Weltraum-Drama "X" setzt die letzten Jahre der Menschheit in Szene
Deutschsprachige Erstaufführung - Forschergruppe hat am Rande des Sonnensystems Kontakt zur Erde verloren

Phantastischer Trip in das surreale Paralleluniversum der Psyche mit den Crew-Mitgliedern (v.l.) Clark (Klaus Rodewald), Mattie (Sabine Fürst) und Gilda (Verena Buss). Foto: Christian Kleiner
Von Heribert Vogt
Mannheim. Ganze 4,5 Milliarden Kilometer und 9 Jahre Reisezeit entfernt von der Erde zieht der Ex-Planet Pluto seine einsame Bahn - und mit ihm eine kleine Raumstation, deren Bewohner jeden Kontakt zur Heimat verloren haben. In Alistair McDowalls Weltall-Drama "X", das nun im Studio Werkhaus des Nationaltheaters Mannheim als deutschsprachige Erstaufführung Premiere hatte, sind die Mitglieder einer Forschungsmission am äußersten Rand unseres Sonnensystems ohne Chance auf Rückkehr und deshalb unmittelbar konfrontiert mit den unendlichen Weiten da draußen. Wohin wird die Reise in diesem Weltraum-Wartesaal gehen? In Zino Weys Inszenierung nicht in das äußere Universum, sondern in das nicht minder faszinierende Paralleluniversum im Kopf.
Der dunkle weite Horizont erscheint auf der Bühne als große Plexiglaswand mit immer gleichem Wabenmuster. Und dieses Wabenmuster findet sich auch auf der hellen Kleidung der Crew-Mitglieder (Ausstattung: Davy van Gerven, Musik: Ziggy Has Ardeur). Es ist offenbar das Kennzeichen eines bienenfleißigen Menschenvolkes, das auf seinem geometrisch-rationalen Weg sehr weit gekommen ist, aber sich eben doch offensichtlich auf einem Holzweg befindet.
Denn obwohl die Signale zur Erde dort ankommen, antwortet niemand (mehr). Kann es sein, dass die Menschheit binnen weniger Monate nicht mehr da ist? Schon länger steht es nicht zum Besten um sie. Erst verschwanden die Vögel, dann die Bäume - und auch Südamerika soll es nicht mehr geben. Eine globale Naturkatastrophe mit Überflutungen und Smog sowie die letzten Jahre der Menschheit scheinen begonnen zu haben.
Aber davon kommt auf Pluto nichts mehr an. Es ist sehr still und ruhig in der kleinen Kolonie, deren Lebenserhaltungssysteme für Jahrzehnte reichen, sodass die Vorräte nicht das Problem sind. Dafür rollt mit der finsteren Sinnfrage eine unheimliche Macht auf die einsamen Menschen zu. Und Gilda (Verena Buss), Mattie (Sabine Fürst), Clark (Klaus Rodewald), Cole (Michael Fuchs) sowie Ray (Stefan Reck) versuchen eine kleine interstellare Weile lang, ihre individuellen Lebenserhaltungssysteme mit Gewohnheiten, Regeln und Erinnerungen aufrechtzuerhalten, aber angesichts der Ewigkeit entkoppelt sich ihr Dasein von allen Ankerpunkten.
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Alles gerät ins Schwimmen: Zeitintervalle, Zugehörigkeiten, Gedächtnisbilder und sogar die Sprache zerfließen, während zugleich rätselhafte Phänomene und Wesen auftauchen. Diese Transformation führt tatsächlich in ein surreales Paralleluniversum, auch wenn es sich um die Galaxie der Psyche entfaltet. Angesichts des unaufhaltsam sich öffnenden Schwarzen Lochs ihres Schicksals gibt es offenbar noch einmal eine vitale Abwehrreaktion der Menschen, die den phantastisch schwebenden Zwischenzustand produziert. Aber woher kommt die Kraft dafür? Vermutlich aus dem nun schwindenden, aber vorläufig doch noch weitertragenden Potenzial gewachsener positiver Gefühle wie Glaube, Liebe, Hoffnung - und Heimat.
Aber Pluto ist überall. Was der britische Autor Alistair McDowall (Jahrgang 1987) hier in die faszinierende Expedition einer Science-Fiction-Story ver-packt, ist eine Reise ins Nichts, die jeder Mensch irgendwann antritt. Allerdings zeigt der Dramatiker nicht den berühmten Lebensfilm, der kurz vor Ausfall der Vitalfunktionen noch einmal abläuft. Sondern er führt vielmehr eine kollektiv erzeugte Lebensphase ganz neuer Qualität mit völlig veränderten Koordinaten vor Augen. Und für diese große Unbekannte mag das Titel-X des Dramas stehen.
Die sehr guten Schauspieler laden die Zuschauer mit diesem fremdartigen Szenario schon einmal zu Gedankenreisen ein. - Starker Applaus.
Info: Nächste Termine: 11., 18. Mai, 10., 25., 26. Juni.