Heidelberg

Herr Lesch und wie er "Gott und die Welt" sieht

Präzise Information, trockener Witz: Harald Lesch sprach bei "Geist Heidelberg" in der Neuen Aula über "Gott und die Welt"

03.11.2019 UPDATE: 04.11.2019 06:00 Uhr 3 Minuten

"Wir sind das Tier, das gelernt hat, das Feuer zu beherrschen", sagte Harald Lesch bei seinem Vortragstrip durch die Zeiten im Rahmen des DAI-Festivals "Geist Heidelberg" in der Neuen Aula der Universität. Foto: Philipp Rothe

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Es war ein Ur-Heidelberger Thema, das Harald Lesch in seinem Vortrag "Gott und die Welt. Wie hängt alles zusammen?" bei "Geist Heidelberg" in der voll besetzten Neuen Aula intonierte. Denn im Zentrum seiner freien Rede stand die tiefe Kluft zwischen Materie und Geist - der Welt und Gott - und damit eben auch das ewige Spannungsverhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften an der Universität Heidelberg. Allerdings krachte Lesch die oftmals akademische Diskussion in der für ihn typischen Mixtur aus plastischer Ansprache, präziser Information, krassen Sprüngen sowie trockenem Witz mitten in unser Leben.

Und es gab einen weiteren Heidelberg-Bezug. Denn Lesch widmete seinen Vortrag der "grandiosen Philosophin" Hannah Arendt (1906-1975), die an der Ruperto Carola bei Karl Jaspers promovierte. Lesch zitierte einen Passus aus Arendts philosophischem Hauptwerk "Vita activa oder Vom tätigen Leben", in dem es sinngemäß heißt, dass Wissenschaftler als solche "sprachlos" sind. Denn die empirische Wissenschaft verwendet die Sprache der Mathematik, die im öffentlichen Raum nicht gesprochen wird. Aber die Ergebnisse finden Eingang in das Leben, weshalb "alle Wissenschaft automatisch politisch" ist. Denn alles Geschehen zwischen Menschen gehört zur Polis.

Lesch betonte die problematische Sperre zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit über die Zeiten hinweg. Etwa der Quantencomputer, der mit unglaublicher Geschwindigkeit Rechenoperationen durchführt, bleibt unverständlich. Längst haben Algorithmen Eingang in unser Leben gefunden, die auch zur politischen Manipulation eingesetzt werden. Vielleicht zahlen wir dafür eines Tages einen hohen Preis, wenn die grundgesetzlich geschützte Würde des Menschen gravierende Beschädigungen erfährt. Während wir die Welt gut verändern können, kommen unsere Werte und Möglichkeiten aus einem anderen Bereich jenseits des Materialismus.

In Bezug auf die naturwissenschaftlich exakte Untersuchung des Universums fragte Lesch kritisch, wie die Forschung überhaupt etwas über diese Abläufe sagen kann. Denn sie geht davon aus, dass die irdischen Naturgesetze im ganzen Universum gültig sind - für den Astrophysiker "starker Tobak". Und er fährt fort: "Wir sind das Tier, das gelernt hat, das Feuer zu beherrschen." Entscheidend war die gesteigerte Sauerstoffproduktion auf der Erde, die zu einem Sprung der Evolution führte. Und es konnte Feuer entstehen, die Voraussetzung dafür, "dass wir Hirn haben". Denn durch die vorbehandelte Nahrung kann man Unmengen an Energie aufnehmen.

Heute macht es der Forschungsstand möglich, "Materie so stark zu verändern, zu kontrollieren und zu manipulieren, dass wir unseren Planeten als ökologisches System massiv gefährden, um letztlich Rendite zu erzielen." Aber das kann nicht alles sein. Denn schon in der Bibel heißt es: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein." Dieser schwankte vielmehr stets zwischen Innovationsdrang sowie der Erkenntnis der eigenen Begrenzung und setzte anfangs stark auf Kooperation statt auf Konkurrenz.

Vor allem die quantitative Methode war ein zweischneidiges Schwert bei der Durchdringung der Materie, das während der letzten sechzig Jahre erfolgreich war - bis hin zur Entdeckung des Higgs-Teilchens. Und nach dieser Physik lassen sich Maschinen bauen, die immer exakt die gleiche Arbeit verrichten und die totale Quantifizierung unserer Welt vorantreiben, während sich die Natur in variierendem Rhythmus bewegt.

Zu dieser Forschung spürt die Gesellschaft eine immer größere Distanz. Wir leben zunehmend in einer Welt, die wir nicht mehr verstehen. Darin kommt es zu einer Krise der Philosophie, wenn sie sich allein auf die naturwissenschaftliche Perspektive stützt und so ein verarmtes Weltbild schafft. Dagegen verwies Lesch auf die innere, nicht messbare Erfahrungsperspektive eines jeden Menschen. Und in Gruppen werden elementare Rituale für das Zusammenleben gebildet. Denn die totale Ökonomisierung "macht aus unserer normalen Lebenszeit eine Art Zeitbrei", mit immer weniger Strukturierungen oder Pausen.

Im Hinblick auf den hierzulande verbreiteten Zweifel am menschengemachten Klimawandel und das zaghafte CO2-Klimapaket der Bundesregierung sprach Lesch von einem Versagen der Politik. Denn alles, was auf diesem Planeten passiert, bleibt hier. Bezüglich der immer effizienteren Super-Maschinen stellte Lesch fest: "Wir stoppen das nicht: Wir sind nur noch Schafe" - und auch "Opfer eines Systems, das sich unglaublich erfolgreich in unser Leben einmischt". Längst gibt es die Vorstellung, dass wir uns eines Tages mit Maschinen verbinden, sodass unsere "Existenz online" wird. "Manche Leute haben tatsächlich die Utopie, dass unsere Fähigkeiten immer mehr von Maschinen übernommen werden." Die könnten dann zuletzt sogar entscheiden, weil wir selbst keine Verantwortung übernehmen.

Dagegen forderte Lesch, dass die empirische Wissenschaft in der Öffentlichkeit die Gefahren klarzumachen hat, sodass letzten Endes auch die Würde des Menschen gewahrt werden kann. Und die Geisteswissenschaften müssen dabei als Innenperspektive der Gesellschaft agieren. Aber die entsprechenden Diskussionen finden allzu oft hinter verschlossenen Türen statt. Und auch die Gesellschaft zieht sich merkwürdig zurück, sogar wenn die eigenen Kinder auf die Straße gehen. "Warum gehen wir nicht bei den ,Fridays for Future‘-Demonstrationen mit?" fragte Lesch. Denn gemeinsam können wir unsere eine Welt sinnvoll verändern - nach dem Motto: "Zusammen - das ist das Glück".

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