Heidelberger Wunderhorn-Verlag staubt Spitzenpreis ab
Die Poesie liegt noch immer auf der Straße. Gewürdigt wurde die "wegweisende Philosophie".

Von Arndt Krödel
Berlin/Heidelberg. Unabhängige Verlage tun, genauso wie unabhängige Zeitungen, der demokratischen Gesellschaft gut. Sie gehorchen keinen Konzerninteressen, entwickeln eigene Perspektiven und Projekte und stehen für ein Wesensmerkmal von Kultur: der Vielfalt. Einer dieser Verlage arbeitet seit 45 Jahren in Heidelberg, ist auf literarischer Ebene der renommierteste der Stadt und wird auch international wahrgenommen: Der von Manfred Metzner und Angelika Andruchowicz seit 1978 geführte Verlag Das Wunderhorn wurde jetzt zum vierten Mal mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet und erhielt dieses Jahr – als einer von drei nationalen Preisträgern – den mit jeweils 60.000 Euro dotierten Spitzenpreis.
Diese besondere Würdigung wurde dem Verlag zuteil, weil seine Philosophie "mutig und nach wie vor wegweisend" ist, wie es in der Begründung der Jury heißt. Mit dem programmatischen Motto "Die Poesie liegt auf der Straße und die Erneuerung der Literaturen kommt aus den Peripherien und nicht aus den Metropolen" waren die ursprünglich fünf Verlagsgründer vor 45 Jahren aufgebrochen, um in der Folgezeit ein differenziertes Angebot aus internationaler Lyrik, literarischen Reihen, Kunstkatalogen und wissenschaftliche Publikationen zu entwickeln. Kontinuität und Wandel stehen gleichermaßen für ihre Arbeit, und die von der Kulturstaatsministerin Claudia Roth verliehene Auszeichnung bestätigt sie auf diesem Weg.
"Der Preis ist eine große Ehre und macht uns auch stolz", erzählen Manfred Metzner und Angelika Andruchowicz im Gespräch mit der RNZ von der Verleihung in Berlin. Nicht zuletzt wirft er auch ein besonderes Licht auf Heidelberg, die Stadt, der die beiden Verleger immer treu geblieben sind. Es ist für sie ein Rückzugsort, in dem sie ihr Programm in Ruhe entwickeln können.
"Wir strahlen von hier in die Metropolen aus", wie es Metzner beschreibt. In Deutschland gibt es keinen Verlag, der ein so großes Lyrik-Programm hat wie Das Wunderhorn – und das trifft sogar auf die internationale Ebene zu. Dabei hat es dieses Genre nicht leicht. "Poetry Slammer sind in der Öffentlichkeit präsenter als die Lyrik", sagt Andruchowicz.
Auch interessant
Während sich der Wandel des Verlags in neuen Auftrittsformen wie bei Social Media zeigt, ist man andererseits auf Kontinuität bedacht, druckt seine Bücher immer noch in Deutschland, auch wenn es anderswo billiger wäre. "Das ist es uns wert", betont Metzner, der auch die jahrzehntelange Arbeit mit seinen Buch-Vertretern in diesen Kontext einbezieht. Und: "Wir verramschen keine Bücher, nach wie vor sind 580 Titel lieferbar."
Kontinuität bedeutet für die beiden Verleger auch, dass sie sich von ihren einstigen Idealen – beide entstammen der Heidelberger "Sponti"-Kultur – nicht verabschiedet haben. Noch immer ist ihnen das Engagement für die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen wichtig – auch wenn sie erkennen müssen, welche Rückschläge dabei zu verzeichnen sind. Beispiele dafür sind der Stand der Bildung und der sinkende Stellenwert von Literatur in den Medien.
Ein Gespür für die Zeit zu haben, für ihre Problematik, aber auch für ihre Potenziale: Das war dem Verlag immer wichtig. Schon früh war die Globalisierung ein Thema. Der postkoloniale Diskurs, der in Deutschland erst sehr spät angekommen ist, wurde dann mit Autoren wie Édouard Glissant aufgenommen, dem bedeutendsten Schriftsteller der französischsprachigen Karibik und intellektuellem Vordenker einer Poetik und Philosophie der Weltbeziehung und der Vielheit.
Im Verdrängungsprozess der Verlagslandschaft, dem kleine Verlage immer mehr zum Opfer fallen, während die großen Konzerne wachsen, hat sich Das Wunderhorn seine einmalige Position erhalten. Auf die bevorstehende Frankfurter Buchmesse freuen sich Manfred Metzner und Angelika Andruchowicz schon, besonders "auf den Austausch mit den Autoren und dem Publikum". Auch das ist Kontinuität, seit 1978.