Dokumentarfilm "Positive Gefühle": Sehr direkt, sehr offen, sehr witzig
Andreas Kessler zeigte seinen Dokumentarfilm "Positive Gefühle" über Kalle und Dieter Riegler im Karlstorbahnhof.

Regisseur Andreas Kessler (l.) hat über das Leben von Dieter und Kalle (vorne) einen bewegenden Dokumentarfilm gedreht. Foto: Alex
Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Dieter ist blind, Kalle sitzt im Rollstuhl und hat Aids, beide sind schwul. Seit 1983 sind der Blinde und der Lahme, die in Heidelberg bekannt und beliebt sind, ein Paar. 2010 hat Bürgermeister Wolfgang Erichson die beiden im Spiegelsaal in einer berührenden Zeremonie offiziell verpartnert. Wie sich Kalle und Dieter kennengelernt haben, wie sie mit ihren Behinderungen umgehen, wie sie gesundheitliche Rückschläge gemeistert und dabei optimistisch und zukunftsbejahend geblieben sind, schreit seit Jahren nach einer Verfilmung.
Das fand auch der junge Regisseur Andreas Kessler, der die beiden vor fünf Jahren kennengelernt und jetzt einen 30-minütigen Dokumentarfilm gedreht hat. Gestern, am Internationalen Tag gegen Homophobie, wurde "Positive Gefühle" im Rahmen des Queer Festivals im Heidelberger Karlstorbahnhof gezeigt.
Mit der Kamera begleitet Andreas Kessler Dieter und Kalle durch ihren ganz normalen Alltag, der für zwei schwerbehinderte Menschen eben nie "normal" sein kann. Wenn Dieter kochen will, hilft ihm eine sprechende Küchenwaage, wenn Kalle auf dem Balkon die zahlreichen Pflanzen gießt, tut er das vom Rollstuhl aus, wenn die Zwei im kultigen "Zuckerladen" in der Plöck einkaufen, muss Dieter Kalles Rollstuhl drei Stufen hinauf- und wieder hinunterwuchten.
Doch diese Schwierigkeiten sind kleine Fische, müssen doch beide damit leben, dass Kalle unheilbar an Aids erkrankt ist und dass es ihm zeitweise so schlecht ging, dass er nur noch 40 Kilo wog. An Dieters Ergebnissen bei Meisterschaften im Blindenschach lässt sich ablesen, wie es seinem Freund gerade geht. 1989 ging es Kalle ziemlich gut, da wurde Dieter Deutscher Meister.
Dass beide mit dem Tabu-Thema Aids so offen umgehen, dass sie ungeniert Behinderten-Witze erzählen und dabei laut lachen - und dass das alles niemals peinlich ist, sondern ihren Mitmenschen viel Energie, Lebensfreude und Wärme schenkt, ist das Besondere an diesem ungewöhnlichen Paar. Andreas Kessler und seinem Team ist es gelungen, eindrucksvolle Sequenzen zu drehen, die von viel Nähe zeugen, aber niemals die nötige Distanz vermissen lassen.
Kessler zeigt Kalle und Dieter Händchen haltend auf ihrem Bett und lässt die beiden auf den Anfang ihrer Beziehung zurückblicken. Am 17. Dezember 1983 hätten sie sich zum ersten Mal getroffen, und Dieter habe vorgeschlagen, noch auf einen Kaffee in seine Wohnung zu gehen. "Was will der Kerl jetzt Kaffee trinken?" habe sich Kalle gefragt. "Ich wollte nämlich ganz etwas anderes", berichtet er und lacht.
Vier Jahre später musste Kalle Dieter gestehen, dass sein HIV-Test positiv ist. Dieter bleibt - und der Zuschauer erfährt von Kalle: "Ich hatte acht Mal ungeschützten Geschlechtsverkehr, aber Schuld an meiner Krankheit bin nur ich". Hut ab vor so viel Selbsterkenntnis.
Kalles gesundheitliche Berg- und Talfahrt ist eine schwere Hypothek für das gemeinsame Leben, oft stehen die beiden auf dem Bergfriedhof an der Gedenkstätte für die Aids-Toten. Diese traurigen Momente spart der Film nicht aus, ebenso wenig wie Augenblicke der Freude: Als Kalle und Dieter nach gelungener Aids-Gala im Theater feiern, als sie sich bei der Hochzeit statt Ringen Armbänder überstreifen und ihre Liebe mit einem innigen Kuss besiegeln. Die klug ausgewählte Musik und die ruhige Kameraführung machen "Positive Gefühle" zu einem berührenden, aber keine Sekunde sentimentalen Film, den die Zuschauer mit Begeisterung feierten.
Info: Zu sehen ist der Film beim Kurzfilmfestival "Zum Goldenen Hirsch" im Karlstorbahnhof. Mehr zum Film gibt es auf www.positivegefuehle.de.



