicht zum Laufen bringen. Sie waren zu kompliziert oder zu neu. Also haben wir versucht, den Sound zu imitieren. Was wir machten, klang wie eine Sequenz aus einer Maschine, aber sie wurde tatsächlich von Menschen gespielt, zum Beispiel bei "Video killed the Radio Star". Wir wollten einen modernen Sound wie von einer Maschine haben. In den nächsten drei, vier Jahren kamen Drum-Maschinen, Fairlights, digitale Sampler, Sequenzer und Möglichkeiten, die beiden Welten miteinander zu verbinden, auf den Markt. Ich hatte das Glück, einer der ersten damit zu sein, und so konnte ich verrückte Sachen machen, die niemand zuvor gehört hatte.
Sind Sie Kraftwerk persönlich begegnet?
Ich habe sie nie getroffen, aber ich habe die meisten ihrer bahnbrechenden Alben gekauft und die Band live gesehen. Sie sind sehr clever, wie sie ihre Musik live präsentieren.
Der größte Hit aus Ihrer Feder ist "Video Killed the Radio Star" von 1979. 30 Jahre später produzierten Sie Robbie Williams Album "Reality Killed the Video Star". War Williams Buggles-Fan?
Das war Robbie Williams’ Titel, nicht meiner. Ich weiß nicht, ob er als Tribut an mich gedacht war. Wir haben auch ein Konzert für das Album gegeben. Es war sein erstes seit vielen Jahren, und er hat "Video killed the Radio Star" als Zugabe gespielt, was lustig war.
"Personal Jesus" wurde in den 1990ern von Johnny Cash kongenial gecovert. Hatten Sie ihn und Rick Rubin im Hinterkopf, als Sie den Depeche-Mode-Klassiker mit Iggy Pop für Ihr neues Album aufnahmen?
Nein, ich habe mir die späten Johnny-Cash-Platten nie wirklich angehört. Seine Videos waren so traurig. Sowas schaue ich mir nicht zum Vergnügen an. Ich schickte Iggy also meinen Backing Track. Diese Demos müssen ziemlich gut sein. Auf diese Weise habe ich das ganze Album gemacht. Ich spiele Bass und ein bisschen Keyboard. Man muss auf einer Platte nicht viel spielen. Es ist erstaunlich, mit wie wenig musikalischem Können man auskommt.
Hat Iggys Fassung das Zeug zum Hit?
Was ist heutzutage ein Hit? Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert. Wir sprechen von einer Zeit, in der die Popmusik etwas anders war, weil es in den Liedern nicht unbedingt um Sex ging, sondern um alles Mögliche. Wenn wir heute etwas Neues hören, kennen wir oft die Quelle. Es interessiert uns also nicht so sehr, wie wenn man etwas zum ersten Mal hört. Deshalb ist Musik aus den 80ern immer noch sehr beliebt.
Iggy ist Kult, aber es gibt von ihm nur einen echten Hit: "The Passenger". Hatte er die falschen Produzenten?
Das ist ein interessanter Punkt. Hat nicht David Bowie "The Passenger" produziert? Man darf nicht vergessen, dass Iggy den großartigen Song "China Girl" auf Bowies Album "Let’s Dance" hatte. Der hat so einen verrückten Text: "Ich taumle in die Stadt / wie eine heilige Kuh / Visionen von Hakenkreuzen in meinem Kopf / Pläne für alle". Das ist so typisch Iggy!
Welche Gefühle ruft die Stimme des 76-jährigen Iggy in Ihnen hervor?
Gott, er ist 76?! Ich fand, seine Stimme klang sehr voll. Ich sagte ihm, dass er ein Country-Sänger hätte sein können. Aber ich glaube nicht, dass Country ist, was er mag. (lacht) Ich war beeindruckt, wie gut er es gemacht hat und wie gut er das Arrangement kannte, denn es ist ziemlich kompliziert. In meiner Vorstellung dreht sich "Personal Jesus" um Selbstmordtelefone, wo Leute um drei Uhr morgens anrufen, wenn sie sich umbringen wollen und jemand ihnen das ausredet. Ich dachte, was für ein toller Mensch. Wenn man sich um drei Uhr morgens schlecht fühlt, ruft man die Hotline an und bekommt Iggy Pop.
Wer ist für Sie der größte Songschreiber bzw. die größte Songschreiberin aller Zeiten?
Joni Mitchell ist für mich die beste Texterin aller Zeiten. Aber wenn ich Dylan treffen würde, würde ich ihm sagen, dass er der Beste ist. (lacht) Es gibt eine großartige Zeile in "Tangled up in Blue", in der Dylan sagt: "Sie war verheiratet, als wir uns das erste Mal trafen / Bald geschieden / Ich habe ihr aus der Patsche geholfen, denke ich / Aber ich habe ein bisschen zu viel Gewalt angewendet". Es erstaunt mich, wie man so schreiben kann.
Am Gesang des älteren Dylan scheiden sich die Geister. Und er spielt gern zersägte Versionen seiner Klassiker.
Als es nur ihn, die Gitarre und die Mundharmonika gab, war er der bestklingende Mann. Keiner war so gut wie er. Als er dann anfing, mit einer Band zu singen, war er okay, aber er wurde immer mehr zu einer Karikatur seiner selbst. Ich musste lachen, als ich auf YouTube stöberte und auf Paul Shaffer von der "The Late Show" stieß. Er hatte eine Promi-Band zusammengestellt, die "Like a rolling Stone" genau so spielte wie auf Dylans Platte. Es war eine große Sache, denn sie ließen es von Bob höchstpersönlich singen. Aber er tat genau das, was er normalerweise tut. (ahmt Dylans nasalen Gesang nach) Sie konnten ihn nicht umstimmen. Hey, das ist Bob Dylan.
Info: "Echoes – Ancient & Modern" von Trevor Horn mit vielen Gaststars erscheint am morgigen Freitag.