Jeanne Moreau – Annäherung an eine Unnahbare
Jens Rosteck hat im DAI die Biografie der einzigartigen Schauspielerin Jeanne Moreau präsentiert.

Von Arndt Krödel
Heidelberg. Szenen wie diese vergisst man nicht – wie Jeanne Moreau in der Rolle der Florence in einer Gewitternacht durch die Straßen von Paris irrt, begleitet durch die elegischen Jazzklänge von Miles Davis, und nach ihrem Geliebten sucht, untröstlich ob der Vergeblichkeit ihres Tuns. Denn der Gesuchte sitzt fest, im "Fahrstuhl zum Schafott", welches ihm nach einer Bluttat droht, die er im Gebäude des stecken gebliebenen Lifts begangen hat.
Louis Malles gleichnamiger Schwarz-Weiß-Film aus dem Jahr 1958 bedeutete für den französischen Regisseur der "Nouvelle Vague" den Durchbruch und für seine Hauptdarstellerin Jeanne Moreau den Beginn einer glanzvollen Karriere.
Große Schauspielerinnen gab und gibt es viele im "Cinéma français", doch schon früh zeichnete sich "La Moreau" durch Eigenschaften aus, die sie zu einer singulären Erscheinung machten. "Unretuschierbar. Ohne Vorbild, ohne Nachfolgerin", beschreibt der Schriftsteller Jens Rosteck in seiner Biografie "Die Verwegene" die vor vier Jahren fast 90-jährig verstorbene Ausnahmekünstlerin. In einer Multimediashow stellte Rosteck, der zugleich Musik- und Literaturwissenschaftler sowie Pianist ist, sein Buch jetzt im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) Heidelberg vor. Mitveranstalter war der Deutsch-Französische Kulturkreis Heidelberg.
In seinen mit aussagekräftigen Details gespickten Textpassagen, die von zahlreichen Fotos und einigen Kostproben ihrer zauberhaften Chansons ergänzt wurden, lotete der Autor die vielschichtige Persönlichkeit der Mimin aus, stets in der Gewissheit, dass es letztlich bei einer – freilich großartig ausgestalteten – Annäherung an eine Unnahbare bleiben muss: "Man wusste bei ihr nie so richtig, woran man war." Sie entzog sich eindeutigen Einblicken und Kennzeichnungen. Gleichzeitig, so Rosteck, konnte man sich dieser Persönlichkeit einfach nicht entziehen. Eindrücklich schildert er eine Begegnung mit der Schauspielerin, als diese in einer Inszenierung der Berliner Schaubühne auftrat und er einen Platz in der ersten Reihe ergattert hatte. Anderthalb Stunden stand er unter dem Bann ihrer Performance und war "zuerst einmal sprachlos".
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Konzentriertes Mienenspiel, eine kurze Bewegung der Schultern – für den Autor ist die Moreau eine "Meisterin der Zwischentöne". Unberechenbare Charaktere lagen ihr besonders. Gleich in ihrem zweiten großen Film mit Louis Malle, "Les Amants" (Die Liebenden), ebenfalls 1958 gedreht, spielt sie eine Frau, die aus dem Gefängnis ihrer bürgerlichen Welt entflieht, Ehemann und Kind verlässt, um mit einem jungen Mann durchzubrennen. Der Streifen löste einen Skandal aus und drängte die Moreau, wie Rosteck schreibt, wenigstens zwischenzeitlich in die Rolle der moralisch Fragwürdigen, Unanständigen.
Was ihr wohl relativ gleichgültig gewesen sein dürfte, denn dem Publikum als "sympathisch" zu gefallen, war nicht ihr Ding. In ihren über 130 Filmen traf sie auf die ganz Großen ihres Fachs, darunter Truffaut, Fassbinder und Wenders. Doch im Vordergrund stand stets sie – La Moreau, die Einzigartige.
Info: Jens Rosteck: "Die Verwegene - Jeanne Moreau. Die Biographie". Aufbau Verlag, Berlin, 2019. 396 S., 24 Euro. "Fahrstuhl zum Schafott" am 9. Juli 2021 um 19 Uhr im Karlstorkino.



