Cookie, die Heldin des Stücks, lebt vom Direktverkauf von Kosmetika: Sven Prietz und Ulrike Folkerts in der Uraufführung von Noah Haidles "Für immer schön" im Nationaltheater Mannheim. Foto: Hans Jörg Michel
Von Harald Raab
Nach Hegel und Marx ereignen sich alle großen Dinge zweimal - einmal als Drama, das zweite Mal als Farce. Der Spruch gilt offensichtlich auch für das Theater. Die Uraufführung des Stücks "Für immer schön" von Noah Haidle, dem neuen Hausautor des Nationaltheaters Mannheim, beweist es mit einem Déjà-vu.
Vor knapp 70 Jahren: Arthur Millers Drama "Tod eines Handlungsreisenden" entzau-bert den amerikanischen Traum vom Erfolg, alles schaffen zu können, wenn man sich nur so richtig mit Enthusiasmus ins Zeug legt. Die in die Jahre gekommene, einstmalige Verkaufskanone Willy Loman verhökerte Textilien. Bei Strafe seines Untergangs hält er an der Fassade vom großen Verkäufer und vom glücklichen Familienvater fest, obwohl er längst abgehalftert, gescheitert ist.
Haidles Heldin Cookie macht im Direktverkauf von Haustür zu Haustür in Kosmetika. Sie ist mit ihren martialischen Selbstmotivationssprüchen und ihrem missionarischen Eifer in Sachen Ersatzreligion körperlicher Schönheitskult vom Anfang an eine personifizierte Farce, gleichfalls aber dem Untergang geweiht.
Das gelungene Kunststück der Regie von Intendant Burkhard C. Kosminski besteht darin, auf dem schmalen Grat zwischen Tragödie und typisch amerikanischer Komödie Balance zu halten. Es gilt, den Schwebezustand zwischen Sinn eines Lebens und dem Irrsinn, seinen Wert an Verkaufszahlen zu messen, einerseits mit spielerischer Leichtigkeit und andererseits mit dem rechten Quantum Sarkasmus, Erschrecken und auch Mitleid zu vermitteln.
Die funktionale Bühne von Florian Etti bietet in ihrer Minimalisierung Raum für Traum und Albtraum: Ihr beherrschendes Element ist eine stilisierte weiße Hausfront mit Tür und Fenster. Die Fassade lässt sich drehen, sodass das Geschehen auf der Straße davor und das im Inneren nahtlos ineinander übergehen können. Projizierte Videosequenzen von der Armee der Direktverkäuferinnen und ihrem strategischen Einsatzort, den einförmigen Eigenheimquartieren der Mittelschicht, verdichten die Atmosphäre. Immerhin ist das Schicksal einer Frau über eine Zeitspanne von 30 Jahren hinweg darzustellen. Die Wiederholung von Niederlagen und Wieder-Aufstehen geben den Rhythmus vor: Leben im Hamsterrad, angetrieben von puritanischer Selbstoptimierung und Selbstausbeutung, propagiert als Lustgewinn.
Vor der Versuchung, Werbung mittels eines Stars zu betreiben, ist auch das Theater nicht gefeit. Für die Hauptrolle der Cookie wurde Ulrike Folkerts, bekannt als "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal, engagiert. Das allein garantiert eine tüchtige Portion Sonderapplaus des Publikums. Aber ist es auch ein Gewinn an Qualität und Intensität?
Ulrike Folkerts hat eine schwer zu meisternde Aufgabe: die Schizophrenie eines Lebensentwurfs rüberzubringen. In Business-Kostüm mit Rollkoffer gibt sie der Figur mit großen Gesten Bühnenpräsenz. Spielbein, Standbein, Hände in die Hüfte gestützt, immer wieder mit einer Hand auf den Schenkel geklopft. Beide Arme zum Victory-Zeichen in die Luft gereckt und wenn der Text ganz aus dem Inneren kommen soll, schon mal in die Hocke gehen. Ein Tick zu viel an stereotyper Körpersprache. Da ist kein Platz für das Doppelbödige dieser schillernden Existenz. Gerade das Oszillieren zwischen den beiden Zuständen wäre bei einer Farce die wahre Meisterschaft.
Doch dort, wo das ganze Elend Cookies nicht mehr zu verbergen ist, sie an einem Strick die Leiche ihrer Tochter hinter sich herzieht und ihr mit den Händen ein Grab im Vorgarten ihres früheren Hauses gräbt, ist sie mit leiser Eindringlichkeit sehr beeindruckend die tragische Kreatur, das Opfer ihres Selbstbetrugs im Spielkasino des American Way of Life.
Keine Frage, ihre Mannheimer Ensemble-Kolleginnen und -Kollegen haben nicht so komplizierte Rollen. Sie beweisen trotzdem, dass sie ihre Leistungen hinter der des Stargasts nicht verstecken müssen: Sabine Fürst als Heather, Schülerin und Konkurrentin Cookies, Celina Rontgen als kaputte und liebesbedürftige Tochter, Sven Prietz als Sexpartner Cookies und Ehemann Heathers, Anke Schubert als Witwe und Jugendfreundin, Michael Fuchs als Rhett, Ex-Liebhaber von Cookie und Kosmetikfetischist.
Nun ja, den Pulitzerpreis wie Arthur Miller für "Tod eines Handlungsreisenden" wird Noha Haidle für seine Version des Stoffs nicht bekommen. Das neue Stück hat aber die Substanz, um in Deutschland nachgespielt zu werden. Das ist bei der Flut von Uraufführungen ja schon viel.