Licht und Libanon
Thomas Lehr und ein Abend über Beirut

Das historische Spiegelzelt der Heidelberger Literaturtage auf dem Universitätsplatz. Archivfoto: Stefan Kresin
Von Franz Schneider
Dreht sich die Spirale, ist sie offenbar nicht zu stoppen. Nach 200 Seiten jedenfalls wollte Thomas Lehr sein neues Romanprojekt nicht mehr anhalten. Es wurde zur dreimal so dicken schlafenden Sonne, die der Anfang einer Trilogie sein soll. Drohung oder Versprechen?
Thomas Lehr, ein Speyerer in Berlin, mag den mysteriösen Thomas Pynchon, das schützt ihn vor dem linearen Erzählen. Der Autor mit naturwissenschaftlichem Hintergrund zeigt sich fasziniert von gewundenen Bewegungen, Vor- und Rückläufen. Sein neuester Roman "Schlafende Sonne" gibt ein radikales Beispiel dafür ab, ein Jahrhundert, beleuchtet im Licht eines einzigen Tages im Sommer 2011, an dem ein Dokumentarfilmer die Vernissage einer früheren Studentin besucht. Ausgangssituation für ein Romankonzept, gehalten wie der Besuch einer Ausstellung, mit vier Hauptfiguren. Zu elaboriert für manche Jury, Thomas Lehr wähnt den Tenor trotzdem auf seiner Seite.
Im Literaturzelt nun wird bei Lehr das Zuhören zur Einfühlung in Komplexität. Er lieferte dafür zwei Proben von 20 Minuten. Die erste führte einen mitten in die geistige Situation der DDR, der Rezeption der "Thesen über Feuerbach" eines Karl Marx, denen Lehr durch eine seiner Figuren frech eine zwölfte These nachstellen lässt: "Die Mächtigen haben die Welt nur verändert, es kommt darauf an, sie zu verbessern." Völlig verschlechtert stieg man darauf in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, angeleitet von Lehrs angewiderter Lektüre von Max Schelers "Vom Genius des Krieges". Beides zeigte Thomas Lehrs Anspruch, seine Kunst, seine Bildung und seine ästhetische Risikobereitschaft. Er wird es uns auch künftig nicht einfacher machen, Lob sei ihm im Voraus.
Dann lieber in den Libanon? Stanislaw Strasburger, polnischer Schriftsteller und Kulturmanager mit Passion für den Orient, führte den Zeltgast mit zunächst eigenen Texten wortreich in ein Beirut, in dem trotz aller Kriege und Gewalt der Traum des interkulturellen Austauschs nicht ausgeträumt ist. Obwohl Brentano-Preisträger Stefan Weidner, einer der ganz wichtigen Übersetzer aus dem Arabischen, so seine Erfahrungen damit gemacht hat, wie er temperamentvoll schilderte.
Schwierig für den gebürtigen Syrer Hussein bin Hamza, sich dabei zu behaupten, sein Deutsch ist noch brüchig: Er, der lange als Journalist in Beirut gearbeitet hat, lebt erst seit einem Jahr hier. Seine Gedichte sind schlicht schön, so sanft wie bisweilen bitter, ein Moment der Ruhe inmitten der Erregung - und er kann auch in Deutschland gut beobachten, etwa wie der Nachbar sich selbst besucht. Bitte mehr von ihm und viel Glück dazu!
Info: Thomas Lehr: Schlafende Sonne. Hanser Verlag München, 640 S., 28,- Euro.