Heidelberger Stückemarkt

Begegnung der unheimlichen Art

Intensive Nahtod-Erfahrung: Schauspiel Leipzig mit Altendrama "Geister sind auch nur Menschen" beim Stückemarkt im Zwinger 1

26.04.2018 UPDATE: 27.04.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 42 Sekunden
Foto Rolf Arnold

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Die Expedition ging in die Todeszone - aber nicht an entfernten Katastrophenorten wie Tschernobyl oder Fukushima, sondern dort, wo alle einmal hingelangen, nämlich in der Endphase des Lebens. Das Schauspiel Leipzig führte beim Heidelberger Stückemarkt mit Katja Brunners Altendrama "Geister sind auch nur Menschen" zu einer Begegnung der unheimlichen Art, denn der nahe Tod nimmt darin in den verfallenden Individuen vielfach sinnliche Gestalt an. In Claudia Bauers desillusionierender Inszenierung im voll besetzten Zwinger 1 ist das Glas längst nicht mehr halb voll, auch nicht mehr halb leer, aber es enthält doch noch den ganzen Lebenssaft, einen Zaubertrank mit immer noch allen Zutaten des Daseins.

Schauplatz ist ein ärmliches Altenheim, dessen Bewohner sich mit ihren reichen Biographien immer stärker der rätselhaften Tabuzone des Todes nähern. Auf der Drehscheibe des quirligen Lebens sind sie schon ganz weit nach außen gelangt und drohen, bald über den Rand hinaus geschleudert zu werden. Die Seniorenresidenz, von der heute häufig beschönigend gesprochen wird, ist auf der Bühne als klinisch weißes, sich drehendes Karussell zu sehen (Ausstattung: Andreas Auerbach), in dem sich die Spuren des körperlichen Niedergangs besonders unappetitlich ausnehmen. Die Gesellschaft will perfekt regeln, was nicht nur nicht perfekt ist, sondern geradezu besonders hinfällig.

Die Heimbewohner jedoch bemerken trotz aller fortschreitenden Einschränkungen diese Diskrepanz und stürzen sich auf das bisschen Leben, das ihnen noch verblieben ist. Obwohl es vergessene Kriegszeiten gab, in denen sie große Kämpfer des Lebens waren. Jetzt kämpfen sie für das gemeinsame Zigarettenrauchen, wenigstens mäßigen Alkoholkonsum oder Teilnahme an Radio-Quizsendungen, auch der Freiheitsdrang und die sexuelle Begierde sind noch nicht völlig zum Erliegen gekommen. Zudem sind die erst allmählich schwindenden Erinnerungen mehr oder weniger angenehme Gesprächspartner.

Die verfremdenden fellartigen Leibkostüme der Darsteller sprechen eine klare Sprache: Da ist fast alles aus der Form geraten oder hängt nur so rum. Dennoch verweist diese Altersversehrtheit noch auf das ganze Leben. Trotz des bald verlöschenden Lichts glimmt diese Glut in den Alten fort, die von den Schauspielern Andreas Dyszewski, Timo Fakhravar, Marie Rathscheck, Julia Preuß, Katharina Schmidt und Florian Steffens so vital, so tragisch, aber oftmals auch so komisch verkörpert werden, da kann man sich trotz allen Fatalismus ein Grinsen mitunter nicht verkneifen.

Insgesamt jedoch zeigen die Leipziger ein Theater, das wehtut und schockt, denn da tun sich für niemanden verlockende Perspektiven auf. Und dies führt gegenwärtig zu einer immer stärker werdenden Debatte um die krankende Altenpflege. Andererseits erscheint das Alter auch als große Herausforderung, wenn man keinen Geringeren als den Jedi-Meister Yoda aus "Star Wars" angesichts der dunklen Seite der Macht davon sprechen hört, dass der Tod ein Teil des Lebens ist. Starker Beifall für eine intensive Nahtod-Erfahrung.

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