Schauspiel Essen mit "Pussy Riots" im Zwinger 3
"Verknallt in die Welt und uns" - Krasser Auftritt vor vollbesetztem Haus

Volle Kanne gegen den Kreml: Pussy Riots in Aktion (Katharina Leonore Goebel, hinten, und Jaëla Carlina Probst). Foto: Diana Küster
Von Heribert Vogt
Heidelberg. "Eine Pussy ist eine Pussy" - und zwar trotz Putin. Und "Pussy" meint hier nicht den englischen Begriff für Hauskatze. Vielmehr ist man da schon mittendrin in Magz Barrawassers schriller Inszenierung "Pussy Riots", mit der das Schauspiel Essen beim Heidelberger Stückemarkt im voll besetzten Zwinger 3 gastierte. Gewidmet ist der Abend der Moskauer feministischen Punkband Pussy Riot, die 2012 mit einer Skandalaktion für weltweites Aufsehen sorgte.
Bei ihrem Schlachtruf "Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!" klingt die Formation zwar recht anarcho-fundamentalistisch, aber dann entpuppen sich ihre Mitgliederinnen doch als recht nette Kätzchen, die ein authentisches weibliches Leben wollen und vor allem eines sind: "Verknallt in die Welt und uns".
Erneut rückt hier beim Stückemarkt mit Russland ein autokratischer Staat in den Blick, den die vitalen Pussy Riot-Frauen mit offenem Visier, vollem Risiko und immer lautstark durch die Vordertür attackieren. Es ist ein ungleicher Kampf gegen ein russisches Riesenreich, in dem der allseits bewunderte Präsident halb nackt durch die Wildnis reitet und zugleich die häusliche Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist. Gestützt und moralisch legitimiert wird das Männerparadies durch den offenbar für Luxus nicht unempfänglichen Moskauer Patriarchen Kyrill I., den Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche. Und so richtet sich Pussy Riots voller politisch-antiklerikaler Körpereinsatz insbesondere gegen diese "Putin-Kyrill-Romance".
Deshalb fand die Aktion von 2012 auch in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale statt - in "Kyrills Wohnzimmer". Aber obwohl die gezielte Provokation nur 40 Sekunden dauerte, landeten die Aktivistinnen für zwei Jahre im sibirischen Arbeitslager, wo sie das männliche Russland noch von einer ganz anderen Seite kennenlernen mussten - jedoch ohne sich wirklich unterkriegen zu lassen.
Die Achterbahnfahrt, die da abgeht, wird von den drei Schauspielerinnen Katharina Leonore Goebel, Jaëla Carlina Probst und Silvia Weiskopf mit viel Witz und Schmiss durchrast. Zugleich mit zwei Gitarren sowie einem Schlagzeug rhythmisch-fetzig getaktet (Musik: Anke Wisch). Inmitten einer stinknormalen Wohnlandschaft mutieren die Frauen immer mal wieder zu den nur scheinbar militanten Pussy-Randaliererinnen mit ihren Sturmhauben (Bühne und Kostüme: Johanna Denzel).
Dabei schrecken sie vor starkem Anspruchsgefälle nicht zurück: Mitunter streifen sie bei der Annäherung an das weibliche Geschlecht einen Aufklärungsunterricht auf Vorschulniveau, dann wieder erscheinen Rosa Luxemburg, Hannah Arendt, Susan Sontag oder Marie Curie als Galionsfiguren des globalen Feminismus. Und zu dessen Gegenfront zählen die weltweit ausgemachten Macho-Typen - von Rainer Brüderle bis Donald Trump. Auch tobt dieser Geschlechterkrieg schon seit Adam und Eva.
Differenzierung und Nuancierung sind die Sache von Pussy Riot nicht, eher der plakative Etiketthammer - da fehlt es schon mal an der Trennschärfe zwischen Protestierenden und Prostituierten. Solche Verwischungen können auch lustig sein: wenn etwa analog zum Frauen-BH ein Männer-PH vorgeschlagen wird. Da geht es jedoch nicht um Körbchen-Größen, sondern um Röhrchen-Größen (beziehungsweise: -Kleinen). - Viel Beifall für einen krassen Auftritt.



