Heidelberger Stadthalle

Harald Lesch warnt vor der digitalen Diktatur

"Auch die Cloud klaut Energie" - Die Welle der Absurditäten rollt an

09.12.2018 UPDATE: 10.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 35 Sekunden

Erhobener Zeigefinger mit Witz: Vortragsvirtuose Harald Lesch. Foto: Philipp Rothe

Von Heribert Vogt

Heidelberg. "Kapitalismus, Kommunismus, Algorithmus." Mit dieser Folge von Herrschaftssystemen war Harald Lesch in der voll besetzten Heidelberger Stadthalle schnell bei seinem Thema der digitalen Diktatur. Der Naturwissenschaftler und beliebte TV-Moderator trat wieder als wahrer Vortragsvirtuose auf, der seine Mahnungen wie Warnungen stets aufs Neue in lakonisch-pointierten (Sprach-)Witz verpackte und ein ums andere Mal rhetorische Kalauer-Pirouetten oder rasante Steilkurvenwendungen hinlegte. Zu Beginn entfaltete er eine riesige Werbebeilage der Süddeutschen Zeitung für den schnittigen BMW 8er mit dem Slogan "Gebaut, um den Atem zu rauben". Die deutsche Antwort auf den Klimawandel.

Auch eine kleine Überraschung: Gedruckte Tageszeitungen spielten bei Leschs Auftritt eine wichtige Rolle. Aufwendig recherchiert und facettenreich helfen sie ihm, in den umstürzenden digitalen Zeiten den Überblick zu behalten. Lesch: "Ich bin jetzt in dem Alter angekommen, in dem ich Zeitungsartikel ausschneide." Denn sie berichten zuverlässig über das Autonome Fahren, drohende Drohnen und Flugtaxis oder das Social Scoring in China. Auch Lesch beugte sich augenzwinkernd der Diktatur der Handys: "Ja komm, lass das Handy doch an! Wäre schön, wenn‘s mal so reinklingelt."

Aber diese Heiterkeit ist doppelbödig. Denn die Künstliche Intelligenz lernt das großmeisterliche Schachspiel bereits in Stunden und schlägt alle Gegner. Dabei rechnet die Maschine Alpha Zero selektiv, sie wählt nur die vielversprechendsten Variationen aus und zeigt damit ein menschenähnliches, wenn nicht übermenschliches Vorgehen - als ein "super human digital algorithmus" (aus "Science"). Lesch dazu: "Was jetzt kulminiert, ist eine ganz, ganz harte Nummer", eine "ausgemachte Katastrophe" für das abendländische Denken und die Urteilskraft jedes Einzelnen.

Vor 50 Jahren, am 21. Dezember 1968, sahen die Astronauten von Apollo 8 als erste Menschen die ganze Erde. Aber diese Kugel ist heute vollständig digital durchdrungen. Jetzt klingelt im Publikum tatsächlich ein Handy - und Lesch: "Gehen Sie ruhig ran. Bitte, wir hören alle mit. Es hören sowieso welche mit." Aber auch die Effizienzbänder am Arm können der Überwachung dienen. Eine Versicherungsgesellschaft bietet für die gespeicherten Vitaldaten bereits Rabatt. Irgendwann kommt jedoch der Turnaround - und diejenigen ohne Effizienzband müssen höhere Beiträge zahlen.

Dann beinharte Physik: Die digitale Technologie verfügt über eine Signalverarbeitung mit Lichtgeschwindigkeit. "Das ist die höchste Wirkungstransportgeschwindigkeit, die es im ganzen Universum gibt und die mit elektrischer Energie knappe 300.000 Kilometer pro Sekunde erreicht", so Lesch. Aber mit steigender Gerätezahl wird mehr Energie benötigt. Hinzu kommt die grassierende Plünderung von Ressourcen wie Lithium oder Seltene Erden. Obwohl Hochleistungshandys oft nur für die Wetterabfrage oder Whatsapp genutzt werden.

Vor allem braucht die Digitalisierung unglaublich viel Energie. Lesch: "Schon heute ist das Internet mindestens an Platz sechs der Energie verbrauchenden Länder - wenn das Internet ein Land wäre." Und beim Autonomen Fahren werden pro Stunde und Auto 4000 Gigabyte an Daten produziert. Die ungeheuren Datenmengen erfordern eine Dauerrechenleistung mit immensem Stromverbrauch, welcher der Wende zu erneuerbaren Energien entgegensteht - worüber heute niemand spricht. Der hohe Energieverbrauch erfordert viel Kühlung, wodurch er noch stärker anwächst. Und die Verlagerung von Daten in eine Cloud nutzt wenig: "Auch die Cloud klaut richtig Energie."

In Deutschland werden derzeit pro Kopf und Tag 125 Kilowattstunden verbraucht, in China 40 und in Indien 20. Lesch: "Sollten diese beiden Länder in die Nähe des deutschen Verbrauchs kommen, können wir einpacken." Mit der Lichtgeschwindigkeit produzierenden Technologie sind wir sehr weit weg von unseren Lebensverhältnissen, denn die natürliche Umgebung ist eine Kilogramm-, Meter- und Sekunde-Welt, also ein Raum der mittleren Dimensionen.

Aber die Welle der Absurditäten rollt an. Jetzt baut auch Rolls Royce ein SUV - mit 2,7 Tonnen Leergewicht. In Deutschland besitzen nun 57 Millionen Menschen ein Smartphone, das sie besonders oft auch beim Überqueren der Straße nutzen. Da gibt es bereits den gegenläufigen Trend "Jomo" (The Joy of Missing Out) - nämlich auch einmal abzuschalten.

Besonders bedrohliche Szenarien ent-stehen durch die Internetbeeinflussung von politischen Wahlen und noch verschärfter bei der Entwicklung von Killerrobotern, also "autonom entscheidenden Waffensystemen", bei denen es nicht nur ums MG geht, sondern auch um 5G - der besseren Datenübertragung wegen.

Info: Harald Lesch, Klaus Kamphausen: "Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen". Penguin Verlag, München 2018. 368 Seiten, 29 Euro.

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