Vertrauen in kreatives Potential der Musiker
Heike Hoffmann ist die neue Künstlerische Leiterin der Festspiele und verantwortlich für die Oper und das Konzertprogramm

Hat neue Ideen für Schwetzingen: Heike Hoffmann. Foto: Reuther
Von Matthias Roth
Heike Hoffmann ist die neue Künstlerische Leiterin der Schwetzinger SWR-Festspiele und verantwortet als Programmdirektorin sowohl die Opernproduktionen als auch die Konzertfolge der am 28. April beginnenden 66. Festspielsaison. Wir sprachen mit der neuen Chefin des Musikfestivals, die zuvor als Direktorin der Musik-Biennale Berlin, Künstlerische Direktorin am Konzerthaus Berlin und Künstlerische Leiterin der Salzburg Biennale tätig war.
Es heißt, man solle ein funktionierendes System nie unterbrechen: Die Schwetzinger Festspiele haben in den letzten Jahrzehnten ein starkes Profil entwickelt und erfolgreich realisiert. Setzen Sie auf Veränderung?
Dass Grundkonzept, Altes mit Neuem zu verbinden, hat sich als tragfähig erwiesen. Daher gibt es keinen Grund, daran etwas zu verändern. Wenn das Gesamtprogramm in einer Hand liegt, wird es natürlich anders entwickelt, als wenn es in mehreren Köpfen entsteht. Zudem sind bestimmte Rahmenbedingungen gesetzt: Ich kann zum Beispiel keine große Orchesterliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts machen, dafür sind die historischen Schwetzinger Säle zu klein. Es ist ein toller Ort für Kammermusik, Liederabende, für Alte und Neue Musik, wobei ich immer versuche, Tradition und Moderne durch ein dramaturgisches Konzept sinnvoll miteinander in Verbindung zu setzen.
Und das Musiktheater?
Es ist fantastisch, dass wir im Rokokotheater neues Musiktheater produzieren können! Wir haben ja hier die Möglichkeit, ein paar Wochen lang in Ruhe auf der Bühne zu proben, was im normalen Theater mit täglichem Spielbetrieb gar nicht ginge. Wir können Produktionsformen ausprobieren, die an einem Stadttheater mit festen, arbeitsteiligen Strukturen kaum zu realisieren sind. Solche neuen, experimentellen Formen - die eher aus der freien Szene kommen - möchte ich gern in Schwetzingen ausprobieren. Das braucht langen Vorlauf: Jetzt haben wir als Eröffnungspremiere ein Werk, das in engster Zusammenarbeit von drei Kreativen entstanden ist - Annette Schlünz als Komponistin, von Jeremias Schwarzer stammt die Idee und die Einrichtung der Musik Monteverdis, die sich mit Schlünz’ Musik verbindet. Die Dichterin Ulrike Draesner schließlich hat eine Geschichte erfunden und in ein Libretto geformt, die Tassos Text gewissermaßen umdreht. Das alles war ein gemeinsamer, eng verzahnter und sehr intensiver Arbeitsprozess. Schließlich kam sehr früh das Regieteam dazu und hat das Entstehen der Partitur begleitet. So etwas kann man nur im Rahmen eines Festivals machen.
Die Eröffnungspremiere "Tre Volti" bezieht sich auf Monteverdis "Il combattimento di Tancredi e Clorinda" von 1624. Lag dieser Komponist im Monteverdi-Jahr so sehr auf der Hand, dass er nun das Programm dominiert?
Sie werden mir das kaum glauben, aber mir war der 450. Geburtstag gar nicht bewusst, als die Entscheidung für diese Produktion fiel! Als ich 2015 die konzeptionelle Arbeit für die Festspiele begann, habe ich überlegt, mit welchen Komponisten oder Komponistinnen - bei mir werden vielleicht mehr Komponistinnen vorkommen - möchte und könnte ich arbeiten? Da traf ich Annette Schlünz, deren Entwicklung ich seit mehr als 30 Jahren verfolge, und wir sprachen über ihre neuen Projekte. Sie hat mir von dieser Idee erzählt, ein Stück "mit Monteverdi" zu schreiben. Die Dichterin Ulrike Draesner und den Alte-Musik-Spezialisten Jeremias Schwarzer habe ich dann sofort kontaktiert. Als noch das Ensemble Concerto Köln höchstes Interesse bekundete, war klar, dass dies die Eröffnungsproduktion werden würde. Daraus hat sich dann das Festival-Motto "Leidenschaften" entwickelt.
Das Konzertprogramm entstand erst nach der Entscheidung für das Projekt von Annette Schlünz?
Das ist richtig. Bei der Beschäftigung mit Monteverdi wurde mir bewusst, wie seine Musik durch die Jahrhunderte gewirkt hat, in viele Genres hinein. So sind viele Ideen entstanden, u.a. auch die, den Jazzmusiker und genialen Improvisator Michael Riessler zu beauftragen, uns seine Monteverdi-"Lesart" vorzustellen. So kam eins zum anderen. Das sich dann auch noch die Chance auftat, das großartige italienische Ensemble "La Venexiana" tatsächlich in diesem Jahr mit den erhaltenen drei Monteverdi-Opern nach Deutschland zu holen, habe ich zugegriffen. Es war ja klar, dass ich keine zweite szenische Opernproduktion realisieren kann in diesem Jahr: Dazu war der Vorlauf zu kurz, und es hängt auch mit der finanziellen Ausstattung der Festspiele zusammen. Aber es ist alles andere als eine Notlösung. Ich bin sehr glücklich, dass wir diese drei Werke in halbszenischer Version präsentieren können: Schließlich gilt Claudio Cavina, der künstlerische Leiter des Ensembles, als einer der wichtigsten Monteverdi-Interpreten überhaupt.
Bisher war es so, dass Opern in Kooperation mit einem Theater produziert wurden, was nicht nur den Bau des Bühnenbilds erleichterte, sondern auch die Möglichkeit bot, das hier Gezeigte später noch einmal an anderem Ort zu sehen. Warum ist das in diesem Jahr nicht so?
Weil die Zeit zu kurz war. Die Planungsvorläufe im Musiktheater sind sehr lang. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, mit wem wir 2020 koproduzieren. Allerdings ist die Produktion von "Tre Volti" dank großzügiger Förderung durch die Kunststiftung NRW und die Ernst von Siemens Musikstiftung nicht teurer als bisherige Uraufführungsproduktion in Schwetzingen. Und es haben sich etliche Intendanten zur Premiere angesagt: Da sehe ich gute Chancen für eine Wiederaufnahme.
Eine weitere Neuerung sind Nachtkonzerte in der Orangerie. Was ist das Besondere dieser Konzerte?
Die "Grenzgänge", wie ich sie genannt habe, werden von Künstlern gestaltet, die sich musikalisch zwischen den Welten bewegen und in Klassik, Jazz, Improvisation oder Folklore gleichermaßen zu Hause sind. Hier gibt es keine Programmvorgaben von meiner Seite, sondern ich vertraue ganz auf das kreative Potential dieser Musiker. Und dieser besondere Ort, die Orangerie im Schwetzinger Schlossgarten, scheint mir wie geschaffen für so ein Format - maximal 90 Minuten ohne Pause und zu später Stunde.
Die Matineen, das ARD-Preisträgerkonzert, die Orchester-Akademie und andere Programmformate wurden beibehalten: Ist das eine Folge der kurzen Vorbereitungszeit oder ein Bekenntnis zur bewährten Programmkonzeption?
Das ist schon ein Bekenntnis zu bewährten Programmformaten, die ich gern weiterführen möchte. Dazu gehört etwa auch die Pflege des Repertoires der "Mannheimer Schule" im Rahmen der Hofmusikakademie, für die ich mit der Villa Musica Mainz einen wunderbaren Kooperationspartner gefunden und damit das Projekt auf Langfristigkeit angelegt habe. Die Matineen möchte ich künftig ganz dem Streichquartett vorbehalten, weil das Genre und die vielen großartigen Interpreten besondere Beachtung verdienen. Die Orchesterakademie wird nunmehr mit dem SWR Symphonieorchester weitergeführt, das gilt übrigens auch für die Zusammenarbeit mit dem SWR Vokalensemble, mit dem ich auch für 2018 wieder geplant habe. Und ein weiterer Klangkörper des SWR - einem breiten Publikum vielleicht weniger bekannt -, nämlich das Experimentalstudio Freiburg wird in diesem Jahr erstmals in Schwetzingen dabei sein und auch bei den künftigen Musiktheaterproduktionen mitarbeiten.
Info: Festspielprogramm im Internet auf der Seite www.swr.de/swr-classic/schwetzinger-festspiele



