Heidelberger Prinzhorn-Sammlung wächst um mehr als 500 Werke
Die Sammlung erwirbt Zeichnungen und Texte des Psychiatrie-Patienten Erich Spiessbach.

Perfekt gezeichnet: "Urkunde" heißt diese Arbeit von Erich Spiessbach aus dem Jahr 1952. Foto: Sammlung Prinzhorn
Heidelberg. (fry) Ein Coup: Die Heidelberger Sammlung Prinzhorn erwirbt mehr als 500 Zeichnungen und Texte des Psychiatrie-Patienten Erich Spiessbach aus den Jahren 1951/52. Damit kann das Museum für Outsider Art seinen Bestand um wichtige Werke aus der Nachkriegszeit erweitern. Die Kulturstiftung der Länder, die Stadt Heidelberg sowie der Mannheimer Unternehmer Manfred Fuchs unterstützten den Ankauf.
"Das Werk Erich Spiessbachs (1901-1956) ist in seiner Geschlossenheit für einen Psychiatrie-Insassen einmalig und dazu von ungewöhnlicher zeichnerischer Qualität", erklärt Thomas Röske, der Leiter der Sammlung Prinzhorn. "Zudem erweitern die Arbeiten den neueren Bestand zwischen den Jahren 1945 und 1959, als Psychopharmaka in Deutschland eingeführt wurden. Eine Zeitspanne, die bisher in der Sammlung Prinzhorn kaum vertreten war."
Querulantenwahnsinn - so lautete die Diagnose, mit der Erich Spiessbach 1943 in die Marsberger Psychiatrie eingeliefert wurde. Der archäologische Hilfsarbeiter hatte sich zuvor im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Münster mit seinen Vorgesetzten gestritten und wurde fristlos entlassen. Er wehrte sich dagegen vor Gericht und gewann. Doch fortan zog er immer häufiger vor den Kadi - mit immer absurderen Beschwerden. Offenbar wollte Spiessbach zeigen, dass er anderen intellektuell überlegen sei. Doch er bewirkte das Gegenteil: Nach einer Reihe von Prozessen wurde der Paranoiker schließlich entmündigt und landete in einer Nervenheilanstalt.
Dort gab der Psychiater Manfred in der Beeck seinem Patienten einen Illustrationsauftrag zur Sentenz "Alles ist möglich, das Dümmste aber am Wahrscheinlichsten", der bei Spiessbach einen Kreativitätsschub auslöste. In wenigen Monaten fertigte er Hunderte von sarkastischen Zeichnungen an, welche die Gemeinheit der Gesellschaft entlarven sollten. "Das Spiessbach-Konvolut bietet Ansatzpunkte für eine Fülle von künstlerischen und medizingeschichtlichen Fragestellungen. Da die 1950er Jahre mehr und mehr in den Blick der Psychiatriegeschichte treten, wird die Bedeutung dieser Blätter in Zukunft sicherlich noch steigen", erklärt Röske.
"Hans Prinzhorns außergewöhnliche Kollektion inspirierte das Schaffen vieler bedeutender Künstler von Paul Klee über Max Ernst bis hin zu Jean Tinguely und nahm so indirekt Einfluss auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Auch zukünftig soll sie eine Quelle der Inspiration sein: Uns freut es sehr, dass wir mit der Förderung von Erich Spiessbachs originellen Zeichnungen nicht nur die Sammlung Prinzhorn, sondern auch Heidelberg als Kulturstandort stärken können", hebt Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, hervor.
Auch Heidelbergs Kulturbürgermeister Joachim Gerner freut sich über den Ankauf: "Die Stadt ist berühmt für ihr Schloss, doch sie hat mehr zu bieten - zum Beispiel als Zentrum der Outsider Art in Deutschland mit der weltweit einmaligen Sammlung Prinzhorn im Mittelpunkt. Deshalb unterstützen wir den Ankauf gerne."
Thomas Röske wird die Neuerwerbung am 12. Januar um 18 Uhr unter dem Titel "Humor hinter Anstaltsmauern - Das Werk Erich Spiessbachs" erläutern. Zudem ist bis zum 15. Januar 2017 die Kabinettausstellung "Erich Spiessbach - der ‚dreifach diplomierte Idiot‘" zu sehen - mit 20 Werken aus dem Ankauf.



