Nach dem Unwetter wurde es mit Chef Kumpf magisch (Fotogalerie)
Ein emotionaler Auftritt von Kumpf, Gropper und Mayr. Eine österreichische Urgewalt. Und ein kleines bisschen Gewitter.

Von Sören S. Sgries
Mannheim. Die besorgte Nachfrage des Kollegen kommt irgendwann kurz nach 23 Uhr: "Wurdet ihr arg nass heute?" Moment mal, war da was? Ach ja, stimmt ja – ein heftiges Unwetter brach über den zweiten Tag des Maifeld Derbys herein. Aber die Erinnerung daran ist nach Stunden fesselnder Musik schon längst mit neuen Eindrücken überschrieben.
Vom österreichischen Brachialpunk Salòs beispielsweise. Oder diesem intimen Abschiedsmoment mit Festivalmacher Timo Kumpf und "Get Well Soon"-Genie Konstantin Gropper Seit‘ an Seit‘ im Parcours d‘Amour. Und überhaupt: Gehörte nicht ein klein wenig Wetterpech schon immer zum Derby-Erlebnis dazu?
So lief Tag 1 des Maifeld-Derbys
Mit zwei Körpern müsse man sich über das Festival bewegen, schrieb der Kollege nach dem ersten Derby-Tag in jugendlicher Weisheit. Einen Rat, den man gerne mal annimmt – schließlich droht auch am Samstag der Überblick zwischen großartigen "Must-Sees" und phantastischen Newcomern verloren zu gehen.
Erste Tat also: Für Franz Ferdinand wird sicherheitshalber der Top-Act-Torso im Palastzelt geparkt, im Stand-by bis 23 Uhr. Und Körper Nr. 2 staunt sich übers Festival.
Auch interessant
Unwetterwarnung füllt das Palastzelt für eine Überraschungskünstlerin
Etwa bei Theodor. Die vier Darmstädter bespielen im entspannt-souligen Gewand die Openair-Bühne. Entstanden ist die Band einst aus einer gemeinsamen Italien-Fahrt – und das hört man in jeder Note. Dass die Musiker an diesem Tag ein bisschen zeitlichen Druck haben?
Man merkt es ihnen nicht an, dabei bauen sich die Gewitterwolken immer dunkler über dem Festivalgelände auf. "Summer Wind" heißt ein Lied von Theodor – doch dem Maifeld droht jetzt erstmal ein Sturm. Gerade noch wird das Set beendet, dann steht der Festivalchef auf der Bühne: Unwetterwarnung, bitte alle direkt ins gewittersichere Palastzelt, so die Ansage.
Dort herrscht dann stressige Betriebsamkeit am Bierstand und große Freude auf der Bühne: So knüppelvoll ist das Zelt eigentlich höchstens bei den Headlinern – doch jetzt darf eine junge Frau mit roter Krawatte das ganz große Publikum bespielen.
Für Sophia Kennedy ein besonderes Glück – schließlich stand die seit Jahren in Deutschland lebende US-Amerikanerin eigentlich gar nicht im Lineup. Ein krankheitsbedingter Ausfall spülte sie unverhofft als Ersatz auf den 17.20-Uhr-Slot. Und das Unwetter dann die Massen zu ihr.
Was die 35-Jährige dann bietet, ist eine sympathische Mischung aus Songwriter-Pop und launigen Ansagen. Wen interessiert schon, dass außerhalb der Zeltwände die Welt weggeschwemmt wird, wenn Kennedy zwischen die treibenden Electro-Pop-Songs ihres aktuellen Albums "Squeeze Me" noch ein paar Gedanken dazu einstreut, ob sie vor ihrer Abreise nach Mannheim auch das Bügeleisen ausgeschaltet habe?
Hier Understatement, dort Flamenco-Opulenz
Als Kennedy dann Verlängerung um Verlängerung gegeben hat, bis die Unwetterzelle endlich vorbei gezogen ist, hat das Derby-Team draußen allerhand zu tun. Alle Systeme wieder hochfahren, die Open-Air-Bühnen wieder bespielen, zurück in den Zeitplan kommen – es gelingt Schritt für Schritt.
Eine der ersten Sängerinnen, die wieder ein Mikro in die Hand bekommen, ist Alice Phoebe Lou. Gemeinsam mit Ziv Yamin treibt die gebürtige Südafrikanerin derzeit ihr Projekt "Strongboi" voran, "lockeren flockigen Lo-Fi-Pop", wie das Programmheft anpreist. Doch viel Zeit, hier reinzuhören, bleibt nicht – schließlich warten im Zelt schon "King Hannah", das folkig-angehauchte Dream-Pop Duo aus Liverpool.
Während "Strongboi" draußen auf Understatement setzen, fährt Sängerin Hannah Merrick richtig auf: Im aufgebauschten roten Flamenco-Kleid vor übergroßem "Jaws"-Bühnenbild liefert sie dem Publikum die ganz große Show. Auffällig: Die transparente Zartheit, die ihre Songs sonst auszeichnet, wird live von einer gewissen Opulenz erdrückt.
Wie schon 2024: "Die Höchste Eisenbahn"
Eher bodenständig dagegen "Die Höchste Eisenbahn". Mit ihrem ganz eigenen Sound sind die Songwriter Francesco Wilking und Moritz Krämer schon mit ihrem Debüt-Album "Schau in den Lauf, Hase" (2013) zu Gast in Mannheim gewesen. "Wir haben vier Jahre, oder so, Schönheitsschlaf gemacht", melden sie sich jetzt zurück.
Die kleinen Alltagsbetrachtungen gehen direkt ins Ohr, das Publikum geht bereitwillig mit bei "Isi" und "Was machst du dann". "Wir sehen uns nächstes Jahr", heißt es zum Abschied gutgelaunt. 2014, 2025 – ihr zweites soll nicht das letzte Derby gewesen sein, geht es nach Wilking.
Der Abend ist inzwischen angebrochen – und selbst zwei Körper sind zu wenig für die drei bis vier Bühnen, die nun gleichzeitig bespielt werden. Während der Top-Act-Torso sich vermutlich gerade von "The Notwist" wegblasen lässt, muss sich der zweite zwischen zwei alternativen Highlights entscheiden.
Familiäre Momente im Parcour d‘Amour
Einerseits ist da die wunderbare Alex Mayr (von der eine Kollegin vollkommen zu recht so leidenschaftlich schwärmt). Der Parcours d‘Amour ist mit ihr und ihrer floralen Band inzwischen zum Ort eines musikalischen Familientreffens geworden, die Sitze haben sich restlos gefüllt. Fesselnd das Storytelling der Mannheimer Pop-Dozentin, herzlich ihre Interaktion mit dem Publikum.
"Ich heule heute noch", gesteht sie gleich mehrfach voller Rührung über den großen Zuspruch. Und dann spielt sich auch noch "Get Well Soon"-Mastermind Konstantin Gropper an Mayrs Seite auf der Bühne warm. Ein Konzert zum Verweilen.
Nur, dass Open Air, auf der "Arena2"-Bühne, zeitgleich die unfassbaren Salò so richtig Gas geben. Die Österreicher rund um Sänger Andreas Binder bringen eine Power auf und vor die Bühne, der man kaum entkommen kann. Mit roher Urgewalt, irgendwo zwischen dem Punk von "Feine Sahne Fischfilet" und dem Wiener Schmäh von "Wanda". Wieder einmal zeigt sich hier, dass das Derby nicht nur Raum für die elegischen Electro-Königinnen bietet, sondern auch mit Leidenschaft die rotzigen "Schmuddelkinder" hätschelt. Danke dafür!
Saló geht, ein Gänsehautmoment kommt
Und Danke auch, dass Salò dann doch recht pünktlich die Bühne räumt, so dass es zurück in den Parcours gehen kann. Hier darf man eine Weile Konstantin Gropper dabei erleben, wie er abgefahrenen Gropper-Scheiß macht – und mit kleinster Besetzung den bombastischsten "Get Well Soon"-Kinosound auf die Bühne bringt.
Und dann taucht Festivalchef Timo Kumpf auf. Nein, dieses Mal nicht mit neuen Unwetterwarnungen im Gepäck, sondern mit dem Bass um den Hals. "Back to the roots", heißt es nun, eine kleine Hommage an die Zeiten, als er noch als "Get Well Soon"-Bassist durch Europa tourte und erstmals vom eigenen Festival träumte.
"Vielen, vielen Dank, es bedeutet mir wahnsinnig viel, mit diesen Menschen wieder hier auf der Bühne zu stehen", strahlt Kumpf. Dann übernimmt die Musik, Alex Mayr greift zum Mikrofon, ... magisch! Ein Gänsehautmoment, wie man ihn eigentlich erst am Sonntagabend erwartet hätte.
Zeit also, beseelt den Heimweg anzutreten? Stopp! Da wartet doch noch eine nicht ganz unbekannte Band im Palastzelt. "Franz Ferdinand", die schottischen Indie-Rocker, sind nach langer Pause mit "The Human Fear", ihrem brandneuen Album, ins Jahr gestartet.
Heiß erwartet wird ihr Auftritt, doch tatsächlich brauchen die Jungs ein bisschen, um ihr Publikum in Schwung zu versetzen. Ob sie wirklich vorhatten, ihren Riesenhit "Do You Want To" (You lucky, lucky, You're so lucky) schon so früh zu spielen? Zumindest geht’s ab da endlich rund. Und der zweite Derby-Tag klingt würdig aus.