Mannheim

Schnell, noch schneller - bis nichts mehr geht

Choreografien von Stephan Thoss und Andonis Foniadakis beim neuen Mannheimer Tanzabend.

07.07.2022 UPDATE: 07.07.2022 06:00 Uhr 1 Minute, 43 Sekunden
Aufs Tempo kommt’s an: Ensembleszene aus der Tanzproduktion „Speed“ im Nationaltheater Mannheim. Foto: Christian Kleiner

Von Isabelle von Neumann-Cosel

Mannheim. In Baden-Württemberg werden, anders als in den meisten übrigen Bundesländern, Tänzerinnen und Tänzer von den Krankenkassen Hochleistungssportlern gleichgestellt. Beim neuen Mannheimer Tanzabend "Speed" konnte sich das Publikum augenfällig davon überzeugen, wie berechtigt diese Einstufung ist. Die beiden Choreografen des Abends, der Mannheimer Ballettdirektor Stephan Thoss und der Leiter des griechischen Nationalballetts, Andonis Foniadakis, sind beide für physisch höchst anspruchsvolle Bewegungssprachen bekannt. Das verbindende Thema "Speed" sorgte dafür, dass in zwei höchst unterschiedlichen Choreografien athletische Höchstleistungen gezeigt wurden. So gab es zum Abschluss verdiente Standing Ovations für das Ensemble. Dem Phänomen der beständigen Beschleunigung des urbanen Lebens nähern sich beide Choreografen auf höchst unterschiedliche Weise.

Stephan Thoss reihte in der Uraufführung "Short Play" getanzte Mini-Dramen aneinander. Beim Erzählen von Geschichten ist Stephan Thoss in seinem Element: Mit überbordender Fantasie entwarf er – wie üblich auch für Bühne und Kostüme verantwortlich – groteske Szenen, in denen er die Beschleunigung des Zeitgeistes aus ironischem Abstand vorführte. Musikalisch geprägt wurde der Abend von einem stilistisch weit gefassten Musikmix (von Hauschka bis zum chilenischen Sänger Lucho Gatica). Bei allem Bewegungswirbel wurde viel Distanz deutlich: Mit derben Masken und in überstilisierten, von Rosa und Grau geprägten Kostümen, mit gelegentlichen marionettenhaften Bewegungen und dem Einfrieren der Szene demonstrierte Thoss den Spaß an grotesker Überzeichnung.

Der griechische Ausnahmechoreograf Andonis Foniadakis ist in seinem 2014 für "Les Ballets Jazz de Montréal" kreierten Stück "Kosmos" ebenfalls dem schnellen Zeitgeist auf der Spur, aber eher aus dem substanziellen Gefühl innerer Zerrissenheit heraus. So schickt er zehn Tänzerinnen und Tänzer in einen atemberaubenden Überlebensmodus, gebrochen durch leise Momente des Innehaltens. Mit dem Komponisten des Abends, Julien Tarride, verbindet Foniadakis eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit, die in dem Stück besondere Früchte trägt.

Gepeitscht von elektronisch verstärkten Percussions mäandert die Komposition durch ganz unterschiedliche Stile und Assoziationsräume und gibt dabei einen präzisen Bewegungspuls vor. Zum überraschenden Ende verwandelt Tarride – der auch als Bühnenbilder und Videographer tätig ist – die Tänzerinnen und Tänzer per Video in geheimnisvolle Pixel-Gestalten. Es gehört zum Konzept von Stephan Thoss, dem Mannheimer Publikum immer wieder Gelegenheit zu geben, neben der eigenen auch andere hochkarätige choreografische Handschriften zu präsentieren.

Bei der Einschätzung von Andonis Foniadakis wusste sich Thoss mit dem neuen Ballettdirektor in Hannover, Marco Goecke, einig. Der präsentierte Kosmos zu seinem Einstand am dortigen Staatstheater. Von der Nutzung gemeinsamer Ressourcen zeugt die Information im Programmheft, dass die Kostüme für Kosmos in den Werkstätten der Staatsoper Hannover hergestellt wurden. Vielleicht sind solche Kooperationen auch ein ressourcenschonendes Modell für die Zukunft?

Info: Die nächsten Vorstellungen sind am 9. und 13. Juli. www.nationaltheater-mannheim.de.

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