Von André Wesche
Heidelberg. Als Hitler die Sowjetunion überfällt, werden die dort befindlichen Deutschen zu Staatsfeinden erklärt. Selbst Vertreter kommunistischer Organisationen werden hingerichtet oder landen im Gulag. Bernd Böhlichs neuer Kinofilm "Und der Zukunft zugewandt" beleuchtet dieses weithin unbekannte Kapitel deutsch-sowjetischer Geschichte. In der Rolle der überzeugten Kommunistin Antonia Berger, die auf einem wahren Schicksal beruht, ist die Schauspielerin Alexandra Maria Lara zu erleben.
Frau Lara, denkt man bei einer politischen Figur wie Antonia Berger besonders gründlich darüber nach, ob man die Rolle übernimmt?
Ich habe keine Sekunde gezögert, denn es war sofort klar, dass es sich um ein besonderes Projekt handelt. Vielleicht auch aufgrund der Geschichte meiner Eltern, die aus Rumänien geflüchtet sind, entwickelte ich beim Lesen des Drehbuchs sofort ein Gefühl von Verständnis. Ich konnte nachvollziehen, was da geschrieben stand. Und ich wollte es wahnsinnig gern spielen.
Sehen Sie Antonia als eine mutige Frau, die ihrer politischen Haltung treu bleibt, oder auch ein wenig als Mitläuferin des Systems?
Ein Lager wie Workuta war ursprünglich für Inhaftierte aus der Sowjetunion angelegt. Das hat sich erst im Laufe des Zweiten Weltkrieges geändert, als dort plötzlich auch Deutsche waren. Viele davon wurden, wie Antonia, zu Unrecht verurteilt. Sie sagt in einem Moment des Films, dass ihr Prozess keine fünf Minuten gedauert hat. Das waren Details, die mich beim Lesen geschockt haben. Ich konnte meine Figur sehr gut verstehen, weil da ja auch ein Kind ist, ihre Tochter. Sie ist schwer krank, aber sie überlebt durch die Versorgung in der DDR. In dem Moment muss in Antonia Berger eine solche Dankbarkeit vorherrschen, dass sie auch in einer so absurden Situation Kraft schöpfen kann.
Im Film sind es drei Frauen, die aus dem Lager in die DDR geholt werden, sehr unterschiedlich.
Ja. Die Frau, die von Barbara Schnitzler gespielt wird, denkt und reagiert zum Beispiel ganz anders. Sie sagt: "Ich bin ab heute keine Genossin mehr!".Sie hält das alles keine Sekunde länger aus und wird sich wohl in den nächsten Zug nach Hamburg setzen. Meine Figur dagegen würde ohne ihren Glauben, der in ihrem Fall überlebensnotwendig zu sein scheint, einfach zerbrechen. "Weil sonst alles umsonst gewesen wäre," sagt Antonia einmal.
Müssen Sie eine Figur mögen, um sie zu verkörpern?
Nicht unbedingt. Aber beim Spielen verteidigt man seine Figur, ungeachtet der eigenen Sympathien. Es ist eine Art Grundvoraussetzung, um eine Rolle zu verkörpern.
Haben die Arbeit am Film und insbesondere Gespräche mit Regisseur Bernd Böhlich Ihren Blick auf die DDR verändert?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es eine große Bereicherung für mich war, Bernd zu begegnen. Ich habe mich von ihm als Regisseur gesehen gefühlt, und das ist etwas ganz Besonderes. Der Film hat die wahre Geschichte von Swetlana Schönfeld zur Grundlage, die im Film meine Mutter spielt. Swetlana und ich haben sehr emotionale Momente miteinander geteilt. Wir sind immer noch in Kontakt. Mich hat kaum eine Arbeit so nachhaltig geprägt und ich habe, gerade von Bernd, auf unterschiedlichen Ebenen viel gelernt. Menschlich, über Geschichte, als Schauspielerin. Ich bin sehr dankbar dafür, auf diese Erfahrung zurückblicken zu können.
Bernd Böhlich geht sehr achtsam mit den Filmfiguren um.
Genau. Man versteht sie, auch einen Sekretär für Agitation und Propaganda wie Leo Silberstein, einen eleganten Mann, der eloquent und intelligent argumentiert. Und zwar so, dass man es aus seiner Sicht auch nachvollziehen kann. Man sieht in unserem Film, wie unterschiedlich die Reaktionen der Menschen sein können. Das schätze ich sehr.
Haben Sie als Kind mitbekommen, dass etwas Großes im Gange ist, als die Mauer fiel?
Absolut! Auf der einen Seite ist es in diesem Jahr schon 30 Jahre her, auf der anderen Seite ist es nur ein Wimpernschlag in der Geschichte. Ich kann mich sehr genau erinnern. Ich war zehn Jahre alt und gerade auf das Französische Gymnasium in Berlin gekommen. Ich bin an jenem Morgen mit der U-Bahn zum Nollendorfplatz gefahren. Ich erinnere mich an diese Emotionalität, die in der Luft lag und auf den Straßen zu spüren war. Menschen hatten Blumen in der Hand und haben sich auf offener Straße umarmt. Und ich weiß noch, dass wir plötzlich drei neue Mitschüler hatten. Ich meine mich daran zu erinnern, dass die es nicht immer leicht gehabt haben. Für uns zu Hause war es ein Wunder. Meine Eltern sind ja 1983 geflohen und hatten natürlich nicht zu hoffen gewagt, diesen Moment erleben zu dürfen. Es hat dann noch eine Weile gedauert, bis die Welle auch die anderen Länder des Ostblocks erreicht hat. Aber plötzlich bestand die Aussicht, doch wieder in Freiheit in die Heimat reisen zu können.
Damals freute man sich über das Ende des Kalten Krieges. Heute ziehen wieder dunkle Wolken auf. Blicken Sie besorgt in die Zukunft, wenn Sie die aktuellen politischen Entwicklungen in Europa beobachten?
Ich habe das Gefühl, dass im Moment eine gewisse Orientierungslosigkeit besteht, die allen zurecht auch Sorge macht. Trotzdem bin ich ein positiver und ein optimistischer Mensch. Ich denke und hoffe von Herzen, dass uns die aktuelle Entwicklung eher wieder zusammenbringt. Es macht einen nachdenklich, dass der Mensch immer nur für eine begrenzte Zeit zu lernen scheint und die Dinge mit der Zeit wieder in Vergessenheit geraten. Deshalb wäre es mein ganz großer Wunsch, dass wir schnell zu einem neuen Miteinander finden.
Vor 25 Jahren standen Sie zum ersten Mal für die Weihnachtsserie "Stella Stellaris" vor der Kamera. Empfinden Sie eine gewisse Demut, dass Ihnen eine solche Karriere vergönnt ist?
Mir wird fast schwindlig, wenn ich manchmal zurückschaue. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich über eine so lange Zeit und in so vielfältiger Weise als Schauspielerin arbeiten durfte. Das ist absolut nicht selbstverständlich und ein Riesenglück.
Info: Der Film läuft ab dem 5. September auch in Heidelberg.