Nationaltheater Mannheim

Vergeblicher Aufbruch ins neue Leben

Sibylle Bergs erotisch aufgeladener Satire "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" feierte im NTM-Studio Premiere.

01.02.2022 UPDATE: 02.02.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 10 Sekunden
Ist ihre neue Liebe dem Untergang geweiht? Die magersüchtige Nora (Camille Dombrowsky). F.: Borchardt

Von Monika Frank

Mannheim. Das erste Bild sieht eher nach Resignation als nach Aufbruch aus. Verloren wie Edward Hoppers "Nachtfalken" hocken da vier Gestalten am langen Tresen, der Nora Müllers Minimum an Bühnenbild im Studio des Mannheimer Nationaltheaters dominiert. Sie suchen Trost im ständig nachgefüllten Glas. Helge, Nora, Tom und Vera leiden alle mehr oder weniger unter dem Leben, das sie gerade führen. Sie haben Angst, nicht genug zu tun, um das Beste aus sich herauszuholen, träumen vom Glück, das woanders womöglich machbar wäre.

Die vier Figuren stehen dann auch im Fokus der Bühnenfassung, die Lukas Leon Krüger für sein Mannheimer Regiedebüt erstellt und im Studio des Nationaltheaters nun auch höchst erfolgversprechend zur Premiere gebracht hat. Die Vorlage dazu lieferte ebenfalls ein Debüt: "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot", der erste Roman von Sibylle Berg. Vor 25 Jahren bei Reclam erschienen und noch kein bisschen veraltet, hat das Buch schon alles an Schärfe und boshaftem Witz, was auch die Folgewerke der längst zur Kultautorin avancierten spitzesten Feder im deutschsprachigen Raum kennzeichnet. Die Versuchung, aus der ätzenden Satire über den vergeblichen Aufbruch in ein neues Leben, dem – bis ins grausigste Detail beschrieben – der tödliche Absturz folgt, eine schrille trashige Revue zu machen, liegt da sehr nah. Ganz anders Krügers eher auf glaubwürdige Charakterisierung zielende kammerspielartige Inszenierung, die den Figuren nichts von ihrer Komik nimmt, ihnen aber auch einen Rest an Würde belässt. Ergänzend zum Text, der volle Konzentration fordert, gibt es nur zwei längere Musikeinlagen: eine im hämmernden Sound elektronischer Klänge, synchron zur Anstrengung der Körper, bei all den geforderten Krümmungen und Verbiegungen möglichst auf den Füßen zu bleiben, die andere beim Einspielen von Edith Piafs triumphalem Chanson "Je ne regrette rien", in das alle hoffnungsfroh miteinstimmen.

Erfreulich neben der Regie auch die einfühlsame Rollengestaltung durch das gut aufeinander abgestimmte vierköpfige Ensemble. Rocco Louis Brück spielt feinnervig den Barpianisten Helge, der aus Selbstekel nach Venedig flieht, weil er nicht länger der zusätzlich bezahlte Beischläfer betrunkener Damen im Hotel sein will. Leider folgt dort der rauschhaften homoerotischen Liebesnacht mit einem blutjungen Verführer nur das jämmerliche Ertrinken im Kanal nach einem Schlag auf den Kopf, den die Kumpel des Strichers Helge verpasst haben. Robin Krakowskis viriler Tom hat sein ödes Dasein als gut situierter beruflicher Aufsteiger samt Sex mit Frauen, die man sich am Morgen danach wieder abduscht, gründlich satt. Er flüchtet per Anhalter nach Barcelona, wo er mit Diphtherie im Krankenhaus landet. Dort begegnet er der magersüchtigen siebzehnjährigen Nora, die ihren Eltern weggelaufen ist und gerade eine Woche sadomasochistischer Spielchen mit einem gleichaltrigen spanischen Jungen hinter sich hat.

Tom verliebt sich in das unwiderstehlich schutzbedürftig anmutende Geschöpf, das Camille Dombrowsky anrührend kindlich verkörpert. Missverständnisse trüben die neue große Liebe, die mit einem Autounfall endet, bei dem Tom seinen Kopf verliert, worauf Nora ein Feuer legt, in dem sie selbst verbrennt. Nur Sarah Zastraus resoluter Vera ist das Überleben ihrer Suche nach dem glücksbringenden Traummann vergönnt. Enttäuscht vom falsch eingeschätzten Pit, der sie nur ausnutzte, hat sie Amerika wieder den Rücken gekehrt, zu Hause einen neuen Job und eine andere Wohnung gesucht, ziemlich froh, endlich frei von großen Ansprüchen an sich und das Leben zu sein. Für ein Happy End bei allen Mitwirkenden sorgte zu Recht der starke Beifall des Premierenpublikums.

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