Flirten auf dem Fluss
Die deutsche Erstaufführung von Teresa Doplers "Das weiße Dorf" ging beim 38. Stückemarkt über die Bühne.

Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Wer hätte das gedacht, es funktioniert noch immer bestens! Das psychologische Kammerspiel, eigentlich eine etwas aus der Mode geratenes Genre, bekommt neuen Auftrieb. Und das auch noch auf dem Amazonas. Denn genau dort, genauer gesagt: auf einem Flusskreuzer, kreuzen sich in Teresa Doplers Zweipersonenstück "Das weiße Dorf" die Wege von Ruth und Ivan.
Vor Jahren waren die beiden einmal ein Paar, dann haben sie sich aus den Augen verloren, aber nie vergessen. Jeder orientierte sich neu, fand andere Partner und buchte mit denen – purer Zufall – ein Amazonasabenteuer. An Deck treffen sie sich nun wieder, die neuen Partner bleiben unsichtbar in ihren Kabinen oder im Speisesaal. Und so kommt auf dem Fluss alles in Fluss: die alten Geschichten ihrer Zweisamkeit, die verpassten Chancen und eine neue Faszination füreinander. "Schneller als gedacht, heftiger als gedacht" lodert es in ihnen wieder, während sich die Gefühle verästeln wie das Amazonas-Delta, das sich am Ende ihrer Reise in den Weiten des Atlantiks verliert. Das titelgebende weiße Dorf liegt nicht irgendwo am Flussufer, sondern es symbolisiert einen für Ruth und Ivan unerreichbaren Sehnsuchtsort im fernen Andalusien.
Das Online-Publikum des ausschließlich digital präsentierten Heidelberger Stückemarkts folgt dem Auftakt des zehntägigen Festivals mit gespannter Aufmerksamkeit. 2019, beim letzten analogen Stückemarkt, wurde "Das weiße Dorf" mit dem "Autor*innenpreis" ausgezeichnet. Uraufgeführt wurde es bereits im Januar in Wien, wo die Autorin auch lebt. Ron Zimmering besorgte nun die Deutsche Erstaufführung im Zwinger1 des Heidelberger Theaters. Der Regisseur packt die Beziehungskiste mit Vorsicht an und setzt auf strikte Reduktion. Purismus statt Prunk scheint seine Devise zu lauten. Den fein geschliffenen Dialogen Teresa Doplers und dem so unaufgeregten wie intensiven Flirt der beiden Darsteller Katharina Ley und Friedrich Witte bekommt die inszenatorische Zurückhaltung ausgesprochen gut.
Stark reduziert wirkt auch das rostige Quadrat, das die Bühnenbildnerin Ute Radler ins schwarze Nichts des Raums gestellt hat. Gelegentlich gerät es ins Schwanken, weil ja auch die Emotionen auf dem Amazonas hin und her wogen. Nie zu heftig, aber dennoch mächtig wie der südamerikanische Strom. Das karge Rost-Quadrat erinnert ein wenig an die schlichten Spielräume des britischen Regie-Altmeisters Peter Brook. Auch er konzentrierte sich immer auf die Sprache und das Spiel in seinen puristischen Settings. Im Nachgespräch bezog sich Zimmering aber nicht auf diesen Theaterdinosaurier, sondern auf ein Comic als Inspirationsquell. So war’s schon immer: Unterschiedliche Wege führen zu ähnlichen Ergebnissen.
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Bis zum Stückemarkt-Finale am 9. Mai wird noch viel gespielt, gestreamt und diskutiert: "Uns eint unsere Liebe zur Kunst und zur Kultur", betonte die Schauspielerin Sophie Melbinger in ihren Eröffnungsworten. Mit Live-Streams, online abrufbaren Mitschnitten, Telefon-Theater und dem erstmals veranstalteten "Netzmarkt" will Heidelbergs Intendant Holger Schultze der Corona-Pandemie digital trotzen. Der Start mit Theresa Doplers Stück stimmt zuversichtlich, dass dies gelingen wird. Wobei die Hoffnung bleibt, dass es "Das weiße Dorf" bald auch ganz analog mit Zuschauern im Saal und echtem Applaus am Schluss geben wird.
Info: www.theaterheidelberg.de