Barometer - Was gefällt den Heilbronnern und wo gehen sie hin?
Zwischen Hochkultur und Volksmusik - "Heilbronner Institut für angewandte Marktforschung"

Szene aus dem Stück "Der gute Mensch von Sezuan" mit dem das Theater Heilbronn die Spielzeit eröffnete. Foto: Theater Heilbronn
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Wer in der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses das hier präsentierte "Heilbronn-Barometer - Kulturangebote in Heilbronn" verfolgte, glaubte sich zunächst im falschen Film. Das "Heilbronner Institut für angewandte Marktforschung" ermittelte im Rahmen einer vom Rathaus in Auftrag gegebenen Marktuntersuchung zu Kulturangebot und Kulturrezeption in der Stadt unter anderem "ein sehr geringes Interesse an Kirchenmusik". Wer dagegen die Kirchenmusiken in der Kilianskirche kennt, hat eine andere Wahrnehmung: Diese Konzerte sind stets rappelvoll.
Auch wenn sich im Laufe der detaillierten Präsentation durch Dr. Joachim Allhoff die Nebel der Verwunderung etwas lichteten, es bleiben Zweifel, auch an der Nützlichkeit solcher Aufträge, die es ja schließlich nicht umsonst gibt. Allhoff selbst zeigte deren Grenzen ja auch auf. Dennoch. Ihre Ergebnisse werden Einfluss darauf nehmen, was bei der Kulturkonzeption der Stadt herauskommt - und dies in der Bandbreite von Hochkultur bis hin zur Populärkultur. Bildlich gesprochen: Vom Kiliansturm bis zum Gartenzwerg. Dass die im Kulturausschuss sitzenden Stadträte nach der Präsentation kaum Fragen äußerten, lässt vermuten, dass auch sie ratlos waren oder die politische Brisanz zunächst nicht erkannten.
Zur Befragung ausgewählt wurden zunächst 2016 rund 3000, dann 2017 rund 1000 in Heilbronn und einer Umgebung von 20 Kilometern lebende Personen ab 18 Jahren. Ausgangsfrage war: "Wie sehr interessieren Sie sich ganz allgemein für die folgenden Freizeit- und Kulturangebote, einmal unabhängig davon, ob Sie diese besuchen?". Definiert wurden die Kulturangebote so: Volksmusik, Kirchenmusik, Tanz/Ballett/Performance, Jazz-Musik, Freie Kultur/Alternative Kultur/Soziokultur, Literatur/Literaturveranstaltungen, Bildende Kunst (z.B. Malerei, Skulptur, Fotografie), Klassische Musik, Straßenkunst/-musik, Theater/Schauspiel, Geschichte/Kultur-, Stadt-, Heimatgeschichte, Musiktheater/Musical, Comedy/Kabarett, Rock-/Pop-Musik, Film/Kino.
Zweifel an der Aussagekraft der Ergebnisse belegt schon die einfache Tatsache, dass man in Heilbronn jeden Tag ins Theater oder ins Kino gehen kann. In ein klassisches Konzert (Harmonie) aber nur drei bis fünfmal im Monat, zu Poetry-Slam-Veranstaltungen nur etwa genauso oft im Jahr.
Es wundert also nicht, dass das Theater die höchste Akzeptanz erzielt. Naheliegend, dass es im zweiten Frageblock, in dem es um die tatsächliche Nutzung der Kulturangebote geht, mit 51 Prozent auch die Spitzenstellung hat, eben es mit seinen fast täglichen Vorstellungen in drei Spielstätten ein konkurrenzlos-umfangreicheres Angebot hat als z.B. die Kunsthalle Vogelmann (19 Prozent) mit drei bis vier Ausstellungen pro Jahr. Das gilt auch für die zehn bis zwölf Konzerte pro Saison des Württembergischen Kammerorchesters (16 Prozent) oder für das Haus der Stadtgeschichte/Stadtarchiv (19 Prozent). Und wenn an zweiter Stelle einfach nur das "Konzert- und Kulturzentrum Harmonie" (43 Prozent) steht, ohne Unterschied, ob hier Max Raabe oder die Chippendales auftreten, sagt auch das wenig aus.
Interessant wird erst der Vergleich von vergleichbaren Angeboten, also z.B. das "städtische" Theater hier, die Freien Theatergruppen (37 Prozent) und das Theaterschiff (23 Prozent) dort, sie zeigen beachtliche Werte bei sehr viel kleinerem Angebot. Und dass die "Volksmusik" die schlechteste Akzeptanz überhaupt hat, hat fast schon eine ideologische Komponente.
Für die Feinauswertung der Ergebnisse "Heilbronn-Barometer" und die daraus zu ziehenden Schlüsse für die Kulturkonzeption trifft das berühmte Schiller-Zitat tatsächlich zu: "Man muss die Stimmen wägen, nicht sie zählen ...". Man kann gespannt sein, wie sich diese Untersuchung auf den Kulturbegriff, die Kulturarbeit und vor allem die neue Kulturkonzeption der Stadt auswirken wird. Mit dieser wurde die Stuttgarter Agentur Kulturgold beauftragt, auch sie stellte in der besagten Sitzung ihre Herangehensweise vor und auch dazu gab es aus dem Gremium kaum substanzielle Fragen, solche zu der Einordnung der Ergebnisse in die "Stadtpolitik" werden aber mit Sicherheit kommen, spätestens wenn der nächste Haushalt aufgestellt wird.