Heidelberger Künstlerinnenpreises an Iris ter Schiphorst: "Zerstören II"
Verleihung des Heidelberger Künstlerinnenpreises an Iris ter Schiphorst in der Stadthalle - Gespielt wurde ihre Komposition "Zerstören II"

Strahlende Gesichter: Im Rahmen des 4. Philharmonischen Konzerts in der Stadthalle erhielt die Komponistin Iris ter Schiphorst (3. von links) den Heidelberger Künstlerinnenpreis. Intendant Holger Schultze, Initiatorin Roswithe Sperber und Kulturbürgermeister Joachim Gerner (v. l.) gratulierten der Preisträgerin. Foto: Philipp Rothe
Von Simon Scherer
Als Egbert Hiller vom Deutschlandfunk Iris ter Schiphorst nach dem Antrieb für ihr Komponieren fragt, nennt sie ihre unbedingte Ausdrucksnot. Zeitgenössische Musik transportiere den Geist von heute, was für sie gleichzeitig mit gesellschaftspolitischem Engagement verbunden sei: Zerstören als Reaktion auf eine Zeit, in der sie im politischen Geschehen ein sehr beängstigendes Klima beschäftigte. Im gleichnamigen Werk "Zerstören II" solle jedoch die ganze Palette von Möglichkeiten mitschwingen, wie dieser Vorgang zu begreifen sei. Einen ersten Anstoß zur Ausdeutung gibt bereits in der Konzerteinführung die Uraufführung von Schiphorsts Solostück für Kontrabassklarinette "Orpheus 2015/ die Aufgabe von Musik", dessen Widmungsträger und Solist Theo Nabicht extra aus Madrid angereist ist.
Die Rolle des antiken Orpheus, der nach Klängen forscht und hierbei das Unmögliche versucht, findet sich sogleich im Part der Kontrabassklarinette wieder. Schon in der Partitur ist permanent die Anweisung zu reichlich Nebenluft zu finden, was die Komposition als enormen Kraftakt für den Solisten erscheinen lässt, der sich mit größter Atemnot unermüdlich quält, dem eigentlich Unschaffbaren näher zu kommen. Gegenüber der eine gewisse Unruhe mit sich bringenden Untermalung durch elektronische Klänge führt das Soloinstrument ein Eigenleben, ganz allein in den Wirren dieser undefinierbaren Geräusche vom Laptop.
Es ist eine verkehrte Welt, aus der Nabicht langsam auszubrechen versucht, rebelliert, sich mit widerspenstigen Tonerzeugnissen, glissandierenden Multiphonics und Stimmeinsatz dagegen aufbäumt. Seine Klappen schlagen lauter, seine Klänge werden rauschiger und dreckiger, Percussionrhythmen aus dem PC treiben das Geschehen noch mehr voran. Nabicht scheint schier auszurasten, gefangen in einem Käfig ohne jeden Ausweg. Dann ist alles vorbei. Greift man die Vokabel "Aufgabe" aus dem Titel heraus, tritt hier das "Aufgeben" vor Augen, aber ein unfreiwillig erzwungenes. Welche Art des Zerstörens findet sich nun im groß angelegten Orchesterwerk "Zerstören II"? Im großen Saal der Stadthalle steht auf der einen Seite die alles vernichtende Macht eines brutalen, gefühlten Dreifach-Fortissimos im Tutti, dazwischen immer wieder das schwache, hilflose Individuum, verkörpert durch die Solo-Bratschistin. Auch diese Momente werden von diffusem Zischen und Flüstern aus Lautsprechern begleitet, die etwas an Fabelwesen von Fantasy-Filmen erinnern. Zunehmend konkretisieren sich in diesem Experimentierfeld die Stimmen zu Worten und Sätzen, ein Anzeichen von Hoffnung, bevor einem die nächsten Schläge ins Gesicht treffen, knallharte Peitschenhiebe, die ein wahres Höllenszenario inszenieren.
Mit straffem Dirigat und klar ausgerichtetem Konzept führt Antony Hermus die Philharmoniker durch dieses Changieren zwischen Vernichtung und beängstigender Verunsicherung. Er versteht sich bestens darauf, das ganze Szenario mit energischen Rhythmen noch mehr zu befeuern. Nach erneuter Schießerei bröckelt alles im Nachhall plötzlich ab, es erstarrt im dubiosen Ruhezustand. Die Antwort bleibt offen, wer oder was hier gesiegt hat.
Solch direkte Wirkung auf die Zuhörer sei nur einer der vielen Gründe, warum Schiphorst den diesjährigen Heidelberger Künstlerinnenpreis erhält, wie Kulturbürgermeister Joachaim Gerner hervorhebt, als Intendant Holger Schultze zur Preisverleihung auf die Bühne führt. Der Musikkritiker Gerhard Koch hat in seiner Laudatio treffend auf den Punkt gebracht, welche drei traditionellen Kategorien Schiphorst außer Kraft gesetzt hat: Sie ist eine Frau in der Männerdomäne der Komponisten, sie folgte nicht der klassischen Trennung von E- und U-Musik, da sie nach ihrem Klavierstudium in zahlreichen Rock-Formationen als Bassistin, Schlagzeugerin und Keyboarderin spielte, und sie widerlegt das Frauen oft nachgesagte gestörte Verhältnis zu Technik. Die Begründerin des Preises und Stifterin der Preisskulptur, Roswitha Sperber, ist überglücklich, dass der 1987 ins Leben gerufene Preis, der 2007 zum offiziellen Musikpreis der Stadt Heidelberg wurde, dank Manfred Lautenschläger seit 2013 auch mit einem Kompositionsauftrag verbunden ist. Dankbar ist sie auch der Treue des Deutschlandfunks mit Frank Kämpfer, der dieses Konzert am 6. Juli um 21 Uhr senden wird. Die Preisträgerin selbst ist tief berührt, will sie doch auch ein politisches Zeichen setzen mit dem Glauben an die Musik von Komponistinnen.
Das absolute Kontrastprogramm servierte im Anschluss der Solo-Klarinettist der Wiener Philharmoniker. Daniel Ottensamer strahlte mit Mozarts Klarinettenkonzert einfach nur unendlichen Frieden aus. Über einem leicht-flockigen Streicherteppich der Philharmoniker eröffnete Ottensamers warme Klangfarbe und sanfter Zungenstoß diesen Höhepunkt der Klarinettenliteratur. Er kehrte immer wieder in ein unschuldiges Pianissimo ein und verlieh so dem Allegro einen wunderbar geschlossenen Rahmen. Während das Orchester sich in den Zwischenspielen des Adagios durchaus etwas ausgiebiger der Leidenschaft hingab, verzauberte der Solist wieder mit schlichter Anmut, wenn er die Melodien träumerisch-verliebt reinhauchte. Nach einem vorwitzigen Rondo bedankte er sich mit einer dynamisch raffinierten Eigenkomposition.
Nach der Pause lebten sich Dirigent und Philharmoniker noch in Prokofjews Suite aus "Romeo und Julia" aus, wo zwar so manche proportionale Gewichtung und Trompetensoli noch verbesserungswürdig waren, ihre Spielfreude aber ein sehr stimmungsvolles Bild von ländlicher Idylle, musikalischem Kleinod und deftigem Auftrumpfen miterleben ließen.



