Tanztheater von Helena Waldmann in Ludwigshafen

"Gute Pässe - schlechte Pässe" heißt ihr Stück und zeigt, dass es viele Mauern gibt

09.03.2017 UPDATE: 10.03.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 49 Sekunden

Szene aus dem Tanztheater "Gute Pässe - schlechte Pässe". Foto: privat

Von Isabelle v. Neumann-Cosel

Ludwigshafen. Die deutschen sind die besten - jedenfalls die Pässe. Damit kann man in 177 von 218 Ländern reisen; mehr geht nirgendwo auf der Welt. Es gilt, wie so oft: Wer nicht dazugehört, muss draußen bleiben. Willkürlichen Grenzziehungen ist Helena Waldmann in ihrem jüngsten Stück "Gute Pässe - schlechte Pässe - eine Grenzerfahrung" auf der Spur. Einmal mehr nutzte sie dabei den mitproduzierenden Ludwigshafener Pfalzbau für Endproben und Uraufführung.

Der Choreografin ist das Kunststück gelungen, ihr munter gegen den Meinungs-Mainstream schwimmendes gesellschaftskritisches Tanztheater international salonfähig zu machen. Denn wenn sie sich auch politisch ambitioniert mit fremden Kulturen beschäftigt - in "Made in Bangladesh" nahm sie die Billigfertigung der Textilindustrie ins Visier - hält sie gleichzeitig der westlichen Gesellschaft einen Spiegel vor. In "Gute Pässe - schlechte Pässe" verläuft die deut-liche weiße Trennungslinie in der Mitte der Bühne nicht etwa zwischen Einheimischen und Immigranten, sondern zwischen Tänzern und Akrobaten.

Die vier Tänzer stecken mit weichen, fließenden, höchst kultivierten Bewegungen das Feld des Contemporary Dance ab, während drei Akrobaten atemberaubende Aktionen vollführen. Spektakulär an einer vertikalen Stange, wild am Boden probieren sie bis zur Erschöpfung, die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren. Der Beifall des Publikums ist ihnen sicher, aber sie wollen mehr: nämlich ins Gelobte Land der E-Kultur, also in den Bereich der Tänzer, vordringen. Die setzen sich gegen die unliebsame Konkurrenz handgreiflich zur Wehr.

Helena Waldmann gesteht den Akrobaten deutlich mehr Vorzeigeraum für ihr Können zu und weiß das Publikum auf ihrer Seite. Dass eben auch die Tänzer eine besondere Bewegungsqualität beherrschen, wird indirekt offenkundig, als einer der Akrobaten den Tanz nachzuahmen versucht: mit schneller, höher, weiter ist es dabei nicht getan.

Mittendrin kippt die Szene zur Pietà, ein Akrobat wird zum Schmerzensmann. Der wird allerdings nicht betrauert, sondern gequält. Aber wie man ihn auch handgreiflich demütigt und abzuschütteln versucht - man wird ihn nicht los.

Auf der Bühne wird exemplarisch durchgespielt, was auch im großen Kunstbetrieb gängig ist: Zwar steht der zeitgenössische Tanz in der Hackordnung der Kulturförderung ganz unten, aber die Vertreter des Nouveau Cirque müssen draußen bleiben, also bei Circus, Varieté und Show, sprich U-Kultur.

Grenzziehungen gibt es aber noch mehr. Dafür hat Helena Waldmann 20 Mitwirkende vor Ort gecastet, ein buntes Multi-Kulti-Grüppchen (wie alle Akteure von Judith Adam in ebenso einheitliches wie unterschiedliches Schwarz gekleidet). Sie werden nach den Regeln eines gängigen Party-Spielchens in stets neue gegensätzliche Gruppen sortiert - nach Herkunft und Pässen, nach Reisen und Lebensgefühl, dann nach politischen Hoffnungen und Erwartungen. Sie bilden aber auch immer wieder eine lebende Mauer zwischen den verfeindeten Gruppen, instrumentalisiert von beiden Seiten. Am Ende dreht sich die Mauer wie eine außer Kontrolle gewordene Achse über die Bühne und jagt Tänzer wie Akrobaten in eine sinnlose Flucht.

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