Mine feiert umjubelte Rückkehr nach Mannheim
"Das bockt so hart!" In Mannheim hatte die Popakademie-Absolventin ihre Karriere gestartet. Jetzt trat sie in der Alten Feuerwache auf.

Von Marco Partner
Mannheim. Wer darf ein Konzert mit traurig-ernsten Weltuntergang-Songs starten, und am Ende doch noch eine quietschvergnügt bunte Party samt Gratiseis feiern? Wer darf auch mal eine Ansage verhauen, und dafür Beifall bekommen? Mine darf das. Die 36 Jahre alte Sängerin switcht mit ihrem deutschen Elektro-Pop zwischen Melancholie und Glücksgefühl. Beim Auftritt in der Alten Feuerwache spricht die Künstlerin offen über die Erkrankung ihrer Mutter, über den schlimmsten Streit mit ihrer Freundin und verrät, wie vor gut zehn Jahren ausgerechnet in Mannheim ihre Karriere begann.
Das dunkle Bühnenbild ist von hellen Laken umhängt. Ein weiches Gitarrenriff, ein gespenstisches Theremin, ganz in weiß gekleidete Musiker, die eine düstere Stimmung erzeugen, über die sich die klare, durchdringende Stimme der Sängerin legt. "Was ist Freiheit? Wer beengt mich? Was ist Arbeit? Wer beschenkt mich? Wer hat stets genug für sich? Wer starrt hungrig auf den Tisch?", singt Mine in "Unfall". Ehe als zweiter Track mit "Hinüber" ("Das Meer ist aus Plastik, der Hunger ist groß" heißt es im Refrain) schon der Titelsong ihres fünften Albums und Namensgeber ihrer aktuellen Tour folgt. Mine kann es sich leisten, zwei überstarke, aber auch nicht ganz so tanzbare Songs über Klimakrise und ungleiche Verteilung, über den heutigen Zeitgeist, in welchem die Grenzen zwischen politisch und privat verwischen, gleich zu Beginn rauszuhauen.
So schafft sie mehr Platz für ihre minimalistischen und ergreifenden Hits. "Bitte bleib" zum Beispiel, "S/W" oder "Elefant", in welchem sie der Metapher des offensichtlich Unausgesprochenen einen Raum gibt. Ihre Musik beschrieb Mine einmal als deutschsprachigen Folk mit Hip-Hop-, Jazz- und elektronischen Elementen. Inzwischen steckt aber auch viel Funk drin. Bei "Einfach so" spielt Keyboarder Winfried Rimbach-Sator ein skurriles Solo, als wäre er sonst bei der "Cantina-Band" von Star Wars auf einem weit entfernten Planeten beheimatet.
"Das war Killer, ich hätte fast vergessen, wieder zu singen", fühlt sich Mine manchmal selbst als Zuhörerin ihrer eigenen Songs. Und erzählt zur Ansage für das nächste Lied von einem früheren Zwist mit einer guten Freundin. Dass die Band eigentlich einen anderen Song auf der Setliste stehen hatte? Kein Problem. Mine tauscht. "Einfach so", ruft jemand aus dem Publikum. Der Streit mit der Freundin ist inzwischen längst beigelegt, der Song aber ist geblieben: "Mein Herz", eine versöhnende Pop-Ballade.
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Sehr lyrisch und intim sind die meist mit Elektro-Vibes angefütterten Lieder. Bei "Du kommst nicht vorbei" erzählt Mine, wie sie vor fünf Jahren einen inneren und äußeren Kampf führte. Damals lebte die aufstrebende Künstlerin schon in Berlin, ihre Mutter zu Hause bei Stuttgart aber war schwer krank. Mit hohem Tempo fuhr die Tochter häufig in die Heimat, und verlor dabei auch ihren Führerschein. "Die Zeit war wie im Nebel, sie hat mir alles abverlangt, obwohl ich nur Begleitung war. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, etwas machen zu wollen, obwohl es nichts mehr bringt?", fragt sie. Im Original-Track erklingt ein trauernder Dudelsack, nun sorgt Mine mit einer umgeschnallten Keytar, einer Keyboard-Gitarre, für Gänsehaut.
Mannheim ist für die Sängerin nicht einfach eine Stadt auf der Tourliste. Erst hier wurde aus Jasmin Stocker die Popkünstlerin Mine. Nach ihrem Jazzgesangs-Studium in Mainz hängte sie noch ein Studium an der Popakademie dran. In der Draisstraße in der Neckarstadt-West hatte sie ihre Wohnung und ihren ersten öffentlichen Auftritt 2012 im Café Vogelfrei in den Quadraten. "Ich war dabei", ruft eine Dame aus dem Publikum. Damals hatte die schüchterne Sängerin die Haare noch tief im Gesicht, saß nur am Klavier, und wollte kaum aufblicken.
Das ist heute ganz anders. Als Mine ist sie ein Gesamtkunstwerk geworden, mit coolen Moves, kurzen Robotertänzen und viel Feel-Good-Atmosphäre, bei welcher sie als Zugabe zum eher kitschigen Song "Eiscreme" ein paar Abkühlungen am Stiel in die Runde schmeißt. "Das bockt so hart! Aber wir müssen aufhören. Voll unangenehm", sagt sie am Ende. Und man spürt es, sie würde wirklich gerne weitermachen, in "ihrer" Alten Feuerwache, wo sie das halbe Personal beim Vornamen kennt. Die Sängerin hat sich trotz ihres Erfolgs (zuletzt spielte sie live in der Elbphilharmonie) den Charme des netten, vielleicht etwas verrückten Mädchens von nebenan bewahrt, das auch minutenlang über Hunger und Diskriminierung auf der Welt sprechen kann, ohne die Stimmung zu killen. Mine darf das. Einfach so.



