„Bataillon“-Szene mit Annemarie Brüntjen (vorn); hinten (v.l.) Otiti Engelhardt (Gast), Johanna Eiworth und Sophie Arbeiter. Foto: Kleiner
Von Monika Frank
Mannheim. Enis Maci, 26 Jahre jung, bei der Kritikerumfrage von "Theater heute" 2018 und 2019 zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gekürt, gilt aufgrund ihrer halb dokumentarischen, halb poetischen, gern frei assoziierend von Punkt zu Punkt springenden Schreibweise als Stimme der mit dem Internet groß gewordenen Digital Natives. Am Nationaltheater Mannheim, wo sie in der Spielzeit 2018/19 Hausautorin war, fand die Inszenierung ihres zweiten Stückes "Mitwisser" in Nick Hartnagels Regie große Beachtung und kam auf die Bestenliste der Mülheimer Theatertage 2019.
Im NTM-Studio wurde nun auch Enis Macis im Auftrag des Hauses geschriebenes jüngstes Werk "Bataillon" uraufgeführt, ein dialogfrei dahinfließender, breit ausufernder Textstrom, der die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen quer durch alle Zeiten thematisiert, eine Umschreibung der Geschichte aus femininer Sicht fordert, neue Formen gemeinschaftlichen Lebens imaginiert und parallel dazu Fragen über Fragen aufwirft, die sich mit der Schwierigkeit befassen, das Richtige zu erkennen, Sein und Schein, Fakt und Fake voneinander zu unterscheiden im Daten-Dickicht des Internet-Dschungels und einer zunehmend medial gesteuerten Wahrnehmung der Welt.
Der Ort ist das Kellergeschoss eines Hochhauses, in dem vier Weberinnen sitzen und erzählen, wer sie waren, wer sie sind und wer sie werden könnten. Die fünfte Frau im Spiel ist eine Art Concierge, die darauf achtet, dass beim munteren Geschwätz die Arbeit nicht vernachlässigt wird. Sie spinnen Fäden und verknoten sie, weben Tücher und wirken Teppiche, sind die mythischen Schicksalsgöttinnen der Antike und zugleich die ukrainischen Mütter der Ge-genwart, die in leer stehenden Läden Tarnnetze für ihre Soldatensöhne knüpfen.
Sie sprechen im Chor, außer wenn sie einzelne Heldinnen aus ihrer Sicht der Geschichte gesondert hervorheben wollen. Dann verwandelt sich eine von ihnen in Penelope, Frau des im Krieg verschollenen Odysseus, die tags an einem Tuch webte und es nachts wieder auftrennte, um sich die lüsternen Freier vom Leib zu halten.
Auf Penelope folgen dann Ada Lovelace, Erfinderin des digitalen Programmierens, und Elisabeth Mann Borgese, die das internationale Seerecht begründete. Wir hören von den aufsässigen Gattinnen, Schwestern und Töchtern der römischen Kaiser, die auf der Gefängnisinsel Pandateria zu Tode kamen. Auch an Nasa-Wissenschaftlerinnen und Bauhaus-Künstlerinnen, deren Arbeit im Schatten von Männern stand, wird erinnert. Nur zwei Vertretern des maskulinen Geschlechts ist hier der Zutritt erlaubt: dem Flechtenforscher Toby Spribille, welcher in der Gemeinschaft gleich-wertiger Organismen die alles bestimmende Form sah, und Ted Nelson, der von einem zügellos verlinkten Hypertext als universaler Bibliothek träumte.
Auf der nahezu leeren, von einem riesigen weißen Tuch bedeckten Studiobühne (Ausstattung: Heike Mondschein) geben sich die Regisseurin Marie Bues und die Schauspielerinnen Sophie Ar-beiter, Annemarie Brüntjen, Johanna Eiworth, Otiti Engelhardt und Carina Thurner alle Mühe, so viel Text fast ohne Handlung in Bewegung zu bringen und mit Leben zu erfüllen, was leider nicht immer gelingt. Über weite Strecken bleibt doch nur dürre Aufzählung, was anschauliche Erzählung sein will, und die Personenporträts gehen kaum über Namedropping hinaus.
Clou der Aufführung ist ein Schmuckstück von Panzer, den die Frauen Stück für Stück zusammenbauen, mit strassbesetzten Rädern und Spiegelwänden, die liebevoll poliert werden. Das im Stück nicht vorgesehene Requisit gehört zu einem stummen Kriegsspiel-Intermezzo, nach dem sich die Weberinnen doch lieber wieder in ihr Hochhaus zurückziehen, wo in den oberen Etagen inzwischen Monica Lewinsky einen Wellness-Salon betreibt, auch sie offenbar für Enis Maci eine V(ery)I(mportant)P(erson) …
Info: Weitere Aufführungen: 30. Januar, 9. und 22. Februar – Kartentel. 0621 / 1 68 01 50