Von Olaf Neumann
Serdar Somuncu ist Kabarettist, Regisseur, Schauspieler, Musiker, Teil der "Heute Show" und Meister der Provokation. Sechs Jahre war der Deutschtürke mit Adolf Hitlers "Mein Kampf" auf satirischer Lesereise, in der Rolle des "Hassias" spaltete er die Gemüter. Jetzt kommt er mit einer neuen Late-Night-Show auf die Bühne. "XStream – Latenight" wird ab dem 26. März ausschließlich als Live-Stream zu sehen sein. Im Interview erzählt Somuncu, warum er gerne Attila Hildmann, Michael Wendler und Ken Jebsen einladen würde.
Ihr neues Format "XStream – Latenight" wird vorerst vierteljährlich als Live-Stream zu sehen sein. Ist das Konzept so extrem, dass die TV-Sender aus Angst abgewunken haben?
Es ist gar nicht dazu gekommen, dass die Fernsehsender Angst haben durften, weil ich es präventiv niemandem angeboten habe. Ich will mich nicht mehr beschränken lassen von irgendeiner woken Blase, in der vermeintliche Meinungsführer entdecken, was man sagen darf und was nicht. Gott sei Dank habe ich mittlerweile die Möglichkeiten, solch eine Show im Internet unabhängig von Sendern und Reaktionen zu präsentieren. Ein Kabarettist braucht die Freiheit, ironisch zu sein, selbst wenn er dafür in Kauf nehmen muss, missverstanden zu werden. Wer diesen Kontext absichtlich nicht versteht oder weil ihm das Vermögen dazu fehlt, tut der Sache unrecht. Diese ganze Übersensibilität nervt nur noch.
Über Kabarett und Satire in Deutschland wird gerade viel gestritten. Darf man ohne Rücksicht auf Verluste Witze über Minderheiten machen oder ist es gerade Diskriminierung, wenn man keine Witze über Minderheiten macht?
Will jemand auf der Bühne einfach nur einen Lacher erzeugen, ohne eine Absicht damit zu verfolgen, ist das meist ein schlechter Witz mit einem üblen Nachgeschmack. "Wir fackeln heute die Bude ab, also quasi 'ne Chris-Tall-Nacht", ist zum Beispiel kein Witz für mich. Ich mache mich auch nicht über brennende Affen im Krefelder Zoo lustig. Nach einem Amoklauf wie dem in Halle würde ich auch keinen Judenwitz erzählen. Es kommt also vor allem darauf an, von wem, warum und wann der Witz gemacht wird. Man darf Aussagen aber auch nicht aus ihrem Kontext reißen, um damit seine eigene Empörung zu transportieren.
Diejenigen, die solche Vorwürfe äußern, verhalten sich selbst oft widersprüchlich. Meine Rolle wurde häufig von älteren weißen Frauen als Macho oder Kerl bezeichnet, so als würde ich im Moment meiner angeblichen Verfehlungen auf mein Geschlecht und meine Herkunft reduziert werden dürfen. Das ist genauso rassistisch und sexistisch. Das ärgert mich. Erst dann, wenn sich niemand mehr angesprochen fühlt, weil es sich zu einer Minderheit zugehörig fühlt, ist die Gesellschaft wirklich frei von Rassismus.
Was wollen Sie als Gastgeber in Ihrer Show anders machen als Maischberger, Illner, Will, Plasberg und Lanz?
Wir machen erst mal keine Talk-, sondern eine Late-Night-Show. Bei uns gibt es einen Stand-Up, Gäste und eine Band – aber keine Schere im Kopf. Wir brechen aus dem Standardmuster des Fernsehprinzips aus. Im Internet gelten andere Regeln. Vor allem gibt es bei uns niemanden, der ängstlich im Hintergrund sitzt und alles mitschreibt, um bloß die nächste Anzeige zu vermeiden. Wir wollen uns darauf verlassen, dass unsere Zuschauer uns verstehen. In meinen Shows gibt es immer das Schenkelklopfen und das Aufklärerische, wobei ich es manchmal sogar riskiere, diejenigen zu verlieren, die nur lachen wollen.
Was für ein Publikum wünschen Sie sich für Ihre neue Show?
Meine Zielgruppe ist von acht bis 18, von deutsch bis türkisch. Meine Sätze sind sicher nicht immer leicht zu verstehen, aber manchmal sind sie auch zu einfach. So wie den einen das brachial herausgeschleuderte Fäkalwort stört, so irritiert den anderen der Schachtelsatz. Dafür ist die Sendung gedacht. Unser Publikum kann nicht unterschiedlich genug sein.
Gibt es wichtige Stimmen, die derzeit nicht gehört werden?
Ich habe da keine Vorbehalte, ich würde auch Attila Hildmann, Michael Wendler oder Ken Jebsen einladen. Auch alle drei auf einmal. Ob die dann sinnvollere Dinge sagen, ist eine andere Frage.
Wie würden Sie sich auf ein Gespräch mit diesem Trio Infernale vorbereiten?
Die Vorstellung ist verlockend, ich merke das gerade. Ich habe schon in meiner Sendung auf n-tv gezeigt, wie man mit solchen Leuten umgehen kann. In einer Episode redete sich der AfD-Mann Stefan Brandner um Kopf und Kragen. Er wusste nicht mal, wie viele Menschen hierzulande nicht deutscher Herkunft sind, und sagte einfach "zu viele". Auch konnte er nicht die Anzahl der Flüchtlinge nennen, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind. Ich habe den Vorteil, dass ich das als Theatermensch sehr formlos machen kann, ich bin ja kein Journalist. So kann ich zum Beispiel eine Behauptung aufstellen, die ich im nächsten Moment wieder ändere.
Was wollen Sie damit erreichen?
Dieses Irritierende ist ein Tool, um aufzuzeigen, wie Demagogie funktioniert, wenn man sie nicht so ernst nimmt. Die meisten Moderatoren scheitern an ihrer eigenen Ernsthaftigkeit, während die Nazis, die in diesen Shows sitzen, richtig aufblühen. Mit allem, was sie sagen, können sie so ambivalent sein, dass sie damit ihr Gegenüber erschrecken. Wenn ich mich als Moderator aber nicht erschrecken lasse, weil ich selbst ambivalent bin, fängt das Gegenüber an zu rudern. Ich glaube, das würde auch bei Hildmann, Jebsen und Wendler passieren.
Info: "XStream – Latenight" prämiert am Freitag, 26. März, um 21 Uhr. Streaming-Tickets gibt es hier.