Konfetti, Schweiß und weiße Rosen

Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys eröffnen das Zeltfestival (plus Fotogalerie)

Die Kultband begeistert das ausverkaufte Palastzelt mit Italo-Schlagern, Humor und größtmöglicher Geste.

06.06.2025 UPDATE: 06.06.2025 14:30 Uhr 3 Minuten, 34 Sekunden
Mehr als ein ulkiges Kunstprojekt: Gitarrist Zanti, Frontmann Roy und Co. spielen sich und Tausende Fans in einen regelrechten Rausch. F.: Kreutzer

Von Daniel Schottmüller

Mannheim. BAMM! Im Palastzelt knallt’s, bevor auch nur eine Silbe gesungen ist. Gut so. Warum bis zum Ende warten, wenn man die Fans direkt in Konfetti baden lassen kann? Genüsslich zerfetzen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys Konventionen, denen unkreativere Musikerkollegen folgen. Also, andiamo! Leinen los und hinein in den blau-weißen Schnipselrausch: "Es wird nie mehr, wie es war / Nur du und ich, Kreuzfahrt ins Nichts / Lang lebe die MS Abbrunzatissima!"

Dass die tifosi explosionsbereit sind, haben sie eindrücklich bewiesen: Seit Monaten ist der Auftakt des Zeltfestivals Rhein-Neckar ausverkauft. Und auf dem Weg zum Mannheimer Maimarktgelände sehen die mehrheitlich 25- bis 45-Jährigen auch nicht gerade aus wie Otto-Normal-Konzertbesucher. 

Nein, wenn die selbsternannten Päpste des Italo-Schlagers Messe lesen, dann wird der Anhänger zum Kardinal und Konzelebranten – und schmeißt sich entsprechend in Schale. Schals, blaue SSC-Neapel- und pinke Deutschlandtrikots treffen Radleroutfits im Team-Telekom- und rote Käppis im Ferrari-Style. Darunter mischen sich Hawaiihemden, Blumenketten, Flamingohüte, Glitzer. 

Vieles (aber beileibe nicht alles) davon hat seinen Bezug zu bestimmten Liedern und Momenten in der Geschichte dieser überaus ungewöhnlichen Band. 43 Jahre sei man bereits auf den Bühnen der Welt unterwegs, verkündet Seine Heiligkeit Roy, der Erste, dann auch bedeutungsschwanger zur Begrüßung.

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Dass der junge Mann mit dem Feixe-Grinsen anno 1982 noch nicht mal in der Lage gewesen wäre, in die Pampers zu pieseln – Schwamm drüber. Mitspielen heißt das Motto bei Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, die sich an diesem Abend im elegant-schwarzen Glitzerfummel präsentieren. Und was ist es für ein Schauspiel, das die sechs Augsburger auffahren! Man schmatzt baci um baci ins Publikum, fasst sich ans Herz, schüttelt sich gewichtig die Hände und lacht dieses joviale Schlagerlachen, in dem immer ein Hauch von Horror mitschwingt. 

Was hier durch den Aperol Spritz gezogen wird, sind die Klischees eines oberbräsigen Genres. Dabei haben die italophilen Fuggerstädter aber nichts mit dem Utz-Utz-Schlager zu schaffen, der Après-Ski und Ballermann bedröhnt. 

Näher dran ist man an Marianne Rosenberg oder Jürgen Marcus, deren Hits unmittelbar vor dem Konzert noch zum aufwärmenden Rudelsingen genutzt wurden. Das charakteristische Rolle-"R" Roy Biancos trägt einen sogar noch weiter zurück. In die Nachkriegsjahre, als Rudi Schuricke die Fischer von Capri besang und man sich fernwehtrunken nach "Bella, bella, bella Marie" sehnte.

Mehr als ein Dreiviertel-Jahrhundert danach widmen sich Roy und seine Mannen der "bella Giulia" von Bari. Oder der vino rosso ausschenkenden Antonella von Jesolo, deren Name sich so schön auf Mortadella reimt. Und: Sophia Loren, der berühmtesten aller Verflossenen Biancos. 

Der stellt sich Mannheim als "halb Gott, halb Mensch" vor, erinnert sich aber noch bescheiden an die ersten Gigs in der Quadratestadt. Vor drei Jahren spielte man unter der staubigen Mittagssonne des Maifeld Derbys vor 500 Zuschauern. Es folgten 2023 die Feuerwache und nun das bummsvolle Palastzelt. Beim nächsten Mal die SAP-Arena? An den Fans soll’s nicht scheitern. Die schmettern all diese schönen Schwachsinns-Schmonzetten zwischen Bardolino und Sicilia von vorne bis hinten mit. 

Um sich selbst nicht zu unterfordern, erkundet das Sextett in den knapp zwei Konzertstunden aber auch Adria-fernere Soundgefilde. Denn bei allem Quatsch darf man nicht vergessen, es ist kein Zufall, dass Blechkofler seine Trompete so lässig einhändig spielt: Hier steht eine Könnerband auf der Bühne. Und die surft nicht nur auf der Neuen Deutschen Welle ("Brennerautobahn"), sondern tänzelt auch mal unter der Discokugel ("Rimini Disco") oder über die "Supersonic"-Brücke von Oasis rüber ins Heimatland des Britpop ("Goodbye, Arrivederci"). 

Auf das offizielle Set folgt eine Akustiksession am anderen Zeltende. Umrahmt von einem Strahlenkranz gehen Roy und sein kongenialer Partner, Gitarrist Zanti, hier gerne auf die Wünsche der Fans ein. Jubel, als die Geschichtenerzähler ihren Mafia-Abgesang "Consenza bei Nacht" intonieren. Auf dem Rückweg zur Bühne mutiert der Beethoven-Schiller-Doppelpass "Ode an die Freude" zur Mitsinghymne. Und wer sich derweil fragt, ob’s draußen regnet, muss feststellen: Nein, es ist Schweiß, der da von der Zeltplane tropft. Uuuaahh … 

Schuld ist nur der Schlagerstrudel – der bedeutendste Kulturtanz des 21. Jahrhunderts, wie Zanti ihn im vergangenen Jahr beim RNZ-Interview getauft hat, ist ein Fankreisel, bei dem alles fröhlich singend in- und umeinander wirbelt. Am schönsten zu erleben bei "Bella Napoli", DEM Bianco-Hit mit seiner markanten Trompetenattacke. 

Zum Finale wird’s dann noch einmal getragen: Mit "Ponte di Rialto" und "Capri ’82" wandert die Band in die "Gründerzeit" zurück. Und nachdem sie die entscheidende Frage "quanto costa die Liebe zu dir?" geklärt haben (Antwort: nur ein bisschen Mut), lassen die Sechs es ein letztes Mal regnen – nicht Konfetti, sondern Blumen.

"Weiße Rosen soll es für dich regnen / Halt sie bis zum Wiedersehn / Und wenn wir von der Bühne gehen / Sag ich dir noch einmal / ,Irgendwann sehn wir uns wieder, es wird so sein wie früher‘ / Weiße Rosen soll es regnen, nur für dich / Weiße Rosen nur für dich ..." Als die letzte Silbe verklungen ist, kommt jeder der Musiker einzeln nach vorne, um einen Rosenstrauß in die selige Menge zu feuern.

Mille grazie!


Hintergrund

Das Zeltfestival Rhein-Neckar ist mit Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys offiziell gestartet. Als nächstes steht auf dem Maimarktgelände das DASDING-Festival (7. Juni) an, bei dem zehn Künstler, unter ihnen Headliner Zartmann, auf zwei Bühnen für Stimmung sorgen. Es folgt ein Doppelkonzert der Bands Heilung und The Hu (8. Juni) und der bereits ausverkaufte Gig des Mannheimer Rappers OG Keemo (14. Juni). Danach stehen Auftritte von Montez (19. Juni), Gringo Mayer und Voodoo Jürgens (21. Juni), Marc Rebillet (26. Juni), Fury in the Slaughterhouse (27. Juni) und Irie Révoltés (28. Juni) auf dem Programm. Die Konzertreihe im Palastzelt endet dann mit dem Auftritt von Dikka (29. Juni). Weitere Infos und Tickets unter: www.zeltfestivalrheinneckar.de

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