Mannheim

"Lehrer*innen" von Björn Bicker im Nationaltheater

Auf der Suche nach dem besten Unterricht - Wenn Lehrer ins Schwimmen geraten

14.10.2020 UPDATE: 15.10.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 52 Sekunden
Schwimmübung auf dem Startblock: „Wir müssen alles neu erfinden“, sagt Fatma, gespielt wird sie von Tala Al-Deen. Foto: Christian Kleiner

Von Stefan Otto

Mannheim. Zwei Lehrerinnen und zwei Lehrer im Schwimmbecken, in der Schule, im Theater. Ihr Bildungsauftrag trifft auf rohe Gewalt. In einer gelungenen Inszenierung von Leonie Thies hatte "Lehrer*innen" von Björn Bicker nun Premiere im Nationaltheater Mannheim.

Nicht im Lehrerzimmer und nicht im Konferenzraum, nein, sie begegnen sich im Schwimmbad. Warum ausgerechnet dort, wird nie ganz klar. Aber das Bild besitzt Symbolkraft. Die Kulisse von Marina Schutte und, mehr noch, das Licht von Robby Schumann faszinieren. Die Lehrer kraulen, paddeln, schwimmen Brust und Rücken, um sich über Wasser zu halten. Sie strampeln sich ab, um nicht unterzugehen oder ihre Schützlinge nicht untergehen zu lassen. Sie wälzen kolossale Wasserbälle wie Sisyphos den Stein, der es nie über den Berg schafft. Auf den Startblöcken am Beckenrand stehen sie wie Mahnmale auf Podesten und bilden den "Chor der glücklichen Lehrer*innen", der ein neues Alphabet schaffen möchte und das alte durchhechelt: von A wie "Anlauttabelle" bis Z wie "Zentralabitur".

Die Englisch- und Mathelehrerin Fatma Inan wurde Zeugin einer schrecklichen Gewalttat auf dem Schulhof. "Ich will wissen, was einen 15-jährigen Jungen dazu bringt, einen anderen 15-jährigen Jungen mit dem Messer in den Hals zu stechen", fragt sie sich, und wir erinnern uns an die letzte Regiearbeit von Leonie Thies: "Warum läuft Herr R. Amok?" nach Rainer Werner Fassbinder. Die blutige Tat, von der es später heißen wird, sie sei "der absolute, megamäßige, außergewöhnliche Ausnahmefall in einem ansonsten gut funktionierenden System namens Schule", wirft Fatma aus der eingeschlagenen Beamtenlaufbahn und lässt sie zweifeln, ja, verzweifeln. "Ich überlege ernsthaft, warum wir dieses System weiter füttern sollten", sagt sie, und der Chor, den die überzeugende Hauptdarstellerin, die Heidelbergerin Tala Al-Deen, mit ihren Kollegen Boris Koneczny und Nicolas Fethi Türksever sowie Kollegin Sophie Arbeiter formt, stimmt mit ein: "Wir müssen alles neu erfinden."

Ein "funkelnagelneues Alphabet" muss her. Neue Bedingungen, neue Regeln, ein neuer Umgang der Lehrer mit den Schülern wie der Elternschaft oder der ganzen Gesellschaft mit den Lehrern wie mit den Problemen, die es im Schulalltag zu meistern gilt. "Wir brauchen doppelt so viele Lehrer, Tausende von Computern, Ausbildung, Budgets, die wir selbst verwalten dürfen. Dichte Fenster", bringt einer es auf den Punkt. Für ein Bildungssystem, das möglichst allen Anforderungen und allen Beteiligten gerecht wird. Björn Bicker, jüngst von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Bensheim für sein Hörspiel "Güldens Schwester" ausgezeichnet, hat für sein Stück "Lehrer*innen", das 2019 am Schauspielhaus Bochum uraufgeführt wurde, verschiedene Klassenzimmer und Schulhöfe aufgesucht und zahlreiche Gespräche geführt: mit den Lehrern, und Lehrerinnen, von denen erwartet wird, dass sie den Kindern die angemessene Sprache, die angemessene Bildung und die richtige Einstellung vermitteln.

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Wie das überhaupt gehen soll, die Kinder "richtig" auf das mündige Leben vorzubereiten, bleibt offen, aber die "Lehrer*innen" vermitteln, dass es so, wie es jetzt läuft, jedenfalls nicht weitergehen kann. Dass ausgerechnet eine schulische Gewalttat ein Innehalten und Neudenken zeitigt, ist schrecklich grausam.

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