Palmetshofer auf dem Weg zum Siegertreppchen
Das Ensemble des Theaters Basel glänzt beim Stückemarkt in Ewald Palmetshofers Neufassung von Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang"

Auf der hellen Guckkasten-Bühne: Das Baseler Ensemble zeigt Ewald Palmetshofers Hauptmann-Überschreibung "Vor Sonnenaufgang" beim Stückemarkt. Foto: Sandra Then
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Nichts ist für den Menschen interessanter als der Mensch. Autoren und Inszenatoren, die diese These beherzigen, kommen beim Publikum bestens an. So auch der 1978 in Oberösterreich geborene Dramatiker Ewald Palmetshofer und die um fünf Jahre jüngere, ebenfalls aus Österreich stammende Regisseurin Nora Schlocker, die dem Theater Basel mit der Neufassung von Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" im Verein mit einem exquisiten Ensemble eine der interessantesten Produktionen der Saison geschenkt haben.
Hauptmann sorgte mit dem 1889 uraufgeführten, im oberschlesischen Bergbau-Gebiet spielenden Sozialdrama über zerrüttete Familienverhältnisse, soziale Divergenzen, Erbkrankheiten, Alkoholismus und eine erschütternde Totgeburt für ein Fanal. Die Uraufführung machte den Naturalismus zwar nicht hoffähig (denn der Kaiser schäumte), sie läutete aber eine neue Theaterepoche ein. Der Titel steht symbolisch für die Morgenröte einer kulturellen Zeitenwende, so bedrückend und tragisch auch das Schicksal der hier auf die Bühne gestellten Figuren sein mag. Ewald Palmetshofer hat Hauptmann gründlich studiert und mit seiner Fassung ein schön flapsig-peppiges Update geschaffen. Sein Stück gilt als Paradebeispiel dafür, das mit Überschreibungen bekannter Stoffe viel erreicht werden kann. In Theaterkreisen spricht man gar von einem neuen Trend, der, bei genauerer Betrachtung, eigentlich ein alter Hut ist. Goethes "Iphigenie", Brechts "Dreigroschenoper", Christoph Heins "Ritter der Tafelrunde" und viele andre mehr sind ebenfalls Produkte neuerer Mythen- und Geschichtsbetrachtungen.
Geld? Ja, über das verfügen die meisten Figuren in "Vor Sonnenaufgang". Glück? Nein, das erhascht in dieser Familienhölle keiner. Dafür regieren Sprachwitz und Ironie, wenn die feinfühlig und komödiantisch interpretierten Charaktere aufeinanderprallen. Steffen Höld, Cathrin Störmer, Pia Händler, Myriam Schröder, Michael Wächter, Simon Zagermann und Thiemo Strutzenberger arbeiten die Marotten und Macken ihrer Figuren fein ziseliert heraus. Die Regie lässt ihnen die nötige Zeit, so dass die schönen Details des traditionell gebauten Konversationsstücks voll und ganz erblühen können. Nichts lenkt vom Spieltalent der tollen Truppe ab, nicht einmal die schlicht wirkende, aber dennoch recht aufwändige Guckkasten-Bühne Marie Roths. Bald wird die Produktion auch bei den Mülheimer Theatertagen gezeigt. Gut möglich, dass Ewald Palmetshofer dort das Siegertreppchen erklimmen wird.



