Kunstalle Mannheim

Von Vertretern einer neuen Kunst

Die Kunsthalle Mannheim widmet dem belgischen Maler und Zeichner James Ensor eine umfassende Ausstellung.

16.06.2021 UPDATE: 17.06.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 14 Sekunden
James Ensors „Der tote Hahn“ aus dem Jahr 1894. Foto: Kunsthalle Mannheim

Von Susann Behnke-Pfuhl

Der Tod hüllt sich in eine weiße Bettdecke, der kahle Schädel grinst, ein Auge schielt auf die Gesellschaft der Narren. Oft hat man sich gefragt, wer hinter den Masken und Verkleidungen des belgischen Malers James Ensor (1860-1949) steckt. Sind es Menschen, er selbst etwa, oder handelt es sich bei den Figuren um Marionetten? Über ihren Köpfen schweben von Bruegel inspirierte Wesen, auch der Sensenmann ist dabei.

Das Meisterwerk "Der Tod und die Masken" wurde 1937 von den Nationalsozialisten in der Kunsthalle Mannheim als "entartet" beschlagnahmt, stand 1939 in Luzern zum Verkauf und wurde vom Musée des Beaux-Arts in Lüttich ersteigert. Anlässlich der Ausstellung über James Ensor kehrt es temporär nach Mannheim zurück. Es bildet den Mittelpunkt der Schau, die rund 60 Gemälde und 120 Arbeiten auf Papier versammelt. Das Stillleben "Der tote Hahn" wurde 1956 als Ersatz erworben. Letzteres ist als Bild im Bild in dem Werk "Das malende Skelett" zu sehen.

Der Tod war eines der Lieblingssujets des Einzelgängers, seine Bilder können jeweils als "Memento mori" zu verstehen sein, als Erinnerungen an die existenzielle Bedrohung durch den Tod. Er besaß jedoch nicht, wie Kuratorin Dr. Inge Herold feststellte, eine übergroße Todessehnsucht, wie sie ihm manche Psychoanalytiker seiner Zeit attestierten. Wer seine leuchtenden Ölbilder, feinteiligen Radierungen und Lithographien betrachtet, erkennt viel Skurriles und Kurioses im Ensor-Kosmos, durch den der Künstler mit Leichtigkeit und Humor navigiert.

In seinen überragenden Landschaftsbildern, die gleich zu Anfang zu sehen sind, interessiert ihn das Phänomen des Himmels und des Wetters. Damit stand er den Impressionisten nahe. Studien einer Kathedrale erinnern an Monet.

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Große Vorstellungskraft zeichnete den Künstler aus. Er selbst sieht ihren Ursprung in seiner Kindheit: Seine Mutter führte einen Souvenirladen. Wie er dem belgischen Kritiker André de Ridder 1928 mitteilt, war der Dachboden voll mit ekelhaften Spinnen und Kuriositäten, Muscheln, Pflanzen und Tieren aus weit entfernten Meeren, schönem Porzellan, alten rost- und blutfarbenen Kleidungsstücken, roten und weißen Korallen, Affen, Schildkröten, getrockneten Sirenen und ausgestopften chinesischen Puppen. Auch schildert er diesem ein unheimliches Erlebnis: Ein großer Seevogel flog nachts durch das geöffnete Fenster und setzte sich an seine Wiege.

Der Sohn eines Engländers und einer Flämin war sehr sesshaft, reiste nicht viel umher. Er wurde in Ostende geboren und verstarb auch dort. Trotz vieler Ressentiments blieb er seiner Familie stets verbunden und lebte fast sein ganzes Leben lang in seinem Elternhaus.

Biografisches ist in drei übereinander gehängten Grafiken zu entdecken: "Die Seele des Schmerzes" malte er im Todesjahr seiner Mutter, zu der er jedoch ein distanziertes Verhältnis hatte. "Die Überreste" sind eine Abrechnung mit ihr, seiner Tante und seiner Schwester, die wenig Interesse an seiner Kunst zeigten. Als Seitenhieb auf seine Kritiker entstand "Dämonen, die mich quälen".

Stillleben nehmen einen großen Raum in Ensors Werk ein. Die Sujets reichen von prächtigen Chinoiserien über die Präsentation edler Stoffe bis hin zu maritimen und landestypischen Arrangements von Muscheln, Früchten und Tieren. Ein Raum mit Christusdarstellungen, die als Blasphemie heftig kritisiert wurden, ist Leihgaben aus Belgien zu verdanken.

Die Ausstellung, die, wie Direktor Johan Holten im Vorwort schreibt, an die erste Schau von Ensor 1928 in der Kunsthalle anschließen will, ist nicht nur umfangreich, sondern auch hochkarätig. Sie zeigt die fantastische Richtung in der neuen Kunst, die dem zweiten Direktor Gustav Hartlaub ebenso am Herzen lag wie die Neue Sachlichkeit, mit der er Furore machte.

Info: "James Ensor" in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, bis 3. Oktober 2021. Geöffnet dienstags, donnerstags bis sonntags und feiertags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs 10 bis 20 Uhr, 1. Mi. im Monat 10 bis 22 Uhr. Der Katalog (Deutscher Kunstverlag) kostet im Museum 29,50 Euro.

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