Thomas Melles "Versetzung" aus dem Deutschen Theater Berlin beim Stückemarkt
Willkommen in der Hölle namens Schule

Aquarium im Klassenzimmer: Daniel Hoevels und Anja Schneider in Thomas Melles "Versetzung". Für Anja Schneider sprang in Heidelberg kurzfristig Wiebke Mollenhauer ein. Foto: Arno Declair
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Lehrer sind auch nur Menschen. Schüler ebenfalls. Und deren Eltern machen natürlich keine Ausnahme. In ihrer Gemeinschaft gilt die uralte Regel "homo homini lupus", zu deutsch: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Alle machen sich das Leben gegenseitig schwer, manchmal sogar zur Hölle.
Der Romancier und Dramatiker Thomas Melle führt das in seinem in einer Schule spielenden und am Deutschen Theater Berlin uraufgeführten Auftragswerk "Versetzung" vor Augen. Seine Dialoge sind messerscharf und dem Alltag in Klassen- und Lehrerzimmern abgelauscht.
Mit perfektem Sprachgefühl, einer exakten Figuren-Psychologie und einem lyrisch gehaltene Crescendo erhebt der Autor seinen Text in die höchsten Sphären der Kunst. Gut, dass die von Brit Bartkowiak inszenierte Produktion vom Heidelberger Stückemarkt-Gastspiel gleich zum Mülheimer Dramatikerwettbewerb weiterreisen wird. Melle sollte dort zu den Favoriten zählen.
Der von Daniel Hoevels bravourös gespielte Lehrer Ronald Rupp ist ein pädagogisches Ausnahmetalent. Er weiß, wie man mit ruppigen oder sensiblen Schülern umgehen muss. Rupp lässt sich mit Sachverstand auf die Argumente von Eltern und Kollegen ein und soll deshalb bald Schulleiter werden. So will es zumindest der bald in den Ruhestand wechselnde Direktor Schütz (Helmut Mooshammer), der Rupp am perfiden Stellvertreter Falckenstein (Christoph Franken) vorbei befördern will.
Auch privat läuft für den glücklich mit Kathleen verheirateten Rupp alles bestens: Nachwuchs hat sich angemeldet. Beim Heidelberg-Gastspiel ist kurzfristig Wiebke Mollenhauer für eine andere Kollegin in der Rolle der werdenden Mutter eingesprungen. Dafür erntet sie zu Recht Sonderapplaus.
Wenn so viel Licht auf eine Person strahlt wie auf Rupp, bleiben Schatten nicht aus. Rasch spricht sich herum, dass der Pädagoge vor Jahren wegen einer manischen Depression in Behandlung war. Daraufhin schlägt das Schicksal mit voller Wucht zu, und es setzt sich eine verhängnisvolle Spirale des Mobbings, der Verdächtigungen und der Ausgrenzung in Gang. Sonnyboy Rupp wird zum Opfer, die Schule erweist sich als wahre Hölle. Am Ende macht ausgerechnet der Blaustrumpf im Graurock (Judith Hofmann) Karriere, während Rupp einen Rückfall erleidet.
Birgit Unterweger, Michael Goldberg, Linn Reusse und Caner Sunar tragen ebenfalls dazu bei, aus diesem Abend ein Musterbeispiel geglückten Ensembletheaters zu machen. Die "Versetzung" sollte noch an viele weitere Bühnen versetzt werden - unabhängig davon, wie sich die Jury in Mülheim entscheiden wird. Lautstarker Applaus im Marguerre-Saal.



