Plus Mannheimer Buga

"Dem Schwein ist sein ökologischer Hufabdruck doch Wurst"

Halb Theaterstück, halb Quizshow: Im Rahmen der Buga hinterfragt die Inszenierung "Pigs" auf packende Weise unsere Beziehung zum Borstentier.

24.04.2023 UPDATE: 24.04.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden
Im Clinch: Mira Huber als Klimaaktivistin und Fabian Raabe, der den Fleischesser verkörpert. Foto: Maximilian Borchardt

Von Marco Partner

Mannheim. Es ist Glücksbringer, Inspiration für unzählige Schimpfwörter, aber vor allem Fleischlieferant. Kaum eine Beziehung zu einem Tier ist so ambivalent wie die zum Schwein. Mit der interaktiven Theater-Installation "Pigs" wird bei der Mannheimer Bundesgartenschau jetzt das Verhältnis zwischen Mensch und Sau kritisch beleuchtet – und bei manchem Besucher vielleicht auch der innere Schweinehund überwunden.

Ein dunkler Raum, kalt und uneinsichtig, ganz ohne Tageslicht. Ein Mann mit blutverschmiertem Anzugkittel, Ledermaske und übergroßer linker Hand tanzt auf einer Rundbühne zu Techno-Sounds, während die exakt 30 Besucher auf ihren Hockern Platz nehmen.

Kreisförmig ist der kleine Zuschauerrang angelegt, wie ein Schweinekoben oder Kastenstand wirkt die Gitter-Behausung. "Schwein oder nicht Schwein? Das ist hier die Frage", sagt Boris Koneczny, der bei der Zwei-Personen-Inszenierung den Fleischkonsumenten verkörpert.

Mira Hubner und Rocco Brück wechseln sich in der Rolle des Klima rettenden Veganers ab. Die Gretchenfrage "Wie hältst du’s mit dem Fleischkonsum?" ist da schnell gestellt. "Denken wir, dass Steaks in der Truhe wachsen?", sucht er von Anfang an die Konfrontation.

Der Fleischesser versteht das schon, will sich die schönen Grillabende aber auch nicht nehmen lassen. "Das ist, als würde ich sterben", sagt er. In der Badewanne liegend, singt und philosophiert er über die Klimakrise. "Dem Schwein ist sein ökologischer Hufabdruck doch Wurst, da lässt es uns allein", findet er – und fürchtet doch die Rache der Borstentiere.

Das hat etwas von George Orwells "Animal Farm" – und ganz viel "Sendung mit der Maus" (beziehungsweise Schwein). Ja, das Stück aus der Feder von Miriam Tscholl, für welches das Nationaltheater mit Häusern aus Stuttgart, München und Berlin kooperiert, will Gewissensbisse schaffen und die Moralkeule schwingen.

Vor allem aber will es zum Nachdenken anregen. Hinter dem Rücken der Besucher leuchten Bildschirme, die sie plötzlich zu direkten Teilnehmern werden lassen. Es kommt zu humorvollen und ernsten Blitzumfragen, die weit über den Fleischkonsum hinausgehen. Zählt man sich zu den Guten, zu einer überlegenen Spezies? Nervt es, wenn andere einem ins Essen reinquatschen wollen?

Die erste Auswertung zeigt, dass nur sieben Vegetarier unter den Besuchern sitzen, 15 behaupten aber trotz unabdingbarer Platz-Reservierung für das im Buga-Ticket enthaltene Stück, sie seien gar nicht freiwillig hier.

Wer weiß, was noch kommen mag, wie tief man sich sprichwörtlich ins eigene Fleisch schneidet? Erst mal aber haben die Besucher ihre Ruhe von den beiden Schauspiel-Kontrahenten. Die Plätze wechselnd, lassen sie sich auf den Bildschirmen von Experten berieseln, die alle eine besondere Beziehung zu Schweinen hegen.

Eine Tierärztin klärt auf, dass 20 Prozent der Nutztiere schon vor der Schlachtung verenden – aufgrund von Überzüchtung oder dem Einatmen eigener Fäkalien im engen Mast. Mit den Kontrollen käme das Veterinäramt gar nicht hinterher. Statistisch könne man aufgrund fehlender Kapazitäten nur alle 17 Jahre dem gleichen Landwirt einen Besuch abstatten. "Die Mindestanforderungen müssen besser werden", betont sie.

Ein Kleinbauer aus dem Emsland fürchtet dagegen strengere Auflagen und politische Eingriffe in die deutsche Fleischproduktion, die nur eine Verlagerung ins Ausland zur Folge haben könnten.

Dass für eine Umstellung auf 100 Prozent Bio-Fleisch bei den derzeitigen Konsumzahlen die Erde gar nicht ausreicht, zeigt ein Greenpeace-Aktivist auf. Reduzierung und Verzicht, lautet sein Vorschlag, während ein Metzgermeister aus Franken anregt, zumindest die lokal hergestellte Wurst mehr wertzuschätzen.

Eine junge Dame aber sieht beim Thema Schwein mehr als nur die Fleischproduktion. Sie hält die rosa Wesen als Haustiere. "Sie sind clever, können Tricks wie Hunde und haben Charakter", bekräftigt sie. "Ich esse Tiere, obwohl ich sie mag", legt ein Teilnehmer die Doppelmoral offen.

Und man merkt, vielmehr als um die Wutz dreht sich bei der halb als Theater, halb als Quizsendung inszenierten Show eigentlich alles um einen selbst, um die Konfrontation mit dem inneren Schweinehund. Das mag unbequem sein, aber es lohnt sich. Nicht nur für die Schweine.

Info: Die interaktive Installation "Pigs" wird auf der Buga bis zum 14. Mai nahezu zweimal täglich in der Halle 5 im Spinelli-Park aufgeführt. Eine Platzreservierung ist erforderlich: www.buga23.de/series/pigs

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