Heidelberg

Hält Gott sich manchmal die Ohren zu?

Samuel Finzi und die Gebrüder Glücklich traten mit einer Bühnenfassung von Joseph Roths "Hiob" im Heidelberger Theater auf.

25.04.2022 UPDATE: 26.04.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden
Interpretiert Joseph Roth voller Konzentration: der Schauspieler Samuel Finzi. Foto: P. Pleul

Von Monika Frank

Heidelberg. Mendel Singer ist zufrieden mit seinem bescheidenen Leben. Als Tora-Lehrer, wie schon sein Vater und Großvater, unterrichtet er täglich ein Dutzend Kinder in seiner Einraumbehausung, in der gelebt, gekocht, gegessen und auf den Strohsäcken rund um den Ofen auch geliebt und geschlafen wird. Gott hat ihn und seine Frau mit zwei gesunden Söhnen und einer hübschen Tochter gesegnet. Inständig dankt ihm Mendel unter strenger Beachtung aller religiösen Gebote dafür. Doch dann schlägt der erste Blitz in die heile ostjüdische Welt der Singers im galizischen Schtetl Zuchnow ein. Das vierte Kind, ein Junge, kommt behindert zur Welt. Menuchim nennen ihn die Eltern und hoffen, der Kleine leide nur unter Entwicklungsstörungen, die sich auswachsen werden.

So beginnt der 1930 geschriebene Roman "Hiob" von Joseph Roth, der im Mittelpunkt des Gastspielabends stand, den Samuel Finzi, begleitet vom Musikerduo Gebrüder Glücklich, im Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters gab. Martin Mühleis, ein renommierter Spezialist für die Einrichtung hochrangig besetzter Literaturadaptionen, sorgte für die Bühnenfassung des Textes, der ohne großen inszenatorischen Aufwand allein durch den Einsatz wechselnder Lichteffekte atmosphärisch bereichert wird.

Überraschend war, dass ein so charismatischer Schauspieler wie Samuel Finzi, Träger des Gertrud-Eysoldt-Ringes, bekannt aus zahlreichen beeindruckenden Rollengestaltungen in den Jahren der engen Zusammenarbeit mit Dimiter Gotscheff, im Vortrag gewollt unprätentiös blieb. Mit fast unbewegter Miene liest er, oft in so hohem Tempo, dass den eher nüchternen, präzis beschreibenden, aber stets mehrdimensionalen Sätzen Joseph Roths der nötige Nachhall im Kopf des Zuhörers verwehrt wird.

So bleibt es den zwei einfühlsamen Musikern überlassen, diese Leerräume mit ihren Mitteln zu füllen. Valentin Butt (Akkordeon) und Roland Satterwhite (Geige) lassen ihre Instrumente lachen und weinen, jubeln und klagen mit dem hart geprüften Mendel Singer und seiner Frau Deborah.

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Deborah, weitaus pragmatischer als Mendel mit seinem absoluten Gottvertrauen, baut eher auf den biblischen Rat "hilf dir selbst, dann hilft dir Gott". Sie scheuert den Fußboden, füllt die Teller und umsorgt bis zur Selbstaufgabe ihren Jüngsten, der trotz aller Bemühungen nicht gedeihen will. Eisern hält sie die Kopeken zusammen und spart noch für Notfälle, was dem Zweitgeborenen Schemarjah die Flucht nach Amerika ermöglicht, als der Zar auch die Söhne der Juden zum Kriegsdienst ruft. Der ältere Bruder Jonas wird freiwillig Soldat, Mirjam kokettiert mit den Kosaken im Dorf, und Menuchim kann immer noch nur das eine Wort "Mama" sagen, in tausendundeiner Variation allerdings, die niemand außer Deborah verstehen kann.

Im zweiten Teil des Romans lässt sich Samuel Finzi dann doch auch mimisch und gestisch auf die Rolle des Mendel Singer ein, dem Leidensbruder des biblischen Hiobs. Ihn trifft ein Schicksalsschlag nach dem anderen, bis er an der Gerechtigkeit des Allmächtigen zu zweifeln beginnt. Schemarjah, der in der Neuen Welt geschäftlich reüssiert und die Eltern zu sich geholt hat, fällt als amerikanischer Soldat im Ersten Weltkrieg, Deborah stirbt, als sie davon erfährt, Mirjam kommt aufgrund einer Psychose ins Irrenhaus, Jonas gilt schon lange als in den Kriegswirren verschollen.

Außer sich vor Zorn sagt sich Mendel los von Gott. Seine Freunde können ihn gerade noch davon abhalten, all seine Gebetsutensilien zu verbrennen, ehe Menuchim auf der Suche nach seinem Vater unvermittelt auftaucht. Welch ein Wunder, der Krüppel, den Mendel und Deborah in der Obhut von Nachbarn zurückgelassen haben, ist ohne ihr Zutun geheilt und ein gut aussehender junger Mann geworden, der es als Komponist und Dirigent zu Wohlstand und Ruhm gebracht hat. Mendel ist fassungslos vor Glück und froh, dass Gott sich wohl die Ohren zugehalten hat, als er ihn lauthals beschimpfte…

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