"Heidelbergs wilde 70er" spiegeln sich auch in der Kunst
Der kreative Zorn der Künstler - Ausstellung im Kurpfälzischen Museum

Als in den 1970er Jahren in Heidelberg der Baggerzahn vieles niedermachte, was den Bürgern der Romantik-Metropole ans Herz gewachsen war, bedeutete das nicht nur für das Stadtbild eine enorme Veränderung. Auch künstlerisch geriet einiges in Bewegung, denn dass Zorn kreativ machen kann, haben Künstler wie Marie Marcks, Klaus Staeck, Bodo Bremer und Gerhard Andreés, um nur einige zu nennen, damals eindrucksvoll bewiesen. Wie sich die Kunst in Heidelberg in der Zeit nach 1969 positionierte, erläuterte jetzt Professor Henry Keazor bei einer Führung im Kurpfälzischen Museum, wo die Ausstellung "Eine Stadt bricht auf. Heidelbergs wilde 70er" gezeigt wird. Keazor lehrt am Institut für Europäische Kunstgeschichte und hat mit seinen Studierenden die Kunstsektion dieser Ausstellung vorbereitet.
Den ungewöhnlichsten Beitrag zum Thema Altstadt-Abriss liefert Bodo Bremer. In einem Weckglas hat der Künstler "Eingemachtes vom Prinz Carl" konserviert. Die braune Pampe besteht aus den 1978 nach "Ratsherrenart" abgerissenen Resten des Prinz Carl und kann "bei Bedarf dem Bürger aufs Brot geschmiert werden", wie ein entzückend altmodisches Schild erklärt. Noch der heutige Betrachter spürt den Sarkasmus, der aus diesem Kunstobjekt spricht. Die Altstadtsanierung ist das große Thema, das die Künstler in den 70er Jahren umsetzen. Auf einem Bild von Manfred Riederer, ebenfalls 1978 entstanden, greift ein riesiger Baggerzahn nach Schloss und Alter Brücke; die zarte Colorierung ist dabei als bewusster Kontrast gesetzt zu dem drastischen Vorgang. Auch hier ist aus dem Titel "Erinnerung an einen Spaziergang durch Heidelberg im Sommer 1978" viel Bitterkeit spürbar. "Riederer setzt die Ängste, die damals viele Bürger umtrieben, ins Bild", erklärte Keazor.
Heidelbergs Jahrhunderte alte Schön-heit wird gerade niedergemacht - so empfanden es viele. Um das zu verdeutlichen, setzt die Ausstellung auf Gegensätze: So hängt ein Kupferstich von Thomas Abdiel Prior "The Town and Castle of Heidelberg", 1841/46 gefertigt nach einem Gemälde von William Turner, in unmittelbarer Nähe zu Gerhard Andreés Bild "Turner - Heidelberg, Heidelberg - Turner". Bei diesem großformatigen, ebenfalls 1978 gemalten Bild im Bild schwebt eine höchst idyllische Heidelberg-Ansicht wie eine Last an einem Haken. Die Interpretation ist eingängig: In der Stadt ist alles in Bewegung, Historisches wird als Last empfunden.Von dem pfiffigen Wortspiel "Turner bedeutet übersetzt: der Dreher", erläuterte Henry Keazor, zeigten sich die Besucher der Führung beeindruckt.
Auch Dieter Quast und Marie Marcks greifen in ihren Zeichnungen, deren Thema einmal mehr die Altstadtsanierung ist, ein berühmtes Vorbild auf. Am 1620 entstandenen Kupferstich von Matthäus Merian, der die große Stadtansicht von Heidelberg zeigt, kommt keiner vorbei, der warnen will, wohin die "Sanierungsmaßnahmen" der 1970er Jahre führen könnten. Marie Marcks, damals wie heute überzeugte "Hendessemerin", erweitert in ihrer 1972 entstandenen Feder/Tusche-Zeichung "Mariens anmüthige Städte-Chronik" Merians Perspektive. Da werden Altstadt-Gässchen zu gewaltigen Shopping-Malls, aus denen Parkhäuser in den Himmel wachsen. Vieles ist akribisch beschriftet, so die "Zundel-Spange", über die der Autoverkehr rauscht. "Das hat er mir nie verziehen", zitiert Keazor Marie Marcks. Genaues Hinsehen lohnt sich bei dieser Karikaturistin, es sind die vielen kleinen Details, die ihre Comics so treffend, so witzig und gleichzeitig so böse machen.
Nicht fehlen darf natürlich auch Klaus Staeck, der sich mit zahlreichen Plakaten und Grafiken künstlerisch und politisch damals wie heute klar positioniert. 1969 gab seine Waschmaschinenaktion beim Festival "Intermedia 69" Antwort auf die etablierte Würdigung anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Heidelberger Kunstvereins. Wie in der damals populären Werbung für das Waschmittel "Omo" kommt ein Gemälde des Schlosses in die Trommel. Es bleibt aber schmutzig-braun - bei Staeck eine deutliche Anspielung auf den Nationalsozialismus. Dass heutige städtebauliche Diskussionen über die Bahnstadt denen der 70er Jahre recht ähnlich sind, gab Keazor seinen Zuhörern mit auf den Weg.
Fi Info: Die Ausstellung "Eine Stadt bricht auf" ist bis 21. September im KMH, Hauptstraße 97, zu sehen; geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Führungen unter www.museum-hei delberg.de



